Vor 70 Jahren:
03.06.22
Zwangsevakuierungen im Burzenland (II)
Frau H. L. aus Wolkendorf, damals noch Schülerin, berichtet: „Als ich an diesem Samstagnachmittag (3. Mai 1952) aus der Schule kam, standen vor unserem Haus Polizisten. Im Hof sah ich mehrere Männer in Ledermänteln. Mein Großvater musste ihnen die Personalausweise vorlegen. Meine Großmutter schüttelte ein Weinkrampf. Ich habe sie nie mehr so verzweifelt gesehen. In dem großen Durcheinander konnte ich nur so viel verstehen, dass am Montag, den 5. Mai, um 12 Uhr Haus und Hof geräumt sein müssten.“
Frau T. Z. aus Kronstadt erinnert sich: „Ich sollte unterschreiben, dass ich freiwillig räume. Ich habe mich geweigert und wurde dann auf der Miliz in der Blumenau in den Keller gesperrt und handgreiflich bedroht. Weil meine beiden Kinder allein in der Wohnung geblieben waren, habe ich dann unterschrieben.“
Christof Hannak hatte zwei Brüder, die zu der Zeit in Temeschburg studierten, nicht im Hausbuch eingetragen waren und somit nicht auf der Liste standen. Sie brachen sofort den Briefwechsel ab und schwiegen sie sozusagen tot. So entkamen sie und konnten fertig studieren.
Fehler auf diesen Listen hatten für manche schwere Folgen: So wurde eine junge Frau, die in einem Dorf neben Agnetheln als Lehrerin tätig war, von der Miliz verhaftet und mit Polizeieskorte nach Elisabethstadt gebracht, wo die Eltern evakuiert waren. Die Höhe war, dass sie dem Polizisten, der sie zu begleiten hatte, auch noch die Fahrkarte zahlen musste. Wenn nicht - hatte man ihr gesagt, müsse sie zu Fuß von Milizposten zu Milizposten „weitergereicht“ werden.
Ein rumänisches Ehepaar aus Kronstadt wurde auch evakuiert. Es war so arm, dass es sein ganzes Hab und Gut auf einen Handwagen packte und die 60 km nach Târgu Secuiesc zu Fuß auf der Landstraße zog. Dort angekommen, stellte sich heraus, dass es eine Verwechslung oder ein Irrtum war. Überglücklich zog das Paar seinen Wagen die 60 km wieder nach Kronstadt zurück.
Zu den einschränkenden und „erzieherischen“ Maßnahmen zählten auch die Arbeits-, die Wohnbedingungen und der begrenzte Schulbesuch. Der „Klassenfeind“ sollte umerzogen werden. Man schürte direkt den Hass, nicht nur gegen die Evakuierten sondern oft auch gegen ihre Quartiergeber.
Da die Evakuierungen im Mai erfolgt waren, hatten die Kinder das Schuljahr nicht beenden können. Manche taten das schwarz oder mit Sondererlaubnis. G. E. aus Târgu Secuiesc, fuhr mit einem Traktor die 60 km nach Kronstadt, um die Jahresendprüfungen abzulegen. Dabei waren die sächsischen Lehrer sehr entgegenkommend; die Onkels und die Großmutter fürchteten sich aber, ihn zu beherbergen. Fünf Jugendliche legten mit Sondergenehmigungen die Abschlussprüfungen der Kronstädter Handelsschule ab. Sie bekamen aber keine Zuteilung eines Arbeitsplatzes, wie die anderen; ebenso verweigerte man ihnen eine Empfehlung für den Hochschulbesuch.
Ein Junge wollte die Abschlussprüfung schwarz in Schäßburg ablegen und tat das auch. Auf dem Heimweg erwischte man ihn aber auf der Bahn und verhaftete ihn für eine Nacht.
