Vor 70 Jahren:
20.05.22
Zwangsevakuierungen im Burzenland (I)
Anfang Mai 1952 fanden vorwiegend in Kronstadt und in den Burzenländer Gemeinden Zwangsevakuierungen statt. Ganze Familien wurden aufgefordert innerhalb von drei Tagen ihre Wohnungen zu räumen und Zwangsaufenthalt in vorgegebenen Orten zu nehmen.
Diese Evakuierungen waren „legal“, ein gesetzlich erlaubter Akt des Staatsapparates, denn die Behörden handelten nach dem Dekret Nr. 239/1952. Der Wortlaut dieses Dekrets wurde damals verständlicherweise nirgends veröffentlicht. Wie auch bei den Deportationen nach Russland hatte die örtliche Verwaltung Listen aufgestellt, nach denen die Kommissionen (manchmal war es auch nur ein Polizeibeamter allein) die Familien aufsuchten und die Leute aufforderten, die Wohnung - am Dorf Haus und Hof - innerhalb von 3 Tagen zu räumen und zu verlassen, um in bestimmten, dafür vorgesehenen und auserwählten Orten des Landes Zwangsaufenthalt zu erhalten. Man stelle sich vor, was es bedeutet, einen Bauernhof unerwartet in drei Tagen zu räumen; manchmal war die Frist noch kürzer.
Beim Räumen, Packen und Verladen halfen Verwandte, Freunde und Nachbarn. Bei denen wurden auch Sachen untergebracht, die man nicht mitnehmen konnte. Auf den Dörfern trat die Nachbarschaft in Aktion. In Kronstadt wurde vielen Evakuierten durch Schüler geholfen. Herr Prof. Franz v. Killyen, der damals Rektor der Honterusschule war, gab auch seinen Schülern zwecks Hilfsaktionen schulfrei, obwohl der Bevölkerung verboten wurde, den Evakuierten zu helfen. Er verlor nicht nur den Posten als Rektor, sondern musste zur Strafe ein Jahr lang in einer Fabrik arbeiten, von wo er mit gesundheitlichen Schäden blieb.
Am Abend vor der Abreise hatte Pfarrer Georg Schuller in Heldsdorf einen Gottesdienst besonderer Art abgehalten: es war der Abschiedsgottesdienst mit Abendmahl für jene, die Heldsdorf gerade als Zwangsevakuierte verlassen mussten. Er war von besonderer Art, weil er erstens in der Zeitfolge der im Kirchenjahr festgesetzten Gottesdienste nicht vorgesehen war, zweitens, weil der Anlass dazu eine noch nie dagewesene staatliche Aktion war, und drittens, weil neben Heldsdorf in keiner anderen Gemeinde des Burzenlandes, in denen zur gleichen Zeit auch Zwangsevakuierungen stattgefunden hatten, der örtliche Pfarrer den Mut gehabt hat, so einen Gottesdienst zu zelebrieren.
In vielen Fällen mussten die Evakuierten sich die Wohnung am Ort des Zwangsaufenthaltes selber suchen. Die Ortschaften, in denen die Evakuierten Zwangsaufenthalt erhielten, waren: Elisabethstadt, Raco{ul de Jos, Covasna, Târgu Secuiesc, Sfântu Gheorghe, Cadiseni, Câmpulung-Muscel, Reps, Turda, Lugoj und Gheorgheni. Die Kommission las den Betroffenen die Liste vor und man konnte sich den Ort des Zwangsaufenthalts wählen. Urziceni war auch auf der Liste, aber es hat niemanden hin gezogen. Manchmal kamen Leute auch in Ortschaften, die nicht auf der Liste standen, z. B. Lugoj, Mediasch.
Die Mehrzahl der evakuierten Heldsdörfer hatte sich für Elisabethstadt entschieden. Hier lebten überhaupt die meisten Evakuierten. Von der geschätzten Gesamtzahl der Evakuierten im Burzenland von 1500 Personen, wohnten 700, also knapp die Hälfte, in Elisabethstadt, das damals knapp 5000 Einwohner hatte und einen Bevölkerungszuwachs von 14% erfuhr. Das merkte man in der kleinen Stadt. In manchen Gassen waren fast in jedem zweiten Haus Evakuierte einquartiert.
Inzwischen haben die Archive der Securitate (http://www.cnsas.ro) eine Liste mit 56.468 Personalakten von Evakuierten mit Zwangsaufenthalt in Rumänien veröffentlicht. Die Betroffenen sind alphabetisch nach Familiennamen geordnet und es ist äußerst schwierig daraus die aus Kronstadt und dem Burzenland heraus zu schreiben.
