Als pflichtbewusste Frau und brav
01.03.12
Nachruf auf Hannelore Schuller
Es muss 1969 und ich muss in der siebenten Klasse gewesen sein, als Hannelore Schuller Deutschlehrerin an der Allgemeinbildenden Schule Nr. 14 im Stadtviertel Bartholomä in Kronstadt wurde. Sie trat zu dem Zeitpunkt in unserer Klasse keine leichte Nachfolge an. Ihre Vorgängerin war ihrerseits eine Schuller gewesen, Bettina mit Vornamen, die wir alle sehr gemocht und deren Fortgang nach Hermannstadt ans Theater dementsprechend sehr bedauert hatten.
Hannelore Schuller, das merkte ich sofort, war ganz anders als Bettina, sie war ernst, immer sehr gefasst, ausgeglichen und diszipliniert. Sie gestattete sich nie eine subjektive Regung, verlor niemals die Fassung und zeigte niemals offene Sympathie oder Antipathie im Umgang mit uns, ihren Schülerinnen und Schülern.
Diese frühen Eindrücke bestätigten sich mir auch Jahre später, nachdem wir uns zeitweilig aus guten Gründen aus den Augen verloren hatten: Ich war an die Honterusschule gegangen und von dort nach Bukarest zum Studieren und schließlich als junge Lehrerin nach Filipestii de Târg zum Unterrichten geschickt worden, und Hannelore hatte die Vierzehner Schule ihrerseits verlassen und war an die Honterusschule gelangt. Das muss Hannelore damals sehr gefreut und geehrt haben, denn dort konnte sie nun mit älteren und reiferen Schülern umgehen und ihnen den Weg zur Literatur weisen, indem sie mit ihrem Ernst die deutschen Klassiker und deren hohe Ansprüche auf Moral und ästhetische Vollkommenheit an ihre Schüler weitergeben versuchte.
Im Herbst des Jahres 1983 trafen wir wieder auf einander: An der Honterusschule wurden wir nun Kolleginnen und ich war ebenso dankbar, wie erfreut und stolz darüber. Unser früheres Mentor-Schüler-Verhältnis wandelte sich allmählich in ein freundschaftliches, in dem Hannelore verständlicherweise den Part der ausgeglichenen Beraterin übernahm. Ich habe nicht immer ihren Rat befolgt, das wusste sie, aber sie wusste auch, dass jeder Hitzkopf früher oder später zur Räson gebracht werden konnte.
1987 im Januar, so mich die Erinnerung nicht täuscht, wurde Hannelore Schuller zur Leiterin der Honterusschule berufen. Manche mochten darin einen politischen, einen Parteiauftrag gesehen haben, manche mochten ihr sogar den Vorwurf politischer Kompromissbereitschaft gemacht haben; andere jedoch sahen darin einen regelrechten Kraft- und Balanceakt, den Hannelore nun zu vollbringen hatte. Über mehrere Jahre leitete sie die Schule im Sinne ihrer integren und disziplinierten Lebensauffassung. Mit großer Beherrschung und viel diplomatischem Geschickt vermochte sie uns alle, die gesamte Lehrer- und Schülerschaft der Honterusschule während der letzten Jahre kommunistischer Diktatur vor unverantwortbaren Kompromissen und Zugeständnissen zu bewahren und uns jene wunderbare Narrenfreiheit in der Schule zu gewährleisten, die wir brauchten, um die Zeiten möglichst unbeschadet zu überstehen. Nur sie und ihre Familie mochte gewusst haben, was sie das alles an Mut und Selbstlosigkeit, an geistigen und körperlichen Kräften gekostet hatte.
Dann kam die Wende und viele entschieden sich auszuwandern, den Neuanfang in Deutschland zu wagen. Hannelore Schuller sah jedem, der ging, traurig nach, akzeptierte jedoch jede einzelne Entscheidung, sogar jene der älteren und danach auch der jüngeren Tochter.
Sie selbst war bereit, sich auf die neuen Zeiten an der Honterusschule einzulassen, sie förderte unser Ansinnen auf Erneuerung und Reform der Unterrichtspläne und -methoden. Sie ging wagemutig Partnerschaften ein und unterstützte kreative Aktionen der Lehrer und Schüler, in sofern diese dem Ansehen der Schule zugute kamen.
1994 legte sie ihr Amt als Schulleiterin ab und trat einige Jahre danach in den Ruhestand, was nicht bedeutete, dass sie sich im wahrsten Sinne des Wortes zur Ruhe setzte. Nun war Zeit sich einen Traum zu erfüllen, und zwar ein Lehrbuch für das Fach Deutsch für die Gymnasialstufe zu schreiben. Das könne man nicht nebenher, sozusagen als Nebenbeschäftigung betreiben, hatte sie immer gesagt, so etwas brauche Zeit und vor allem Gründlichkeit. Nun hatte sie die Muße und die Zeit und die Gründlichkeit sowieso, sich als Schulbuchautorin zu profilieren. Es war ihr gelungen.
2002 zwang sie ihr prekärer Gesundheitszustand nach Deutschland zu gehen, wo sie jeder Zeit auf den Beistand und die Hilfe der Töchter zählen konnte. Immer wieder kam sie aber gern nach Kronstadt in das Haus und in ihren kleinen Garten in der Langgasse, wo sie und Horst sich eigentlich zu Hause fühlten.
Ich habe Hannelore Schuller zuletzt vor zwei Jahren in ihrer Langgässer Wohnung besucht, anlässlich ihres wohl letzten Aufenthaltes dort. Sie empfing mich wie immer, wenn ich sie besuchte, mit Kaffee und ihrer wunderbaren Erdbeertorte. Und wie immer saßen wir um den Kaffeetisch im Zimmer mit dem großen rebenumrankten Fenster mit Blick auf den Garten und erzählten, was wir gerade gelesen, geschrieben, erlebt hatten.
Schon in den 80er Jahren hatten wir dort oft Kaffee getrunken und Zigaretten geraucht und anregende Gespräche über Literatur, Schule und die Zeiten, in denen wir leben mussten, geführt. Dort trafen wir uns nach Lesungen von Joachim Wittstock oder Franz Hodjak im Literaturkreis der KR zur Nachbesprechung bei einem Glas roten Weines, um wunderbar subversive Diskussionen zu führen, denen Hannelore meist nachdenklich zuhörte, um nur hin und wieder etwas Tiefsinniges zu sagen. Und manchmal lachte sie herzhaft.
Das letzte Jahr muss Hannelore Schuller sehr viel an Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung abverlangt haben in ihrem Kampf zunächst gegen die Krankheit, danach gegen das Klammern am Leben, das nur noch aus Schmerz und Traurigkeit bestand und gegen die immerwährende Liebe, die sie mit Horst und der Familie verband. Dies muss wohl die schwerste Probe für sie gewesen sein.
So wie sie gelebt hat, ist sie dem Tod begegnet: als pflichtbewusste Frau und brav. Möge ihr Andenken allen, die sie gekannt haben, für immer lebendig bleiben!
Carmen Elisabeth Puchianu
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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