Vor 50 Jahren
08.08.18
Sächsische Bauernhochzeit als Touristenwunsch
Am 3. Juli 1968 fand in Bukarest beim Zentralkomitee der RKP eine Beratung mit Wissenschaftlern und Kulturschaffenden deutscher Nationalität statt bei der abschließend Nicolae Ceausescu das Wort ergriff. Aus der Karpatenrundschau vom 5. Juli erfahren wir nicht, was er zu sagen hatte. Eine trockene Pressemitteilung mit den üblichen Klischees nennt nur die Namen der anwesenden Parteiführer (außer Ceausescu waren es Ion Gheorghe Maurer, Paul Niculescu-Mizil und Leonte Rautu) sowie die Liste der deutschen Vertreter aus Wissenschaft und Kultur die sich zu Wort meldeten. Auch gibt es, irgendwie überraschend, in den folgenden Ausgaben, keine Echos zu diesem Treffen, so wie es bei anderen Beratungen, Konferenzen, Reden Ceausescus üblich war. Eine Woche später, in der KR vom 12. Juli erscheint auf der Titelseite der Beitrag „Dichtung und Publikum“ von Hannes Schuster der von einem Zitat von Charles Baudelaire ausgeht: „Es liegt ein gewisser Ruhm darin, nicht verstanden zu werden.“
Nicht von allen verstanden wurde auch der Kronstädter Ingmar Brantsch und dessen in der Kulturbeilage des „Neuen Weg“ erschienenen Gedichte. Dazu, wie auch zu der Berichterstattung eines Gedichtvortrags von Frieder Schuller in Klausenburg, gibt es Kommentare in der KR auf Seite 2 die Leserbriefen und Standpunkt-Meldungen vorbehalten war.
Die Kulturszene jener Jahre war dynamisch und divers. Dafür seien hier nur einige Beispiele von Beiträgen genannt, die das im Juni und Juli 1968 in der KR reflektierten: „Jahr der Lyrik - Rückschau auf die Arbeit im Kronstädter Literaturkreis“ (Hans Schuller), „Engagement muss konkret sein“ - Gespräch mit Paul Schuster geführt von Horst Anger, „Fassbare, künstlerisch gestaltete Relativität“ - eine Rezension von Richard Adleff zum Roman „Der Mantel des Darius“ von Georg Scherg, „Die Leidenschaft des Gedankens – Erich Bergel eröffnete die Sommerspielzeit in der Weberbastei“ von Hannes Schuster.
Georg Scherg schreibt zwei Kolumnen für die KR: „Berge und Herzen“ und „Die Kunst des Lesens“.
Die „Karpatenrundschau“ verwöhnt ihre Leser auch mit internationaler Literatur und druckt Eugen Ionescu‘s Erzählung „Die Nashörner“ in deutscher Übersetzung ab. Auf dieser Erzählung fußt das 1960 verfasste gleichnamige weltbekannte Theaterstück – eine Parabel die die Atmosphäre wiedergibt „in der der Herdengeist, die Dummheit und Brutalität triumphieren konnten“, wie der Meister des absurden Theaters es selber sagt.
Chefredakteur Eduard Eisenburger kann den Raketenforscher Hermann Oberth in Feucht treffen und beschreibt ihn wie folgt: „Das markante Gesicht, die scharfgeschnittenen Züge verraten den Denker, die lebhaften Augen Kühnheit und Mut und seine lässigen Bewegungen, die den Fluss der Rede begleiten, einen Geduldsmenschen – die idealen Forscherzüge also.“
Der Tourismus profitiert auch von der Tauwetter-Phase des kommunistischen Regimes: Die Schulerau wächst und empfängt viele ausländische Touristen, wie das aus dem Beitrag „Treffpunkt Schulerau“ (gezeichnet: Hans Schässburger und Michael Kroner) ersichtlich ist. Die Kellner sind was Besonderes: „Hosen aus Hanf, Weste aus Hirschleder, Hemd aus grobem Leinen, metallbeschlagener Gürtel, opankenartiges Schuhwerk, Lammfellmütze. Die so ausgestatteten Burschen mit oder ohne Bartwuchs nennen ihr Revier ‚Sura Dacilor‘“ . Den Touristen gefällt das; manche möchten aber mehr: „Aber noch ein Touristenwunsch sei notiert: ONT möge ihnen die Teilnahme an rumänischen und sächsischen Bauernhochzeiten ermöglichen. Man möchte gerne altes Volksbrauchtum miterleben, um Land und Leute dadurch besser kennenzulernen.“
Für die Zinne ist eine Seilbahn geplant, meldet Architekt G. Servatius. „Bergfreunde, alt und jung, Schifahrer und solche die es werden möchten, sie alle erreichen in nur drei Minuten nahezu 1000 m Höhe. In einer weiteren Bauphase sollen noch ein Hotel und eine Gaststätte die Zinne krönen.“ Das Hotel ist, glücklicherweise, nie errichtet worden; die Gaststätte hat nicht den erhofften Erfolg - wissen wir heute, 50 Jahre später.
Ralf Sudrigian
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