Wirbel eines ungebrochenen Rückgrats
13.01.22
Ein Band über den antikommunistischen Widerstand in Rumänien
Die Literatur zu Widerstand und Freiheitskampf in vom kommunistischen Regime unterdrückten Rumänien ist um ein Band größer geworden. „Vertebre românești” („Rumänische Wirbel“) heißt der Titel des Buches das Iulian Cătălui, Appolon Cristodulo und Vasile Mitric-Ciupe verfasst haben. Es ist dem antikommunistischen Widerstand gewidmet und setzt jene ins Rampenlicht die für ihren Kampf für Freiheit unermessliches Leid, sogar ihr Leben, in Kauf nehmen mussten. Es sind, nach Auffassung der Autoren, Leute, die das Rückgrat einer Nation ungebrochen gehalten haben, Wirbel die eine moralisch gesunde Wirbelsäule bilden und tragen. Es sind Helden und Opfer. Der Band will ihre Erinnerung aufrecht erhalten und versteht sich als Brücke der Gegenwart zu einer Vergangenheit von der man immer weniger weiß, wenn man überhaupt noch darüber etwas wissen will.
Der Band lässt ehemalige politische Häftlinge zu Wort kommen. Es sind Leute die in einem hohen Alter stehen – die letzten Zeugen einer Zeit die im Zeichen von Hammer und Sichel stand, den Wahrzeichen der kommunistischen Ideologie. Im Buch werden ihre Aussagen in den historischen Kontext gesetzt und kommentiert. Bei der Lektüre wird schnell ersichtlich, wie komplex dieser Themenbereich ist und auch wie schwierig es ist, damit umzugehen ohne selber als voreingenommen zu gelten und ideologischen Klischees zu Opfer zu fallen
„Der Kommunismus hat dem Himmel Heilige zugeführt.“ Diese auf den ersten Blick paradoxe Aussage des orthodoxen Pfarrers Arsenie Papacioc (1914 – 2011), er selber zu langjähriger Haft in den kommunistischen Gefängnissen verurteilt, zollt ein Tribut all jenen, die für ihr Glauben ihre Freiheit opferten, die keine Kompromisse mit den Machthabern eingingen. Viele sprachen ihren Zellgenossen Mut und Hoffnung zu, teilten brüderlich die viel zu geringe Brotration, verzichteten sogar auf Medikamente für jene die sie dringender brauchten. Die Kirche der sie angehörten, war im Kerker von zweitrangiger Bedeutung. Das ist wichtig zu unterstreichen, denn noch ist die Meinung zu hören, dass die orthodoxe Kirche als Staatskirche nicht so kämpferisch auftrat wie z.B. die griechisch-katholische Kirche, welche das Regime 1948 verboten hatte. Aber Namen wie Gheorghe Calciu-Dumitreasa, Nicolae Bordașiu, Iustin Pârvu, Liviu Brânzaș stehen für viele weitere andere orthodoxe Geistliche die, wie auch ihre anderskonfessionellen Amtsbrüder (z.B. Vladimir Ghika, Richard Wurmbrandt), unter Folter und Hunger zu leiden hatten. Dass die orthodoxe Kirche zögert, einige dieser Märtyrer – das bekannteste Beispiel dürfte Arsenie Boca sein – heilig zu sprechen, stößt auf das Unverständnis der Verfasser. Ein theologisches Argument regt zum Nachdenken an: solange noch jene am Leben sind, die die Schuld am Leid und Tod der in Frage kommenden Priester und Mönche tragen, kann und will die Kirche in dieser Hinsicht nichts unternehmen. Denn dann müsste sie die Schuldigen anprangern und das könne die orthodoxe Kirche nicht tun.
Problematisch wird es auch, wenn man die legionäre Vergangenheit vieler prominenter Häftlinge berücksichtigen muss. Das waren nicht nur einige Pfarrer, sondern auch Studenten, Bauern, Partisanen, Journalisten und Dichter. Nicht jede antikommunistische Einstellung steht für eine demokratische, fortschrittliche Gesinnung – eine Tatsache, die zu leicht übersehen wird. Es geht sogar noch überspitzter zu: bis 1945 gab es sogar Überläufer aus den Reihen der Legionäre in die kommunistische Partei die erst später entlarvt und eingekerkert wurden.
Ein besonders grausames Kapitel im „rumänischen Gulag“ war das sogenannte „Experiment Pitesti“ wo unter äußerst brutalen und entwürdigenden Mitteln Häftlinge ihre Zellgenossen durch Folter und Prügel „umerziehen“ sollten. So wurden Opfer zu Tätern. Beeindruckend sind die Aussagen des Kronstädters Nicolae Purcărea über die physischen und psychischen Qualen die er durchmachen musste. Dass selbst einer der bekanntesten politischen Häftlinge Rumäniens, Pfarrer Calciu-Dumitreasa, bei dieser Umerziehung mitmachen musste, beweist, wie umstritten diese Episode auch heute noch bleibt. Dass manche politische Häftlinge beim Verlassen der Haftanstalten nachdem das kommunistische Regime 1964 ihre Freilassung angeordnet hatte, zu einer Mitarbeit mit der Securitate gezwungen oder erpresst wurden, deckt auf, wie schwer eine Trennlinie zwischen Held – Opfer – Mitläufer – Verräter gezogen werden kann. Deshalb sollte man sich auch nicht beeilen, Urteile zu fällen. Das heißt aber nicht, die Dinge zu verharmlosen, z.B. wie Ex-Präsident und vermutlicher Securitate-Informant Traian Băsescu der zwischen einer bösen Securitate und ab 1965 einer weniger bösen Securitate unterscheidet. Oder jene die der kommunistischen Propaganda zum Opfer fallen und meinen, dass bewaffnete Widerstandskämpfer in den Bergen, die sich jahrelang versteckt hielten, irgendwie doch etwas mit „Banditen“ gemeinsam haben. „Warum war der Kommunismus in Rumänien grausamer (rum. „mai al dracului“) als anderswo?“ „Einfach! Weil auch der Widerstand dementsprechend war“, antwortet einer der prominentesten politischen Häftlinge, Marcel Petrișor, mit Verweis auf den bewaffneten Kampf einzelner Gruppen in den Karpaten gegen das kommunistische Regime und die Unterordnung des Landes an die Sowjetunion.
