„Zeugnis einer Freundschaft zwischen zwei Männern unterschiedlicher Herkunft”
20.05.22
Ausstellung um das älteste Dokument in rumänischer Sprache
Jeder, der in Rumänien in die Schule gegangen ist, kennt den Brief von Neacsu aus Câmpulung aus dem Geschichte-Unterricht. Das berühmte Dokument ist schon über fünf Jahrhunderte alt und ist der älteste in rumänischer Sprache verfasste Brief. Zum Europatag 2022 kehrte der Brief wieder an den Ort zurück, an den er versandt wurde: das Alte Rathaus am Kronstädter Marktplatz. Hier fand die Eröffnung der Ausstellung „Die Geschichte des ältesten Dokumentes in rumänischer Sprache” statt.
Der Brief wurde am Vormittag des 9. Mai 2022 vom Staatsarchiv zum Kreismuseum für Geschichte transportiert. Obwohl es sich um einen nur 200 Meter langen Weg handelt, wurde der Transport von Gendarmen und Polizisten begleitet. Die Kronstädter Filiale des Staatsarchivs hat auch in der Vergangenheit mehrere Ausstellungen organisiert, in denen das wertvolle Dokument gezeigt wurde, doch eine Ausstellung in einem Museum hat mehr Sichtbarkeit, und die Museumsnacht am 14. Mai sorgte dafür, dass sehr viele Kronstädter die Gelegenheit hatten, den Brief zu sehen.
Die zweisprachige Ausstellung (rumänisch-deutsch) zeigt zahlreiche Originaldokumente aus dem Staatsarchiv, darunter auch den berühmten Brief des Neacsu aus Câmpulung und den rumänischen Kronenorden an Archivar Friedrich Stenner für das Auffinden des Briefes. Die Veranstaltung wurde vom Kronstädter Geschichtsmuseum in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv, dem Siebenbürgen-Institut an der Universität Heidelberg, dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien, dem Department für Interethnische Beziehungen und dem Kronstädter Kreisrat organisiert.
Vor mehr als fünf Jahrhunderten verschickt
Der Brief des Neacsu aus Câmpulung ist das älteste bekannte Dokument in rumänischer Sprache. Der Brief wurde 1521 vom Kaufmann Neacsu Lupu in Câmpulung in kyrillischer Schrift verfasst und an Johannes Benkner, Stadtrichter von Kronstadt adressiert. Er enthält Informationen über einen bevorstehenden osmanischen Angriff auf die Walachei und möglicherweise auch auf Siebenbürgen. Wiederentdeckt hat das Dokument 1894 der Kronstädter Archivar Friedrich Wilhelm Stenner. Der Brief von Neacsu hat eine große Bedeutung für die rumänische Kultur und wird im Staatlichen Archiv aus Kronstadt aufbewahrt. Eine Kopie befindet sich im Museum der Druckerei und alten rumänischer Bücher in Târgoviste.
„Es ist nicht leicht, den Brief in einer Ausstellung zu zeigen. Es müssen bestimmte Bedingungen gewährleistet werden, das Dokument muss vor den Faktoren geschützt werden, die dazu führen können, dass sich sein Zustand verschlechtert. Und unsere Methoden sind nicht gerade fortgeschritten. Denken wir nur daran, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten im Nationalarchiv Amerikas in einer permanent klimatisierten Box mit Sicherheitsglas für diejenigen aufbewahrt wird, die sie sehen möchten. Wir sind weit von diesem Standard entfernt, aber wir versuchen, das Dokument so gut wie möglich zu erhalten“, meinte Bogdan Popovici, Leiter der Kronstädter Filiale des Staatsarchivs.
„Kooperation zwischen Siebenbürger Sachsen und Rumänen“
Bei der Vernissage ließ der Gastgeber, der Leiter des Geschichtsmuseums Nicolae Pepene, die Gäste aus nah und fern willkommen. An der Veranstaltung beteiligten sich Kerstin Ursula Jahn, die deutsche Konsulin in Hermannstadt, Cristian Anita, Leiter des rumänischen Staatsarchivs, Benjamin Józsa, Geschäftsführer des DFDR, Thomas Sindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens, Adrian Vestea, Kreisratvorsitzender und Sebastian Rusu, Vize-Bürgermeister.
