WALTHER GOTTFRIED SEIDNER
09.07.09
Schön langsam verließen sie die Bruthenne und gingen oder paddelten ihrer eigenen Wege. Ich musste sie täglich mit Maisschrot, Salat und Zwiebelschoten versorgen - und so gewöhnten sie sich an mich.
Als ein Wolkenbruch in die Gemeinde nieder klatschte, und ich die gefährdeten Entlein einfangen wollte aus Angst, das Hochwasser könnte sie mit sich fortreißen, bemerkte ich mit Grausen, wie sie in ein zur ebenen Erde liegendes Zementrohr hinein schwammen. Alle sieben. Das Rohr - etwa 4 m lang und 75 cm im Durchmesser - sollte eine Brücke bilden zur neu eingerichteten Pilz-Sammelstelle. Es lag in einer deutlichen Neigung zur Waagerechten: am linken Ende völlig im Sumpf versunken. Man hatte es einfach vom Trecker herab rollen lassen. Als nun das Wasser des Wolkenbruchs angerauscht kam und die Straße allmählich überflutete, schwammen die sieben Entlein aus einem unerfindlichen Grund geradewegs unter die unfertige Brücke. Das linke Ende steckte wie gesagt im Sumpf und war verstopft, so dass das Wasser nicht hindurchfließen konnte.
Aus dem oberen Ende der Gemeinde kam nun Welle um Welle angerollt. Der Wasserspiegel stieg von Minute zu Minute. So musste ich mich entschließen, auf der Stelle in das Zementrohr einzudringen, um die Entlein vor dem Ertrinken zu retten. Ich selbst musste sehr vorsichtig in das lange Rohr eintauchen und sofort wieder zurück kriechen, eher noch schwimmen, damit mich ein etwaiger Wasserschub nicht dort drinnen überraschte. Es war im Juni und der Regen war warm wie das Gefieder einer Bruthenne. Das Innere des Rohres war bereits zu drei Vierteln vollgelaufen, also schob ich mich bäuchlings in die lange Zementröhre. Sobald es mir gelungen war, ein Entlein zu packen, steckte ich es in mein offenes Hemd. Als ich sie alle beieinander hatte, flatterte es mir nur so um die Brust.
Rettung in letzter Minute.
Als ich wieder draußen war, drängte sich auch schon Welle an Welle heran und das Rohr wurde voll, ja es wurde sogar weit überspült. Es regnete heftig und meine Hauskleider wurden so zur Not von dem Schlamm ausgewaschen, den ich den Rohrwänden abgestreift hatte.
Die Entlein trug ich in den Hof, schloss das Gassentor hinter mir zu und entließ sie erstrecht ins Wasser. Es reichte fast bis zum Brunnen - immer noch knietief.
So hoch ist das Wasser nie wieder nach einem Wolkenbruch angestiegen.
Ich meine, durch diese Rettung sind mir die Entlein buchstäblich ans Herz gewachsen und ich ihnen auch. Sie wuchsen sich schließlich aus zu richtigen Enten und wenn sie nur einen Wortlaut oder einen Pfiff von mir hörten, ging es munter los mit: „Mak, mak, mak, mak“. Meine Nachbarn kennzeichneten ihre Enten, indem sie ihnen allerlei Ölfarben auf das Rückengefieder schmierten: - damit es zu keinen Verwechslungen käme, versteht sich. Meine Enten blieben die einzigen, die nicht bezeichnet werden mussten. Ein einziger Aufruf hätte genügt - und sie hätten sich alle um mich versammelt, oder sie hätten mit lautem Geschnatter geantwortet.
