Als die Teppiche flogen
31.10.25
In der Schwarzen Kirche kreisen die osmanischen Textilien
Die osmanischen Teppiche Siebenbürgens sind zu einem guten Teil … sächsisch. Das so zu sehen, dafür sprechen gute Gründe. Ohne das siebenbürgisch-sächsische Brauchtum wären die meisten von ihnen schlichtweg gar nicht da. Sie sind mit ihm existentiell verbunden. Man schenkte sie zur Taufe und zur Hochzeit, man bahrte die Toten darauf, und auch die letzte sächsische Dorfkirche wurde damit für den Gottesdienst geschmückt.
In der großen Pfarrkirche Kronstadts sorgte einer der Pfarrer dafür, dass Altar und Kanzel, die beiden wichtigsten Orte des gottesdienstlichen Geschehens, rechtzeitig damit bekränzt wurden. Aber auch die Gestühle wurden herausgeputzt, wie Dr. Julius Bielz d. J. berichtet: „Die einzelnen Zünfte besaßen ihr eigenes, nach ihnen benanntes und gekennzeichnetes Kirchengestühl. Dem jüngsten Gesellen oblag die Reinigung des Gestühls, auch hatte er den kostbaren orientalischen Teppich, der Sonn- und Festtags darauf lag, die Woche über zu versorgen.“ Der prächtige Schmuck sollte die hohe, ja höchste Bedeutung der Sakramente und Amtshandlungen äußerlich begreiflich machen.
Die epochenumspannende Einbindung der osmanischen Teppiche in das Brauchtum der evangelischen Gemeinden führte schließlich dazu, dass sie den Sachsen und darüber hinaus als – es scheint paradox – „typisch sächsisch“ galten. Jetzt begannen Mitglieder dieser Gemeinden, sich mit osmanischen Teppichen porträtieren zu lassen. Die Teppiche dienten auf solchen Bildnissen gewissermaßen als Botenstoffe: durch sie teilte der Porträtierte unmissverständlich mit, wem er sich zugehörig fühlte: der evangelischen Kirche der Siebenbürger Sachsen. Der osmanische Teppich war zu einem siebenbürgisch-sächsischen Identifikationsobjekt geworden.
50 ausgestellte Teppiche wurden ersetzt
An der Schwarzen Kirche wird heute ein Bestand von etwa 200 osmanischen Teppichen gepflegt – eine ebenso komplexe wie begeisternde Aufgabe. Mitte September dieses Jahres hat die Honterusgemeinde nun erstmals seit längerer Zeit eine Neuhängung der Teppiche in der Schwarzen Kirche vorgenommen. Alle fünfzig zuletzt ausgestellten Teppiche wurden zurückgezogen und durch andere ersetzt. Die Maßnahme dient der Schonung. Ausgehängte Teppiche sind der Gefahr eines biologisches Befalls – Motten, Schimmel u. a. –, schwankenden Temperaturen und wechselnder Luftfeuchtigkeit sowie vom anschwellenden Besucherbetrieb hereinbeförderten Staubwolken – ausgesetzt. Die kleinen, kaum wahrnehmbaren Staubpartikel lagern sich auf dem Florgewebe ab und treiben das Austrocknen der Gewebe voran; diese werden somit rascher brüchig. Auch in Zukunft sollen deshalb die Teppiche regelmäßig ausgewechselt werden, sodass ein Teil ruht oder konservatorischen Eingriffen unterzogen wird, während ein anderer Teil die erhebende Bühne des Kirchenraums betritt.
Außer den konservatorischen sprachen aber auch kuratorische Gründe für die Neuhängung. Es schien sinnvoll, mehr noch als zuletzt eine repräsentative Auswahl aus dem Gesamtbestand zu zeigen. Fast alle in Kronstadt vorhandenen Typen können nun aus nächster Nähe werden: Nischen- und Doppelnischenteppiche, Lottos und Kleinsterne-Uschaks, weißgrundige Vogelteppiche u.v.m.. Gleichzeitig spiegelt die proportionale Beteiligung der unterschiedlichen Teppichtypen innerhalb der Ausstellung auch die Proportionen innerhalb des Gesamtbestands.
Eine textile Pracht
Selbst wenn wir anhand der Ausstellung vielleicht zu erahnen glauben, wie außerordentlich prächtig das Innere der Schwarzen Kirche einst geschmückt gewesen sein mag: Was die Neuhängung weder leisten kann noch möchte, ist, ein etwaiges historisches Erscheinungsbild des Kirchenraums angemessen zu rekonstruieren. Das ist kurzerhand ein Ding der Unmöglichkeit. Im 17. und 18. Jahrhundert, als die Verwendung der osmanischen Teppiche ihren Höhepunkt erreicht hatte, wurden sie viel intensiver bewegt, z. B. vor und nach jedem Gottesdienst, wie es schon weiter oben in den Worten von Julius Bielz angeklungen ist. Sie wurden ausgehängt oder ausgelegt und dann wieder eingesammelt, um in Sakristeien, in Zunftstuben und andernorts verwahrt zu werden.
