„Vor 30 Jahren schlug eine Kugel neben meinem Bett ein“
02.01.20
Zwei Sachsen im ersten Kronstädter provisorischen Stadtrat nach der Revolution
Es sind nun schon 30 Jahre nach der politischen Wende von 1989 vergangen, als der ehemalige Diktator Nicolae Ceausescu gestürzt worden ist, und am Ersten Weihnachtstag gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in einer Militäreinheit von Târgoviste hingerichtet wurde. Der Großteil der damaligen Ereignisse fand bis heute keine genaue Klärung. Dieses gewollt oder ungewollt, besonders von Personen die damals das Sagen hatten. Sowohl Ion Iliescu als auch Petre Roman geben auch heute ausweichende Antworten. Rumänien war auch das einzige Land in Osteuropa wo der Umsturz blutig und nicht friedlich verlaufen ist. Über 1000 Tote waren zu verzeichnen. Ausgegangen von Temeswar griff die Revolution, wie diese von einigen Kreisen bezeichnet, von anderen in Frage gestellt wird, auf andere Städte wie Bukarest, Hermannstadt, Kronstadt, Klausenburg über. Viele unschuldige Opfer wurden dabei verzeichnet. Andere, wie immer in derartigen Situationen, erwiesen sich als Wendehälse, nutzten mit falschen Aussagen und Papieren die Gelegenheit aus, um sich als Revolutionäre materieller Vergünstigungen zu erfreuen. In Ortschaften in denen die Bewohner nur vom Bildschirm her Zeugen der Kämpfe zwischen Armee, der so genannten Terroristen wurden, haben dann plötzlich so manche sich den Status als Revolutionäre erworben und profitieren bis heute davon.
Auf die in Kronstadt stattgefundenen Ereignisse gingen wir wiederholt in unserer Wochenschrift ein, die ohne Unterbrechung auch in den Tagen des politischen Umsturzes regelmäßig weiter erschien, sich der neuen Situation anpasste. In unserer Weihnachtsausgabe vom 23. Dezember 1989, in der wir das Kommunique des Rates der Front der Nationalen Einheit an die Landesbevölkerung veröffentlichten und einen kurzen Aufruf an unsere Leser brachten, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, veröffentlichten wir noch den Wandkalender für das Jahr 1990. In der folgenden und letzten Ausgabe - Nr. 52 vom 29. Dezember 1989- des Jahres, berichteten wir über erste Ereignisse in der Stadt, den gefahrvollen Voraussetzungen, unter denen wir die Publikation in der Redaktion und Druckerei erstellen konnten, um sie unseren Lesern zu bieten.
Erster provisorischer Stadtrat
Die Geschicke der Stadt mussten schnellstens auch in Griff bekommen werden. Die Initiative ging von Exekutivbüro der Munizipalität aus, dem Aurel Ghesa als Vorsitzender, Constantin Colonescu, Mircea Amariei, Corina Manu angehörten. Als erster Bürgermeister wurde Univ.-Prof. Dr.-Ing. Cornel Salajan bestimmt, der nur kurze Zeit die Funktion ausübte, und 1990 von Marius Costin ersetzt wurde. Diesem folgte Vasile Chiosa 1991, und dann ab 1991 bis zu den ersten Wahlen im Februar 1992 Ion Gon]ea. Am 9. Januar 1990 stand der erste provisorische Munizipalrat als Bürgervertretung. Diesem gehörten 57 Personen an, die von verschiedenen Unternehmen vorgeschlagen worden waren. Unter den Mitgliedern finden wir auch zwei Sachsen: Werner Lehni, der vom Kommunalunternehmen (GIGEL) vorgeschlagen worden war, und Pfarrer Burkhard Morscher. Die Ratsmitglieder wurden in 15 Kommissionen zugeteilt, die für die verschiedenen Belange Lösungen finden mussten. Werner Lehni wurde der Fachkommission Nr. 5 für Bewirtschaftung und Stadtplanung zugeteilt. Pfarrer Morscher der Kommission Nr. 7 für Bildung, Kultur, Wissenschaft und Kultus. Die Kommission Nr. 13 war für die Minderheitenproblematik und die der politischen Parteien zuständig. Dazu gehörte auch das Kronstädter Deutsche Kreisforum. Der gegenwärtige Bürgermeister der Stadt, George Scripcaru, war auch Mitglied dieses ersten provisorischen Rates als Mitglied der Kommission Nr. 10 für Jugend und Meinungsumfragen.
In der Satzung zur Konstituierung, Organisation und Funktion des Munizipalrates wurde vermerkt, dass die demokratisch gewählten Vertreter aus Unternehmen, der politischen Parteien diesem angehören. Der Stadtrat hat den Charakter eines Lokalparlamentes, ohne exekutive Macht und ohne politischen Ziele. Die Aufgaben des Stadtrates werden laut Beschlüssen festgelegt , die mit Mehrheit der Stimmen der Ratsmitglieder angenommen werden. Das Bürgermeisteramt, die Polizei, Feuerwehr, die dem Rathaus unterstellten Institutionen sind diesem untergeordnet.