In dem umfangreichen Band (702 Seiten, mit Namens- und Ortsregister sowie Schwarzweiß-Fotos) ist ein Kapitel auch den Deutschen in Rumänien gewidmet. Der vollständige Titel lautet: „Die Deutschen in Rumänien. Feinde der Sowjetunion“. Das lässt aufhorchen denn im selben Atemzug kann man sich die Frage stellen: „Stimmt das so wirklich?“ Außer der Tatsache, dass solche Verallgemeinerungen von Anbeginn zu vermeiden sind, erinnert diese Aussage an Schlagworte von 1945 und aus der Zeit des Kalten Krieges, an kommunistische Propaganda die solche kollektive Feindbilder in die Welt setzte. Da die Anführungszeichen fehlen, kann man glauben, dass die Verfasser in der Tat meinen, die Siebenbürger Sachsen, die Banater Schwaben und die anderen Rumäniendeutschen hätten in ihrer Gesamtheit eine antisowjetische und somit antikommunistische Einstellung bewiesen. Das kann für manche, aus der heutigen, aber aus einer rechtslastigen und populistischen Perspektive, als Lob gelten. Wenn man solche Gedankengänge weiterführt, kann man zur Schlussfolgerung gelangen: „Dann war ja die Russlanddeportation rechtfertigt!“, was inakzeptabel ist und bleibt.
Im Text wird die Zahl der Rumäniendeutschen auf Grund der letzten Volkszählung mit 26.000 angegeben. „Das Verschwinden, denn wir können es nicht anders nennen, quasi der gesamten Ethnie, ist vollständig vom Kommunismus verursacht worden.“ Genannt werden drei Etappen dieses Verschwindens: russische Besatzung und Deportation samt deren Folgen, Auswanderung nach Deutschland vor allem in den 1970-Jahren („227.000 Deutschstämmige waren freiwillige Opfer dieses Experiments“ heißt es im Buch wobei man von einem Verkauf durch Ceaușescu oder Zitat im Text, „man kann es auch so sagen“ von einem Kauf durch Westdeutschland spricht) und die Auswanderungswelle nach 1989 als die Grenzen sich öffneten. Nachdem es am 22. Dezember 1989 hieß, die kommunistische Diktatur sei abgeschafft, entschied sich die Mehrzahl der in Rumänien lebenden Deutschen trotzdem zur Auswanderung nach Deutschland. War da der Kommunismus entscheidend? Da kann man geteilter Meinung sein: Vielleicht ja; durch alles was er verursacht hatte und durch die Furcht, es handle sich im Dezember 1989 nicht um einen endgültigen Abschied von dieser Gesellschaftsordnung. Vielleicht aber auch nicht: andere Gründe waren ausschlaggebend, die Heimat zu verlassen.
Im Band werden stellvertretend zwei symbolische „rumäniendeutsche Wirbel“ vorgestellt: der Schriftsteller Hans Bergel (geb. 1925 in Rosenau, seit 1968 in Deutschland, 1959 zu 15 Jahren Zwangsarbeit im Kronstädter Schriftsteller Prozess verurteilt) und die inzwischen leider verstorbene ehemalige Russlanddeportierte Otilie Gross aus Bartholomä, Kronstadt. Die Wahl ist nicht zufällig: Bergel ist heute der bekannteste zeitgenössische antikommunistische Kämpfer aus den Reihen der deutschen Minderheit in Rumänien. Über sein Schicksal befragt, antwortet er: „Nicht ich habe mir meinen Weg im Leben gewählt. Er wurde mir vorgezeichnet von der Zeitepoche in die ich hineingeboren wurde, und, zweifellos, von meinem Charakter.“ (A. d. Red.: deutsche Übersetzung des Verfassers). Otilie Gross ist eine der zu vielen Opfer der Russlanddeportation, stellvertretend für alle die unschuldig von zu Hause verschleppt wurden allein wegen ihrer deutschen Abstammung. „Ich habe überlebt“, lautet der Schlusssatz ihrer Erinnerungen. Keine Heldentat, aber ein persönlicher Sieg über ein allmächtiges unmenschliches Unterdrückungssystem.
„Vertebre românești“ (erschienen 2020 im Bukarester „Eikon“-Verlag, von wo es zum Preis von 75 Lei bestellt werden kann) ist eine weit gefächerte Dokumentation über den antikommunistischen Widerstand in dem vor allen die Aussagen der ehemaligen politischen Häftlinge als wertvolle Zeitdokumente in Erinnerung bleiben. Sie beweisen, dass Begriffe wie Freiheit, Mut, Solidarität, Nächstenliebe nicht abstrakt bleiben, auch wenn Verzweiflung, Schmerz, Trauer sie oft begleiten. Dass bei ihnen eine unnachgiebige Haltung und kompromisslose politische Überzeugungen stärker als bei anderen zum Ausdruck kommen, machen sie zu bemerkenswerten Persönlichkeiten. Dass manchmal versucht wird, sie zu Vorkämpfern für ganz unterschiedliche, sogar fragwürdige Ziele zu instrumentalisieren, kann ihre Verdienste nicht mindern.
Ralf Sudrigian
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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