700 Jahre Meschendorf, Deutsch-Kreuz und Klosdorf
07.10.22
700 Jahre Meschendorf, Deutsch-Kreuz und Klosdorf
700 Jahre Rechtsgleichheit unter den Siebenbürger Sachsen (II)
Festvortrag, gehalten in Meschendorf, 7. August 2022/ von Thomas Sindilariu
Bemerkenswert ist daher in unserer Urkunde von 1322 der Passus: „Von nun an sollen keine Dienstleute von Grafen und Mächtigen in den Besitzungen des Klosters irgendwelche Hufen Grund haben, noch dort wohnen, außer allein diejenigen, die dem Abt und Konvent dienen und gehorchen, noch soll es irgend einen Hof oder irgend ein Erbgut in diesen Besitzungen geben, von dem nicht Zins Steuer und die üblichen Rechte und Dienstleistungen an den genannten Abt und Konvent geleistet werden“.
Was hier geschah, war, mit anderen Worten gesagt, nichts anderes als die Verbannung der Gräfen von sämtlichen Klosterbesitzungen und das nach nur zwei Jahrzehnten nachdem diese die Drei Dörfer offensichtlich im Auftrag des Kerzer Abtes gegründet hatten!
Um dies zu erklären, muss ein wenig weiter ausgeholt werden. Die Gesamtheit der Gräfen, auch Erbgräfen genannt, stellte seit dem Beginn der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen Mitte des 12. Jahrhunderts die Führungssicht der Siedler dar. Sie stellten in ihrer Gesamtheit eine erhebliche militärische Macht dar, die es verstanden hatte, ihre Interessen – etwa gegen den Bischof von Siebenbürgen 1277 und 1308 – gewaltsam durchzusetzen (Gaan von Salzburg), oder im Moment der Bedrängnis des Königs die grundlegende Verfassungsurkunde der Siebenbürger Sachsen, das Andreanum, 1224, auszuhandeln.
Dieses sah folgendes vor: Für den Fall eines Kriegszuges des Königs im Inneren des Landes hatten sie 500 und im Ausland 100 Bewaffnete (milites) zu stellen. Ferner hatte das von Broos bis Draas reichende Alte Land eine Jahressteuer von 500 Silbermark als die wesentlichsten Leistungen zu erbringen. Im Gegenzug wurde politische Einheit des Gebietes, Selbstverwaltung und Unveräußerlichkeit des verliehenen Grundes gewährt, sowie Rechtsprechung nach eigenem Gewohnheitsrecht und freie Wahl der Richter und Geistlichen aus den eigenen Reihen sowie freie und gemeinschaftliche Nutzung der Wälder und Gewässer. Zu diesen wichtigsten Bestimmungen des Andreanums gesellte sich noch das Recht, zur Not auch bewaffneten Widerstand leisten zu dürfen, sollte ihre Rechtsordnung missachtet werden. Davon wurde, wie erwähnt, auch Gebrauch gemacht.
Die Verschriftlichung der seit dem Beginn der Einwanderung geltende Rechtsordnung erfolgte 1224, also in dem Moment, als der König sich anschickte, den Deutschen Orden aus dem Burzenland zu vertreiben, was 1225 auch gelang. Wir wissen nicht, ob das militärische Potential der sächsischen Gräfen dabei auch zum Einsatz kam. Es ist durchaus möglich!