„Wahre Schätze wurden für diese Ausstellung zusammengetragen. Und doch gibt es einen Star: der bekannteste Brief Rumäniens. Viele wertvolle Dokumente wurden bis in unsere Tage erhalten. Der Brief ist das Zeugnis einer Freundschaft zwischen zwei Männern unterschiedlicher Herkunft: Neacsu und Johannes Benkner. Dank dieses Briefes wurde ein Verteidigungsplan aufgestellt und die Stadt wurde nicht von der osmanischen Armee angegriffen”, erklärte Konsulin Kerstin Ursula Jahn in ihrer Rede. Sie erinnerte auch an den Kronstädter Archivar Friedrich Stenner, der den Brief im Jahr 1894 im Archiv entdeckte und seinen Fund den rumänischen Forschern Ioan Bogdan und Grigore Tocilescu mitteilte. Diese erkannten die riesige Bedeutung des Briefes und Stenner wurde der „Rumänische Kronen-Orden“ für seine Verdienste um die rumänische Geschichte verliehen. “Eine weitere Kooperation zwischen Siebenbürger Sachsen und Rumänen“, schlussfolgerte Jahn. Die Konsuin spannte dann einen Bogen zum Jahr 2022, als sich am 21. April die Unterzeichnung des Deutsch-Rumänischen Freundschaftsvertrages zum 30. Mal jährte. „Die Freundschaft zwischen rumänischen und deutschstämmigen Leuten ist aber länger“.
Benjamin Józsa, Geschäftsführer des DFDR, erinnerte dass der 2018 verstorbene Ehrenvorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Philippi, fast all seine Vorträge mit einem Hinweis auf den Brief von Neac{u an seinen Ur-Ur-Urgroßvater Johannes Benkner begann und immer betonte, als gebürtiger Kronstädter stolz darüber zu sein, dass sich das älteste rumänische Sprachdokument in dieser Stadt befindet, als Zeugnis des guten Zusammenlebens zwischen Rumänen und Sachsen. „Das bedeutet erstens, dass wir sehr gute Archive haben, wenn jemand weiß, wer sein Ur-Ur-Urgroßvater war“. Laut Józsa zeugt der Brief über das friedliche Zusammenleben zwischen mehreren Ethnien in Kronstadt und es sei wichtig, dass das erste Dokument in rumänischer Sprache an Siebenbürger Sachsen gebunden ist.
Eine wechselvolle Geschichte
Bogdan Popovici, Leiter der Kronstädter Filiale des Staatsarchivs, verglich die Geschichte des Briefes von Neacsu mit einer Seifenoper: „Es war ein komplett unrelevantes Dokument, das heute niemand behalten würde- es kann sein, dass der Brief sich erhalten hat, weil ein Arhivar vergessen hat, ihn wegzuwerfen.
Der Archivar hat Prinzipien angewendet, laut denen Ordnung im Archiv erhalten werden soll. Diese Prinzipien wurden von Friedrich Stengel angewendet und den Forschern aus dem Königreich zur Verfügung gestellt. Dafür hat er eine Medaille bekommen. In der zweiten Episode führt die vorherrschende Rivalität unter Wissenschaftlern zu einer Verzögerung der Veröffentlichung des Briefes. Wenn zwei sich streiten gewinnt der dritte: der Bulgare Liubomir Miletic veröffentlichte den Brief, aber nur als Fußnote. Die dritte Episode findet 1916 statt, als der Brief und andere wertvolle Dokumente mit der Rumänischen Armee weggezogen sind. 1918 wurden sie dem Staatsarchiv ausgehändigt und nach Moskau gebracht. 1934, als Folge der Wiederherstellung der diplometischen Beziehungen mit Russland, kam der Brief zurück nach Rumänien“.
Laut dem Historiker Thomas Sindilariu fehlt eines aus der Ausstellung: ein Apfel.
Laut den Memoiren von Nicolae Iorga nahm Friedrich Stenner immer einen Apfel mit ins Archiv, den er mit seinen Kollegen teilte. „Es ist ein Apfel der Nachbarschaft, der Zusammenarbeit und des Teilens“.
Zu wünschen ist, dass dieser Geist weiterhin fortbesteht.
Am 23 mai 2022 wird der wertvolle Brief wieder in die Kronstädter Filiale des Staatsarchivs gebracht. Der Rest der Ausstellung kann aber bis Anfang 2023 im Alten Rathaus besucht werden.
Elise Wilk
Nicolae Pepene, Leiter des Kreismuseums für Geschichte, mit dem vielleicht wertvollsten Brief Rumäniens. Foto: Kreismuseum für Geschichte Kronstadt
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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