Von der Zwangsumsiedlung waren betroffen „aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltete Angehörige der Bourgeoisie“ wie es im Gesetz hieß. Bei der Anwendung obigen Gesetzes herrschte absolute Willkür. Die Opfer waren nicht nur Sachsen, sondern auch Ungarn, Juden, Türken und sogar Rumänen. Es wurden auch Personen einbezogen, die irgendwie lästig waren oder auf die Mitmenschen größeren Einfluss hatten. Der Begriff „Klassenfeind“ war äußerst dehnbar. In Heldsdorf war es der Sänger (cantor) der orthodoxen Kirche, der nach Raco{ evakuiert wurde. Zur gleichen Zeit tauchte in Heldsdorf ein rumänischer Volksstamm besonderer Art auf - die Mazedonier oder Arumunen. Diese wurden aus der Dobrudscha nach Heldsdorf evakuiert. Zur Ironie des Schicksals kamen einige sogar in die Wohnungen der evakuierten Sachsen. Der Fotograf Ceahlera (Mazedonier) richtete sein Atelier in der Wohnung der evakuierten Familie Karl Wagner ein.
Was die Zahl der Evakuierten anbelangt, war Heldsdorf nach Kronstadt und Zeiden am stärksten betroffen. Wenn man vielleicht sagen kann, dass mit dieser Aktion in Kronstadt und Zeiden Wohnraum für Handlanger des Regimes geshaffen werden sollte, trifft dieses für Heldsdorf kaum zu.
Am Ort des Zwangsaufenthalts angekommen, bekamen die Leute den DO-Stempel und einen Vermerk in den Personalausweis (DO - domiciliu obligatoriu - Zwangsaufenthalt), mussten sich periodisch bei der Miliz (Polizei) melden und hatten begrenzte Bewegungsfreiheit. Den DO-Stempel haben alle Evakuierten bekommen, die Meldepflicht bei der Miliz war in Elisabethstadt anfangs täglich, dann alle 2 Wochen, später monatlich und zuletzt fiel sie weg. In Sfântu Gheorghe war sie wöchentlich und an allen kirchlichen Feiertagen; in Ortschaften mit wenigen Evakuierten (Câmpulung-Muscel, Sächsisch Regen, Lugoj) gab es keine Meldepflicht. Den Ort durfte man im Umkreis von meist 5 km (in Turda 10 km) nicht verlassen. Wer sich nicht daran hielt und erwischt wurde, hatte nichts zu lachen. Die Frau eines jüdischen Uhrmachers fuhr einmal „schwarz“ (nicht ohne Fahrkarte, sondern ohne Erlaubnis) nach Kronstadt, wurde erwischt, aus dem nahe des nächsten Bahnhofs noch rollenden Zug gestoßen und ein paar Tage lang in Haft gehalten. Frau S. W. aus Kronstadt hatte kurz vor der Evakuierung geheiratet und besaß noch das „Buletin“ (Personalausweis) mit dem Mädchennamen. Das nützte sie aus und fuhr einmal zu ihrem nichtevakuierten Mann nach Kronstadt. Sie wurde erwischt, verhaftet und bekam ihr Kind im Gefängnis.
Als 8-jähriger Junge kann ich mich noch gut erinnern wie diese Aktion in Heldsdorf verlaufen war. Der 1. und 2. Mai verlief noch wie gewöhnlich. Die in Kronstadt ihren Arbeitsplatz hatten, mussten hier am Arbeiteraufmarsch (Defilieren) teilnehmen. Damals wurde auch am 1. Mai an der Tribüne, wo die Lokalgrößen aus Partei, Verwaltung und Wirtschaft saßen, vorbeimarschiert. Die anderen freuten sich zwei Feiertage zu haben. Am 4. Mai begann eine Kommission durch die Straßen zu gehen und die Evakuierungsbefahle zu verteilen. Dieser Kommission gehörten neben einigen Funktionären vom Rayon (Rayon Stalin hieß unsere Region damals) auch Popescu Gheorghe sowie Ciuc² Gheorghe an. Einziges uniformiertes Mitglied der Kommission war der damalige Milizchef von Heldsdorf Popescu Teofil. Haufenweise und voller Erregung standen die Heldsdorfer auf der Straße, wenn die Kommission auftauchte. Sobald sie sich näherte, verschwanden die Leute in den Höfen und kamen danach gleich wieder heraus, um zu sehen, wohin die Kommission hineingeht. Jemand aus der Türkgasse erzählte mir: „Ich stand mit dem Fahrrad bei der Kaserne und sah die Kommission bei der Neugasse kommen. Als ich sicher war, dass sie an meinem Haus vorbei waren, fuhr ich erleichtert weiter nach Neudorf.“ Sobald jemand den Evakuierungsbefehl erhalten hatte, verbreitete sich dieses sofort im ganzen Dorf und die Verwandten, Freunde und Nachbarn kamen, um beim Packen mitzuhelfen.
Eine Begebenheit hat sich mir besonders eingeprägt, obwohl ich nur acht Jahre alt war. Es war Abenddämmerung und es regnete. Mit einem Spielkameraden standen wir vor dem Krämerladen von Frau Rosa Els in der Türkgasse Nebenan ging das Tor auf und zwei mit Zeltplanen bedeckte LKWs fuhren heraus und blieben auf der Straße stehen. Unter den Planen konnte man Kleiderschränke u. a. Möbel erkennen. Das Tor wurde von Martin Horwath-Szocsory geschlossen. Er ging bis zur Straße, drehte sich um und verweilte so einige Zeit mit entblößtem Kopf. Er hatte Tränen in den Augen. Dann bestieg er den 2. LKW und sie fuhren langsam davon. Jahrelang danach habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was wohl in dem Augenblick in seinem Kopf vorgegangen sein möge.