Als 1301 das Königsgeschlecht der Arpaden ausstarb, brach ein Bürgerkrieg um die Thronfolge in Ungarn und Siebenbürgen aus. Die Führungsschicht der Sachsen ergriff alsbald Partei für den niederbayrischen Herzog Otto von Wittelsbach, ein Enkel des Arpaden-Königs Béla IV. Otto wurde vom mächtigen Woiwoden Siebenbürgens, Ladislaus Kán, ausgetrickst und musste sich zurückziehen, so dass Karl Robert von Anjou sich durchsetzen konnte. Bereits 1309 hatten die Führung der Sachsen die Herrschaft Karl Roberts anerkannt und erhielt in der Folge 1317 die Bestätigung des Andreanums von 1225. Es handelt sich hierbei um die älteste erhaltene Fassung des Andreanums. Die Ausstellung dieser Bestätigungsurkunde stellt möglicherweise auch eine Anerkennung an die Sachsen dar für ihre konstruktive Haltung bei der Ausbalancierung der Machtverhältnisse in Siebenbürgen gegenüber Ladislaus Kán, dem Thronambitionen nachgesagt wurden, der allerdings bereits 1315 schon gestorben ist. Die weltlichen Bestimmungen dieser Verfassungsurkunde sind im Übrigen Teil der Grundlage der Rechtsordnung der Siebenbürger Sachsen bis zur Verwaltungsreform von 1876 geblieben, die kirchlichen Rechtsprinzipien sind auch in der heute geltenden Kirchenordnung der Siebenbürger Sachsen enthalten.
1322 verschlechterte sich die Lage für die bisherige Führungsschicht der Siebenbürger Sachsen schlagartig. Karl Robert hatte den Wojwoden Siebenbürgens,Thomas Széchényi, zum Grafen der Hermannstädter Provinz ernannt. Wie „unserer“ Urkunde zu entnehmen ist, hatte der König für ihn eine zentrale Machtposition vorgesehen.
Konkret tritt dies in Erscheinung in „unserer“ Urkunde, wenn es heißt:
„Wenn sich aber jemand diesem Unserem königlichen Mandat dreist und ungehorsam widersetzt und dem Abt und dem Konvent in seinen Rechten und Freiheiten Unrecht oder Gewalt antut, so soll < der Graf der Hermannstädter Provinz> solche Rechtsbrecher an ihrem schändlichen Tun hindern und sie zu allem, was gerecht ist, hinführen“ – also bestrafen. Diese Bestimmung wird an einer weiteren Stelle der Urkunde wiederholt und zudem fielen dem Grafen ein Drittel der „Güter der Unbotmäßigen“ zu, dem Abt zwei Drittel.
Zugleich ist „unsere“ Urkunde aber auch eine Ausdehnung der Freiheiten der Hermannstädter Provinz auf die Besitzungen des Klosters. Es heißt nämlich darin, dass die Bewohner der Klosterbesitzungen künftig zu jenen 500 Mark Silber der jährlichen Steuer aus dem Andreanum mit beitragen sollen. Besonders hebt „unsere“ Urkunde ferner die „gleiche Teilhabe“ der Bewohner an der Nutzung des Naturraumes des jeweiligen Ortes.
Die Rechtsstellung der Bewohner auf den Besitzungen des Klosters wurde 1322 an den folgenden Punkten gegenüber den Freiheiten des Andreanums eingeschränkt: Die örtlichen Richter bzw. Ortsvorsteher werden nicht durch Wahl der Ortsbewohner bestimmt, sondern vom Abt ernannt, allerdings aus den Reihen der einheimischen Bevölkerung. Desgleichen werden die Pfarrdienste leistenden Geistlichen in den Ortschaften ebenfalls vom Abt bestimmt.
Eine der Schlussbestimmungen der Urkunde hebt hervor, dass die Einwohner „in keiner Weise verpflichtet sind, irgend jemandem Beistand zu leisten, wenn innerhalb der Provinz eine Partei gegen die andere steht“, wenn also bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Die in der Urkunde enthaltenen Wiederholungen mit Bezug auf Ungehorsam, die auf das Wirken erbgräflicher lokaler Strukturen zurückzuführen sind, lassen erkennen, worum es hier eigentlich ging: die Verdrängung der bisherigen erbgräflichen Führungsschicht der Siebenbürger Sachsen. Das Pochen auf Gleichheit unter den Siedlern, wie sie aus der Urkunde von 1322 spricht, lässt erkennen, wie geschickt dieser Keil zwischen das siebenbürgisch-sächsische Volk und seine bisherige Führungsschicht getrieben wurde.