Stellvertretend wie es den Evakuierten ergangen ist, schildert im Folgenden Marianne Groß aus Heldsdorf: „Die Stimmung im Dorf war seit Tagen sehr bedrückend. Fremde Polizisten waren ständig in den Straßen unterwegs und aus Kronstadt sickerte die Nachricht durch, dass viele Familien (aller Nationalitäten) bereits evakuiert, d. h. von ihrem Haus und Hof vertrieben wurden. In Heldsdorf ging es am 4. Mai in der Frühe los und zwar fast bei allen Betroffenen zur gleichen Zeit. Es waren eine Menge Menschen in dieser Sache tätig. Allein bei uns waren es sechs Polizisten, zwei bei meiner Mutter daheim, zwei bei meinem Vater am Arbeitsplatz und zwei bei mir. In aller kürzesten Zeit mussten wir unter Bewachung unsere Arbeitsplätze räumen, Kasse und Material schnellstens übergeben, um anschließend nach Hause geleitet zu werden. Sofort mussten wir alle drei unsere Ausweise abgeben und man teilte uns mit, dass wir binnen 3 Tagen Heldsdorf, d. h. den Kreis Kronstadt verlassen müssten. „Ihr könnt fahren, wohin Ihr wollt, das Land ist groß und Ihr könnt mitnehmen was Ihr wollt.“ Im Laufe des Vormittages sollten wir bei der Polizei melden, wohin wir zu reisen gedächten!
Was damals in uns vorgegangen ist, lässt sich nicht beschreiben, aber wir bemühten uns alle drei eisern, den Kopf nicht zu verlieren und klare Gedanken zu fassen. Verwandte und Freunde kamen, um mit Rat und Tat Hilfe zu leisten. Wir beschlossen, auf keinen Fall in einen Zug zu steigen, da uns bekannt war, was ein Jahr vorher mit den Leuten aus dem Banat geschehen war! (Verschleppung in die B²r²gan-Steppe, wo sie in selbstgegrabenen Erdlöchern hausen mussten.)
Als wir uns dann bei der Polizei meldeten, hatten wir plötzlich keine Wahl mehr in dem großen weiten Land, denn die meisten Gebiete waren „Für Leute wie Ihr seid“! Gesperrt, hieß es.
Was empfindet ein Mensch, wenn er plötzlich wie ein Schwerverbrecher behandelt wird? Für Leute wie Ihr seid, an dem Satz habe ich lange geschluckt.
Wir entschlossen uns für den Kreis Raco{, weil das auch nicht so weit war. Unsere Verwandten besorgten uns zwei Fuhrwerke und wir suchten zusammen, was man am dringendsten braucht. Alles andere aus Haus und Hof wurde irgendwo untergestellt oder aufgeteilt.
An dieser Stelle möchte ich betonen, dass uns wirklich sehr große Hilfe von Verwandten und Nachbarn geboten wurde, sowohl in diesen Tagen, als auch in den folgenden schweren Jahren und dass wir sehr dankbar dafür waren.
Als wir am dritten Tag mit unserer geschrumpften Habe zum Hoftor hinausfuhren, fing es fürchterlich an zu regnen und wir saßen zwischen Möbeln und Kisten unter Zeltplanen und fuhren in Richtung Geisterwald. Auf halber Strecke hatten wir am Autowagen eine Reifenpanne und wie ja damals die Zeiten so toll waren, fehlte das Reserverad. Die erste Nacht verbrachten wir also bei strömendem Regen, mitten auf der Landstraße und waren glücklich, als am nächsten Tag der Schaden behoben wurde und wir weiterfahren konnten. Wir sahen viele Menschen an den Straßen, die weinten, obwohl sie uns gar nicht kannten!
Eigentlich wollten wir nach Reps oder Umgebung, aber aus Raco{ durften wir nicht weiter. Raco{ war damals Kreisstadt.
Kaum dort angekommen, trafen wir auf der Straße gleich Bekannte aus Kronstadt und unsere Heldsdörfer waren auch schon dort. Familie Depner Andreas (Drusch), Familie Priester Erwin (Spergel), Familie Wagner Martha (Fluza).
Zwei Tage vor unserer Ankunft hatte man im Dorf bekanntgegeben, dass jeder, der einem Evakuierten hilft, selber evakuiert wird! Und dort sollte man nun eine Unterkunft finden? Welch ein Hohn, als man uns im Rathaus sagte: „In der Volksrepublik Rumänien hat jeder Mensch Anspruch auf eine Wohnung, Ihr müsst nur suchen!“
Aber die Ungarn hatten Herz und bewiesen Mut! Wir kamen nach langem Suchen in einer Scheune unter, Familie Drusch in einem Keller usw. Bekannte aus Kronstadt wohnten in einem Stall. Der Mann schlief in der Krippe – wie einst das Jesuskind!