Gleichzeitig sind die osmanischen Teppiche der letzte, zusammengeschmolzene Rest der textilen Pracht, die früher während der Gottesdienste entfaltet wurde. Außer den Teppichen gab es noch viele weitere Kanzel-, Pult-, und Altarbehänge aus Samtbrokat oder Seide, dazu noch Zunftfahnen u.v.m, mit denen die Kirche jäh in einen unfassbaren Farbenrausch gestürzt wurde. Dazu kamen die wummernden Orgelklänge und – noch lange Zeit nach der Reformation – der Duft des Weihrauchs, sodass sich der Kirchenraum während der mehrstündige Gottesdienst in ein metaphysisches Fest der Sinne verwandelte. Edle Einfalt und stille Größe waren dem damaligen Schönheitssinn so fremd wie dem Eisbären der Kaktus. Versuchen wir also besser keine Rekonstruktion; eine vergleichbar häufige Bewegung der sensiblen Textilien wäre heute auch aus konservativen Gründen nicht ratsam.
Diese ursprüngliche Form der Nutzung osmanischer Teppiche ebbte im 19. Jahrhundert ab, sodass die Teppiche auf den Gestühlen und in den Sakristeien liegenblieben, ohne ihren Platz in den Herzen der Gemeinden jemals vollständig verloren zu haben; sie waren ja inzwischen zu Identifikationsobjekten geworden. Kurz vor 1900 warf das Kronstädter Universaltalent Ernst Kühlbrandt ein wissenschaftliches Auge auf die Teppiche und stubste den Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl an; dieser schrieb aus globaler Textilkennerschaft heraus, dass es sich um einen „Kunstschatz von weltweit einzigartiger Bedeutung” handele. Kronstadt reagierte angenehm elektrisiert.
Fieberhaft stellte Kühlbrandt erste Forschungen zur Geschichte der siebenbürgischen „Kirchen-Teppiche” an und entwickelte 1908 ein Ausstellungskonzept, das möglichst große Teile des Bestandes in der Art einer Gemäldegalerie zu zeigen beabsichtigte. Im Gegensatz zu der ursprünglichen Nutzung, die durch ein ständiges Bewegen, ein regelmäßiges Aus- und Abhängen der Teppiche charakterisiert war, waren die Teppiche jetzt an bestimmte Orte gebunden und wurden dort langfristig völlig regungslos präsentiert. Sie waren in ihrer Vollständigkeit sichtbar und wurden nicht von Teilen des Gestühls oder anderen Elementen der Einrichtung verdeckt. Mit der Oberkante an Wänden, Brüstungen und Gestühlen fixiert und strafft daran geschmiegt, waren sie nun, Gemälden ähnlich, auf zwei Dimensionen reduziert. Wenige Falten beeinträchtigten die geglätteten Oberflächen, und auch die Wahrnehmung der Florstruktur ging, vor allem aus der Entfernung betrachtet, unter. Die Hängung war um Schlichtheit, Symmetrie und Ausgewogenheit bemüht.
Als die umfassende Instandsetzung des Innenraums der Schwarzen Kirche 1986 abgeschlossen war, übernahmen Era Nussbächer, damals Textilrestauratorin an der Honterusgemeinde, und Architekt Günther Schuller Kühlbrandts Konzept und weiteten es aus, sodass schließlich 118 Teppiche aushingen.
Zwischen 2010 und 2020 musste jedoch notgedrungen mehr als die Hälfte der Teppiche zurückgezogen werden, da sie, in Reichweite eines zunehmend bedenkenlosen Publikums befindlich, deutliche Spuren der Abnutzung zu zeigen begonnen hatten. Durch die Zurücknahme aber hatte die Ausgewogenheit der Nussbächer´schen Hängung zu leiden.
Im September wurden nun die fünfzig aus dieser Hängung verbliebenen Teppiche auf solche Weise ersetzt, dass Dimension, Symmetrie und Harmonie der bisherigen Hängung beibehalten wurden. Gleichzeitig aber wurden einzelne Teppichtypen derart gruppiert, dass die Entwicklungen, die die ornamentalen Motive mit den Jahrhunderten durchlaufen haben, von den Betrachtern nachvollzogen werden können. So lässt sich jetzt wahrnehmen, wie die Gebetsteppiche oder die Kleinsterne-Uschak-Teppiche die Impulse für die Entwicklung des Doppelnischentyps gesetzt haben könnten, wie aus dem Nischen- der Säulenteppich entstand oder wie sich die graphische Gestaltung der Säulen, der Arabesken oder Bordüren allmählich von einer fein abstrakten zu einem dekorativ wuchernden entwickelte.
An alle, die in diese faszinierende Welt der osmanischen Teppiche anhand der neuen Präsentation eintauchen möchten, ergeht hiermit herzliche Einladung zum Besuch der Schwarzen Kirche.
Dr. Frank-Thomas Ziegler,
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
der Evangelischen Kirche A. B. Kronstadt
Friedrich Miess: Selbstbildnis als Siebzigjähriger vor einem osmanischen Teppich, 1924. © Evangelische Kirche A. B. Kronstadt, Foto: Árpád Udvardi
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