Als Thomas Széchényi 1324, wider geltendes Recht, die Gerichtshoheit für sich in der Hermannstädter Provinz beanspruchte, war der Tropfen hinzugekommen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Gegründet auf dem Widerstandsrecht des Andreanums brach ein umfassender Aufstand aus, dem sich auch die Nösner und Burzenländer angeschlossen hatten und der militärisch unter der Führung von Henning von Petersdorf stand. Dem Woiwoden und dem heraneilenden König gelang es nur unter größten Anstrengungen und unter Einbeziehung kumanischer Hilfstruppen den Sieg am Schlachtfeld bei Reps noch im selben Jahr 1324 zu erringen. Doch konnte der Widerstand erst 1331 gebrochen werden, als Gräf Salomon von Kronstadt auf der Schwarzburg bei Zeiden besiegt wurde und den Tod fand. Erst 1335 konnte der Aufstand endgültig niedergeschlagen werden.
Es folgte 1335 eine Reorganisation der siebenbürgisch-sächsischen Territorien in Siebenbürgen. Das Städtewesen wurde in der Folgezeit vom König gezielt gefördert und gab künftig die politische Richtung der Siebenbürger Sachsen vor. „Unsere“ Urkunde von 1322 steht am Beginn dieser für die siebenbürgisch-sächsische Geschichte entscheidenden Entwicklung. Die Führungsschicht der Erbgräfen musste sich im Verlauf von rund 100 Jahren überall entscheiden, was aus ihren Familien werden sollte: einfache Bauern, ungarische Adlige oder Städter. Diese Entwicklung lief von Ort zu Ort unterschiedlich ab, oft auch recht gewalttätig und kompromisslos, wie an der zweiten urkundlichen Erwähnung der Drei Dörfer von 1356 abzulesen ist. Am 19. Juni heißt es, seien „alle Sachsen von Keisd, Arkeden, Radeln sowie den drei Dörfern der Kerzer Abtei“ in den in Teufelsdorf/Vân?tori befindlichen Gräfensitz des Jacobus, Sohn de Geubul eingefallen und haben ihn zerstört. Am 21. Juni war Bodendorf/Bune?ti an der Reihe, wo dieselben aufgebrachten Sachsen die Kirche zerstörten und die in der Sakristei befindlichen Urkunden des Gräfen Jacobus vernichteten. Einer der letzten urkundlich erwähnten Gräfen ist übrigens 1450 Johannes von Deutsch-Weisskirch.
Nachdem die Vorherrschaft der Gräfen in den ländlichen Ortschaften beseitigt wurde, gehörte die Gleichheit unter den Sachsen zu den am höchsten gehaltenen und zäh verteidigten Werten dieser Gemeinschaft. Ohne diese Gleichheit wäre die Orientierung auf Selbstorganisation und Gemeinschaftsleistung nie zu kollektiven Charaktereigenschaften geworden. Der Beginn dieser Entwicklung wird hier in Meschendorf, in Deutsch-Kreuz, in Klosdorf und den anderen Besitzungen des Zisterzienserklosters vor 700 Jahren erstmals urkundlich greifbar. Ob König Karl Robert, der Woiwode Thomas Széchényi, oder der Abt Heinrich, sich dessen bewusst waren, dass sie durch die Betonung der Gleichheit unter den einfachen Sachsen ein noch größeres Zusammengehörigkeitsgefühl hervorrufen würden, als dies unter den Erbgräfenschicht bestand, wage ich zu bezweifeln. Es ist wie so oft: Der Mensch denkt, Gott lenkt!
Literatur:
Bencze, Ünige: Das Zisterzienserkloster Kerz. Neue Betrachtungen zu Gründung, dynastischen Verbindungen und Zisterzienserideal, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 35 (2012), S. 121-133.
Gündisch, Konrad: Das Patriziat siebenbürgischer Städte im Mittelalter, Köln, Weimar, Wien 1993.
Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, München 1998.
Nussbächer, Gernot: Aus Urkunden und Chroniken, Bd. 12, Kronstadt 2013.
Wagner, Ernst (Hg.): Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1191-1975, 2. Aufl., Köln, Wien 1981.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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