450 Jahre Katharinentor in Kronstadt
03.12.09
Vier Ecktürmchen für die „königliche Freistadt“ (II)
In der Kronstädter Schaffnerrechnung für das Jahr 1558 finden wir im Frühjahr die ersten Ausgaben für den Bau des „neuen Gebäudes" im Oberen Tor. Auf der Baustelle arbeiteten am 8. April 1558 gerade 94 Arbeiter mit 19 Wägen. Am 26. April 1558 waren es 57 Arbeiter mit drei Wägen, die Erde aushoben, Ziegeln brachten und das Fundament zum „neuen Werk" legten. Schon Ende März waren ausgehauene Steine zur Baustelle geführt worden, für deren Bearbeitung die Steinmetzen Blasius Lapicida und Johannes Rodstaner bezahlt wurden. Im Jahre 1559 wurden „graue Steine" von Rosenau gebracht, als Steinmetzen werden Blasius, Laurentius und Emericus erwähnt.
Am 30. Juli 1559 wurde auf Befehl des Stadtrichters Johann Benkner dem Gregorius Cantor von dem von Johannes Honterus gegründeten Gymnasium ein Trinkgeld von zwei Gulden ausgezahlt für die Inschrift beim Wappen.
Im August 1559 wurden die Schmiedearbeiten für das neue Obere Tor verrechnet, später waren täglich nur noch 17 - 23 Arbeiter auf der Baustelle tätig.
Im September war es dann so weit, das die Fenster mit ölgetränkten Häuten (und nicht mit Glas) versehen wurden, vielleicht nicht alle, aber doch einige.
Am 17. September 1559 wurde den Maurern, die das Werk des Oberen Tores beendet hatten, ein Trinkgeld von vier Gulden bezahlt.
Als letzte Ausgabe, die aber nur vielleicht mit dem Bau des Katharinentores zu tun hat, erwähnen wir die Eintragung, daß dem Magister Petrus Architecta im Oktober 1559 für sein Gehalt zusammen 23 Gulden verrechnet wurden.
So stand nun das Katharinentor fertig da, und wer in die Innere Stadt wollte, mußte zuerst über den wassergefüllten Stadtgraben auf einer Zugbrücke durch die Torfahrt geradeaus, dann nach rechts durch einen Gang entlang der Stadtmauer südwärts und schließlich wiederum nach links in die Achse der damaligen Heiligleichnamsgasse, die heute - seit 1887 - Waisenhausgasse heißt.
Unterwegs konnte der Weg durch mehrere Tore und Fallgitter versperrt werden, und so war das Obere Tor eine uneinnehmbare Festung. Das sollte sich auch an jenem
1. Oktober 1600 erweisen, als die Obervorstädter Rumänen auf Anstiften von Michael dem Tapferen, dem Fürsten der Walachei, der damals die Stadt von Osten angriff, versuchten, von Westen in die Stadt einzudringen. Beide Angriffe wurden jedoch von den Verteidigern der Inneren Stadt erfolgreich zurückgeschlagen.
Beim großen Stadtbrand von 1689 und beim Erdbeben von 1738 erlitt das Katharinentor Beschädigungen und am 16. März 1759 brannte das Obere Tor samt der Tormühle und auch die im benachbarten Schneiderzwinger liegende Schneiderzunftlaube ab und mußten wiederhergestellt werden.
Am Anfang des 19. Jahrhunderts war der Verkehr zwischen der Inneren Stadt und der Oberen Vorstand so gewachsen, daß das eine Katharinentor nicht mehr genügte. Deshalb wurde in der Verlängerung des Roßmarktes 1819 - 1820 das Roßmärkter Tor errichtet und 1828 in der Verlängerung der Heiligleichnamsgasse ein zweites neues Stadttor, das heute noch stehende Waisenhausgässer Tor.
Die westliche Einfahrt des Katharinentors wurde zugemauert und die ehemalige Durchfahrt als Magazin benützt. Fast ein halbes Jahrhundert lang wurde der alte Stadtgraben als städtische Mülldeponie benützt, wohin Schotter von abgebrochenen Häusern und anderer Unrat gelagert wurde. Das Katharinentor „versank" auf diese Weise in etwa zwei Meter Schutt und büßte von seiner eindrucksvollen Mächtigkeit viel ein.
In den Jahren 1874 - 1876 wurde im alten Stadtgraben nördlich vom Katharinentor die evangelische Mädchenschule errichtet und im Anschluß daran die Direktorswohnung an der Nordseite des Katharinentores. An diese wurde dann 1913 für den neuen Mädchenschuldirektor Adolf Meschendörfer (1877 - 1963) eine Erweiterung gebaut.
Adolf Meschendörfer ist als Dichter und Schriftsteller bekannt. In seiner „Siebenbürgischen Elegie" (1927) erwähnt er das Katharinentor und in seinem Roman „Die Stadt im Osten" (1930) würdigt er das Tor schon auf der ersten Seite.
Im Jahre 1927 wurde südlich vom Katharinentor bis zum Waisenhausgässer Tor der Innerstädtische evangelische Kindergarten von Architekt Albert Schuller (1877 - 1948) errichtet, so daß das Baudenkmal seither auf beiden Seiten nicht mehr frei ist.
Im Jahre 1955 wurde der obere Teil der Zumauerung des Tores entfernt und ein Geländer errichtet, so daß man Einblick in das schöne Gewölbe der alten Tordurchfahrt nehmen konnte.
In den Jahren 1971 - 1973 wurde unter der Leitung des verdienten Denkmalspflegers Architekt Günther Schuller (1904 - 1995) das Katharinentor einer gründlichen Renovierung unterzogen und dabei die Anschüttung wieder entfernt, so daß man jetzt fast auf der ursprünglichen Fahrsohle durch das Tor gehen kann. Damals wurde auch die westliche schöne getreppte Mauerscharte für den Torwächter wiederentdeckt und freigelegt. Das Tor erhielt zweiflügelige eiserne Gittertore auf beiden Seiten, die aber offen stehen.
In dem Katharinentor wurde 1973 der Kronstädter Sitz des Architektenverbandes eingerichtet. Eine neue Renovierung wurde von der Kronstädter Universität in den Jahren 2004 - 2006 durchgeführt. Im Jahre 2006 hat der Kronstädter Kreisrat anstelle des ehemaligen Spielplatzes des Kindergartens auf der Stadtseite neben dem Katharinentor eine Parkanlage und einen PKW-Parkplatz eingerichtet.
Das Katharinentor wurde wegen seiner Symbolträchtigkeit auch als Firmenzeichen der Buchdruckerei Johann Götts Sohn - der Nachfolgerin der alten Honterusdruckerei - gewählt, ebenso ist es von zahlreichen Künstlern dargestellt worden, besonders vom Graphiker Harald Meschendörfer (1909 - 1984).
Für die Milleniumsausstellung in Budapest 1896 wurde das Kronstädter Katharinentor als eines der schönsten Baudenkmäler im damaligen Ungarn in verkleinertem Maßstab nachgebaut. In den Jahren 1902 - 1904 wurde auf dem Gelände der Ausstellung das Ungarische Landwirtschaftliche Museum nach Plänen des bekannten Architekten Ignac Alpar errichtet und eines der Ecken des Gebäudekomplexes dem Katharinentor nachgestaltet.
Gernot Nussbächer
(Schluss)
Foto: Das Kronstädter Katharinentor im Budapester Vajdahunyad Vará Gebäudekomplex, erbaut 1904-1906 vom Architekten Ignác Alpár, heute Sitz des Ungarischen Landwirtschaftlichen Museums.
Foto: der Verfasser
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