Und dann kam es wieder einmal zu einem Begräbnis. Vor mir gingen die Adjuvanten, ich ging dem Sarg voran, hinter mir die sechs Sargträger mit dem Sarg, dann kamen die Leid tragenden Hinterbliebenen und als Nachhut die Nachbarschaft. Die Hündin ging schon längst an meiner rechten Seite. Als wir in die Nähe des Aufstiegs zum Friedhof ankamen, fliegt plötzlich der Gänserich mit geschmeidigem Flügelschlag aus der Höhe hernieder. Ich will ihn auch sofort dazu veranlassen, nach Hause zu fliegen. Aber so sehr ich ihn mahne, er will nicht von meiner linken Seite weichen. Die Enten, die im Sumpfgelände ihr Wesen hatten, hörten meine entschiedenen Befehlslaute und schlugen Alarm. Zuletzt folgten auch sie ihrem Herren. Immerhin gingen sie dreißig Schritte im Trauerzug mit - aber nur bis an das Tor zum Kirchhof. Dort machten sie Kehrt, wandten sich erneut dem Sumpfgelände zu - und ich war sie los. Mit ihnen verließ mich auch der Gänserich. Nur Linda die Hündin wartete bis die Geräte und das Seil auf die Schultern geladen wurden – verfolgte uns bis zum Friedhofstor, dann kehrte auch sie um.
Das Nachspiel war unausbleiblich. Kurator Michael Roth hielt mir vor, ich solle meine Tiere doch gefälligst einsperren, besonders, wenn ein Begräbnis anstünde; „denn“, so fügte er hinzu, „die Romänner lachen von uns“. Und in etwas milderem Ton: „Es ist nicht leicht, den Leuten auf die Zunge zu treten; denn den Mund der Leute kann man nur mit Erde stopfen“.
Von hinfort sperrte ich die Tiere ein, wenn es wieder ein Begräbnis zu bestellen galt. So kam es in der Folgezeit zu keinen weiteren unliebsamen Zwischenfällen. Oder zu fast keinen.
Ja aber dann starb Onkel Petza, mit bürgerlichem Namen Georg Bolta, ein Mitglied der Blaskapelle, seines Zeichens Zimmermann. Sein Großvater hieß Peter Bolta. Von ihm erbte er den Hof und den Dorfnamen Petza.
Schon früh am Morgen sperrte ich Gregor, den Gänserich, und Linda, die Hündin, in den Holzschopfen. Nur die Enten waren schon „ausgeflogen“. Ich pfiff laut und erwartete eine Antwort aus dem Sumpfgelände, doch es antwortete mir niemand. Eine Nachbarin teilte mir im Vorübergehen mit, sie habe die „ungeschminkten“ Enten nach dem Weiher hin watscheln sehen. Das beruhigte mich einstweilen. Wenn ich hätte vorausahnen können! -
Beim Sitz der Kollektivwirtschaft gab es hinten im Garten einen Weiher, den eine höher gelegene Quelle speiste. Dort wurden die Pferde, aber auch die Trecker und der Lastkraftwagen der LPG1 gewaschen. Sehr oft versammelten sich im seichten Wasser die Enten der Gemeinde, die angemalten und meine ungezeichneten. Wäre noch hinzuzufügen, dass der Weiher unterhalb des Friedhofs lag, vielleicht fünfzehn bis zwanzig Meter Luftlinie, in einer Flucht mit dem Friedhofstor.
Aber zurück zu Onkel Petza.
Im Hof des Trauerhauses wurde der 90. Psalm aufgesagt, ebenso das Trostwort aus Röm. 14. Zwei Choräle wurden gesungen, und mit den Trauerklängen der Adjuvanten ging es los zur Einseligung auf dem Friedhof, am Kirchturm vorbei, hinter dem Pfarrgarten auf dem oberen Weg entlang bis hin zum lauschigen Ort der Ruhe. Auf dem Sarg war ein Blumenkranz befestigt und darauf lag das Bassflügelhorn, das der Verstorbene bei Leben seiner, wie es auf Sächsisch heißt, geblasen hatte.
Das Grab war fertig geschaufelt.
(Fortsetzung folgt)
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