Erinnerungen mit Werner Lehni aufgefrischt
Als 15-jähriger geht Werner Lehni, der 1937 in Reps geboren wurde, an die deutsche Abteilung der Technischen Mittelschule für Metallurgie aus Hermannstadt. Die Transformationen im Unterricht nimmt er bedingt auf sich, kommt 1956 nach Kronstadt. Nach dem Militär besucht er die Meisterschule für Wasserleitungen und Wasserwerke (1963 – 1965) ebenfalls in Hermannstadt. Anschließend arbeitete er in Zeiden als Meister wobei ihm auch die Wasserversorgung von Marienburg anvertraut wurde. In Zeiden wurde er wiederholt unter Druck gesetzt, der Partei beizutreten. Als ihn auch die Parteisekretärin der Stadt aufforderte diesen Schritt zu tun, antwortete er „Lassen Sie mich Kommunist sein auch ohne Parteibuch“. Darauf hin hatte er Ruhe. Nicht viel später wurde er mit der Leitung der Kläranlage von Kronstadt beauftragt, eine Zeit in der auch den Umbruch vom Dezember 1989 erlebte. Während der letzten Ansprache des kommunistischen Diktators kam er von der Kläranlage in die Stadt, ging am Galgweiher, um nach Hause in der Hintergasse zu gelangen. Da traf er erste Demonstranten an. Es machte einen Umweg und ging auf den Schlossberg, von wo man den Lärm der das Stadtgebiet umfasst hatte, hörte. Im Kofferradio hörte er wie Ceausescu beim Meeting ausgepfiffen wurde. Er begab sich zurück an seine Arbeitsstelle, wo Ruhe herrschte. Da bekam er einen Anruf vom Wasserreservoir beim russischen Heldenfriedhof beim Gesprengberg, um Unterstützung für die Sicherheit des Reservoirs zu verlangen. So wurde er von der Unternehmensleitung auch für den ersten provisorischen Stadtrat vorgeschlagen, der sich jeden Morgen traf, und wo Meinungen ausgetauscht wurden.
Mit Schrecken erinnert er sich auch heute noch als in Kronstadt bei Modarom, dem Kreisgebäude, vom Gesprengberg geschossen wurde, und in einer Nacht eine Kugel durch die Holzgardinen seines Fensters eindrang und neben dem Bett liegenblieb. Ein heftigen Schock erlitt dabei auch seine Tochter, die nur schwer darüber hinweg kam. In den Januartagen wenn er beim Stadtrat eintraf, nutze er auch die Gelegenheit um zur Redaktion unserer Wochenschrift zu kommen, wo das Deutsche Kreisforum seinen provisorischen Sitz bis zur Einweihung des Forumssitzes im Juni 1992 hatte, um sich als Forumsmitglied einzuschreiben. Er war ein treuer Besucher der Vortragsreihe der deutschen Volksuni, und ein konsequenter Leser der „Karpatenrundschau“, wobei er besonderes Interessen der Heimatkunde zeigt. In den darauf folgenden Jahren blieb er ein treues und aktives Mitglied des Forums, wofür ihm für das Jahr 2017 der Apollonia-Hirscher-Preis verliehen wurde.
In den Jahren seit er seinen Arbeitsplatz in Kronstadt bekam, war er auch ein reges Mitglied der Kirchengemeinde, gehörte dem Presbyterium in Bartholomä an, war 20 Jahre Kurator, ist auch heute Mitglied des Presbyteriums. Er erinnert sich auch heute als Anfang des Jahres 1990 der damalige Dechant des Kronstädter Kirchenbezirkes Pfarrer Johann Orendi eine Delegation mit einem Bus zu einer Informationsreise nach Deutschland entsendete, um sich über die Aufnahme unsere Landsleute die das Land fluchtartig verließen, zu interessieren. Dort hat er im Fernsehen von den im Juni in Bukarest stattgefundenen Unruhen erfahren. Die Reise an der sich Kuratoren, Presbyter im Raum Stuttgart beteiligten, war sehr ansprechend, die Leute sammelten viel Erfahrung obwohl auch einige vergaßen, bei der Heimfahrt in den Bus zu steigen.
Werner Lehni ist ein Gesprächspartner, der seine geschilderten Erinnerungen sowohl kritisch als auch objektiv einzuschätzen weiss. Es sind Erinnerungen, die mehrere Jahrzehnte umfassen, ausgehend von dem Zweiten Weltkrieg, den Willkürmaßnahmen die besonders anfangs der kommunistischen Diktatur gegen die deutsche Landesbevölkerung getroffen wurden, bis hin zu der vor 30 Jahren stattgefundenen politischen Wende und der demokratischen Entwicklung die darauf folgte.
Dieter Drotleff
Mit Werner Lehni sind offene Gespräche immer sehr interessant. Foto: der Verfasser.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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