Wir schlugen in der Scheune unser Lager auf und da es so kalt war, zogen wir für die Nacht alles an, was griffbereit war. Es gab manchmal schon sehr lustige Begebenheiten und wir haben oft lachen müssen, wenn wir uns gegenseitig erzählten, was einem da so alles widerfuhr.
Unsere Hausleute wollten uns über Nacht zu sich ins Haus nehmen, weil sie uns bedauerten, aber wir lehnten ab. Es hätte ja passieren können, dass jemand Kontrollen macht und wir wollten nicht schuld sein, wenn man sie deswegen auch davonjagt. Im Dunkeln brachten uns fremde Frauen Brot und heiße Milch, obwohl sie sich fürchten mussten, gesehen zu werden.
Als nach einigen Tagen niemandem im Dorf etwas passiert war, wurde es auch für uns leichter und wir gingen auf Wohnungssuche. Aber durch die vielen Behörden waren ja in den meisten freien Wohnungen Büros eingerichtet worden und es blieb nicht mehr viel übrig, was bewohnbar war. Doch irgendwann hatte schließlich jeder ein Dach über dem Kopf und eine Schlafstelle, wenn es auch in der Krippe war.
Am Anfang waren die Behörden ziemlich gemein zu uns, aber mit der Zeit besserte sich das auch. Nach vielen Wochen erhielten wir unsere Ausweise zurück und es prangte ein dicker fetter Stempel darin. Wir hatten Zwangsaufenthalt und durften den Ort nicht verlassen. Die Aussichten auf Arbeit waren gering, es gab nur die Wahl zwischen Steinbruch und Ziegelfabrik. Ich bekam gleich in den ersten Tagen Arbeit in einem Lebensmittelgeschäft als Kassiererin. Viele beneideten mich, aber schon nach zwei Tagen wusste ich, dass es schlimm werden würde. Nach einigen Wochen - der Laden war gerammelt voll - wurde ich vor allen Kunden aus der Kasse gezerrt, beschimpft und mit viel Trara hinausgeworfen.
Eigentlich war ich erleichtert, das Kapitel war zu Ende. Ich fand Arbeit in der Ziegelfabrik und hoffte nun sehr, endlich in Ruhe gelassen zu werden! Viele ungarische Männer aus dem Dorf und einige Leidensgenossen aus Kronstadt waren dort beschäftigt. Bei den Frauen gab es nur Zigeunerinnen und mich. Für eine Ungarin war es einfach unter ihrer Würde, dort zu arbeiten und unsere ungarische Hausfrau war hell entsetzt als sie hörte, dass ich dort arbeiten soll.
Inzwischen waren wir aus der Scheune ausgezogen und bewohnten nun einen früheren Lagerraum mit Lehmfußboden.
Anfangs waren meine Mitarbeiterinnen voller Misstrauen. Aber ich ließ mich diplomatisch von ihnen in die Kunst der Ziegelfabrikation einweisen und als sie merkten, dass ich das sogar kapierte, waren sie plötzlich wie verwandelt. Ich war ja aber gewiss eine sehr gelehrige Schülerin.
Bald tauchten aber auch dort die mir so feindlich gesinnten Genossen auf, um Kontrollen zu machen. Wir dachten uns unser Teil, denn die hofften wohl uns Evakuierte leiden zu sehen, aber den Gefallen tat ihnen keiner. Wir machten eine Melodie aus und sobald jemand diese Leute entdeckte, ertönte diese Melodie und alle pfiffen oder sangen mit. Am eifrigsten dabei waren meine Mitarbeiterinnen! Auf diese Art hatten wir bald alle vergrault, die zur Kontrolle kamen und nun endlich hatten wir Ruhe.