Anlässlich des 40. Jahrestages seit den Evakuierungen hatte Christof Hannak (selbst ein Evakuierter)1992 eine Umfrage unter den Betroffenen gestartet, um das Ausmaß der Aktion zu ergründen. Es war damals der einzige Weg, auf alle mit der Evakuierung zusammenhängenden Fragen eine Antwort zu erhalten, um ein möglichst umfassendes und objektives Bild der Geschahnisse zu zeichnen. So eine Aktion ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden, da nicht alle bereit waren ihre Erlebnisse zu schildern. Die meisten Zuschriften auf seinen Aufruf erhielt er neben Kronstadt aus Heldsdorf.
Mit ihren Berichten haben sie dazu beigetragen, eine breitangelegte Dokumentation zu erstellen (WIR HELDSDÖRFER Nr. 67 S.31). Es waren z. T. erschütternde Berichte, Schilderungen von schicksalsschweren Leidenswegen.
Frau A. Z. schreibt: „Wir hatten eine Bauernwirtschaft in Heldsdorf. Von unseren sechs Kindern waren noch vier in der Schule. Mein Mann wurde 1945 zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert. In den Jahren 1945-46 hatte man uns den Grund enteignet, auch das Vieh und alle Geräte genommen. Wir mussten uns als Tagelöhner das tägliche Brot verdienen. Auf unserem Hof und in die Ställe war die Staatsfarm eingezogen. Im Jahre 1948 erhielt ich durch einen Freund die Nachricht, dass mein Mann in Russland gestorben war. Das war ein harter Schlag.“
Die Hauptwelle der Massenumsiedlungen fand Anfang Mai 1952 statt. Es gab aber auch noch Ende Mai und sogar noch im September 1952 vereinzelte Fälle von Evakuierungen unter den Sachsen.
Betroffen waren alle sächsischen Gemeinden des Burzenlandes und vor allem Kronstadt, von wo - genaue Zahlen kennt man nicht - etwa 1000 Personen zwangsevakuiert worden sind. Vereinzelt wurden auch noch Leute bzw. Familien aus Törzburg, den Siebendörfern, Broos, Mühlbach und dem Banat umgesiedelt.
Die Reise ins Ungewisse dauerte bei manchen 3 Tage und 3 Nächte lang, auch wenn es bis zum Ort des Zwangsaufenthalts nur 60 km waren. Man stand halbe Tage lang auf irgendwelchen Bahnhöfen und wartete. Frau A. Z. aus Heldsdorf schreibt: „Wir taten uns mit allen Leidensgenossen zusammen und nahmen für jede Familie einen Waggon. Dorthin luden wir Möbel, (Brenn-)Holz und Lebensmittel - was wir hatten - ein. Viele gute Freunde und Nachbarn halfen uns. Am Abend des dritten Tages gingen wir noch einmal in die Kirche zum Abendmahl. Dann ging die Fahrt hinaus in die Nacht. Es war eine kalte Nacht. Wir drückten uns zwischen Möbeln und Holz herum, schlafen konnten wir nicht. Am nächsten Morgen kamen wir in Schäßburg an. Da nahm man uns nicht an; es war kein Platz mehr. Wir mussten weiter nach Mediasch. Dort standen wir einen halben Tag lang bei der Miliz und warteten auf Bescheid. Es war auch dort kein Platz. Wir mussten am nächsten Tag zurück nach Elisabethstadt. Dort angekommen, ging ich wieder zur Miliz. Müde und hungrig wartete ich dort bis gegen Abend, bis sie uns ein Quartier anwiesen ... Was für ein Quartier? Wir mussten zuerst die Hühner ausquartieren und dann den ärgsten Schmutz putzen. Am nächsten Tag strichen wir die Wände mit Kalk und pferchten dann die Sachen hinein. Zuerst kauften wir Mausefallen, denn Mäuse und Ratten und Nacktschnecken waren dort in Massen ...“
Die Kommissionen die, die Evakuierungen anordneten, waren nicht sehr freundlich; so schreibt Herr Dr. P. Sch. aus Kronstadt: „Anfang Mai 1952 drangen plötzlich ohne Voranmeldung mehrere unbekannte Personen, teils in Uniform, teils in Zivilkleidung, in die in Kronstadt ... gelegene Wohnung ein. Unter massiven Drohungen forderten sie die Eheleute auf, die Wohnung innerhalb von 3 Tagen zu verlassen...“
Karl-Heinz Brenndörfer
Fortsetzung folgt in der Nummer 22 der KR
Hans Otto Tittes und Walter Depner als Schüler beim Transport von Lehm zur Ziegelherstellung. Foto von H. O. Tittes
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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