Wir Heldsdörfer waren viel zusammen, ab und zu kam auch Besuch aus Heldsdorf und das waren Festtage. So ging es auf und ab, jeder tat sein Bestes und ich habe meine Eltern bewundert, wie gelassen sie so manches hinnahmen und wie fröhlich wir oft miteinander sein konnten. Wenn ich zum Beispiel an Familie Priester denke. Vier kleine Kinder und diese Verhältnisse - und doch waren sie immer guter Dinge. Der Erwin heiterte jeden auf, wenn einer mal den Mut verlor. Wenn Geheimpolizei auftauchte, war es immer schlimm, meistens nahmen sie jemanden mit und viele sind nie wieder zurückgekommen. Es gab tragische Schicksale und viele Menschen, die sehr tapfer ihr Schicksal trugen.
Für mich waren es sehr lehrreiche Jahre, es war ein Gewinn, so viele bewundernswerte Menschen kennenzulernen und man gewann Freunde fürs ganze Leben. - Aber man verlor auch Freunde! Wir waren gestempelt und es gab plötzlich Menschen, die sich scheuten, mit uns befreundet zu sein, man hätte Schaden nehmen können - also wurden wir gemieden! Diese Dinge zu erkennen und zu schlucken, war manchmal schon sehr hart.
Irgendwann tauchten Delegierte aus Bukarest auf, suchten die Familien alle einzeln auf und befragten sie nach allen Richtungen. Es wurde festgestellt, dass wir alle zu Unrecht in die Verbannung geschickt wurden! Wir bekamen eine Adresse von einem Ministerium in Bukarest und sollten dort schriftlich um unsere Freiheit ansuchen. Das machten wir dann auch, allerdings ohne große Hoffnung!
Zwei Jahre vergingen und wir mussten abermals unsere Ausweise abgeben, aber diesmal erhielten wir dafür neue; ohne Stempel! Wir waren frei!!!
Wieder in Heldsdorf, hatten wir Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Man behandelte uns weiter als Gestempelte! Doch zum Schluss kamen fast alle, die evakuiert gewesen waren, auf der Staatsfarm unter und das hatten wir allein dem damaligen Direktor Samara zu danken.
Nun waren wir wieder daheim, angeblich frei, und im eigenen Haus - aber die Wurzeln waren abgerissen!“
Weil die Evakuierung aber im Leben der Betroffenen ein tiefer Einschnitt war, sind wir es ihnen schuldig, jetzt nach 70 Jahren darüber zu berichten bzw. zu erinnern. Dabei sei vermerkt, dass sie weder als Helden bewundert, noch als Opfer bemitleidet werden wollen. Auch wenn die meisten Zwangsevakuierten nach zwei Jahren Zwangsaufenthalt wieder befreit wurden und diese Aktion nicht die Härte besaß, die bei den Deportationen nach Russland, bei den Enteignungen, Verhaftungen und bei Zwangsarbeit kennzeichnend war, so haben sie doch gelitten. Man darf diesen Terrorakt und Übergriff des kommunistischen Nachkriegsregimes in Rumänien nicht vergessen.
Nach dem Ende des Kommunistischen Systems in Rumänien wurden diese Zwangsevakuierten als politisch Verfolgte des Regimes anerkannt mit entsprechenden Entschädigungszahlungen. Diese Entschädigungen wurden 2018 auch auf die nachgeborenen Kinder erweitert.
Stuttgart, April 2022 Karl-Heinz Brenndörfer
Quelle:
Christof Hannak: In drei Tagen hinaus (WIR HELDSDÖRFER Nr. 67, S.31 Weihnachten 1992)
Marianne Groß: Wir hatten das Gefühl, man hätte uns mit allen Wurzeln aus der Erde gerissen! (WIR HELDSDÖRFER Nr. 69, S. 26 Weihnachten 1993)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
25.10.24
Abschluss der Restaurierungsaktion im Rahmen der Vortragsreihe „Kulturerbe hautnah“ öffentlich vorgestellt
[mehr...]
25.10.24
Zum Band von Alfred Schadt: Zwischen Heimat und Zuhause. Betrachtungen eines Ausgewanderten
[mehr...]
25.10.24
Marienburg im Burzenland hat seit Kurzem ein amtlich bestätigtes Ortswappen/Von Wolfgang Wittstock
[mehr...]