Anderthalb Jahrhunderte später
03.10.25
Der Meeburger Eisenbahntunnel
In den 1860-er Jahren fuhr der "alte Schuster" aus Meeburg (Nr.164) mit der Postkutsche zum Militär. 1874 kehrte er mit der Eisenbahn durch den neuen Tunnel zurück. Den Eisenbahntunnel hatten in der K & K-Zeit meist norditalienische Arbeiter gebaut, die mit Tunnelbauen in den Alpen vertraut waren. Auch heute sind in Meeburg Vorfahren mit dem Namen Antonini aus der Region Triest bekannt. Damals soll das Doppelhaus mit Zeltdach (Mbg.Nr.153) mit dem Hirschgeweih als Relief über der Hofeinfahrt als Arztwohnung und teilweise auch als Wirtshaus, und jenes nebenan (Nr.152) als Krankenhaus für die verletzten Bauarbeiter, gedient haben, Meeburger Bürgermeister war anscheinend Johann Binder (der „Vater der Hannen-Verwandtschaft").
Projekt für den Bau der Orient-Express-Route
Weil der Tunnelbau sozusagen ein Projekt für den Bau der Orient-Express-Route Paris - Istanbul war, wurde es bekannt in fast ganz Europa. Namentlich bekannt sind heute Bauarbeiter von Großbritannien und Italien über Ost- und Süddeutschland, sowie Tschechien und Ungarn bis Siebenbürgen (Sächsisch-Regen, Oderhellen, Keisd und Meeburger Region). Der erste Bauleiter vom durchführenden „Ostbahn-Bauunternehmen Nisher & Schnirch“ George Pearson aus Birmigham ist in Meeburg beerdigt (aus den Meeburger Sterbeurkunden 1871-1881). Des Weiteren war auch das „Ostbahn-Bauunternehmen Rideli & Comp.“ beteiligt. Die Erde soll man mit Büffelkarren aus dem Tunnel rausgeschafft haben, für die Steinblöcke, die aus dem Steinbruch Rakosch über zig Kilometer herbeigeschafft wurden, benötigte man noch zwei bis vier Paar Büffel als sogenanntes „Vorgespann“ (weil ausdauernde, starke Zugtiere), verwendet haben soll man ungelöschten Kalk, um das Mauerwerk haltbarer zu gestalten. Die Bewohner des oberen Hommorodtals aus Katzendorf, Draas, Königsdorf und Meeburg hatten Bedenken, dass der Russ der Dampfloks, welche auf der Strecke die Waggons nur sehr mühsam hochziehen konnten, ihre Weizenfelder schädigen würden. Aber wenn man die Eisenbahn über Reps - Keisd nach Schässburg gebaut hätte, dann hätte die Fahrt Schässburg - Kronstadt auf der 1883 eröffneten Orient-Express-Route viel länger gedauert.
Erhalt der Traditionen
Ein Vorteil hatte bis dahin die Isolation Meeburgs für den Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen alten Bräuche und Trachten, wie sie von Ethnographen und Malern im 20. Jahrhundert dokumentiert wurden. Der Maler Hermann Morres hat in seinem Bild von 1914 "Pfingstgottesdienst ..." die Tracht dargestellt, wie die Meeburger sie möglicherweise aus der alten Heimat in Westeuropa (Flandern ...) mitgebracht hatten - in den Gemälden der flämischen und niederländischen Maler van der Weyden, Bruegel, Vermeer u.a. kann man manche Teile dieser Tracht bewundern, wie beispielsweise in Vermeers "Junge Frau mit Wasserkanne" mit dem weißen Kopftuch, heute im Metropolitan Museum New York, oder in Bruegels Gemälden im Kunsthistorischen Museum Wien und in Brüssel (siehe auch „In Honorem Dei“ in der Siebenbürgischen Zeitung - Kirche und Heimat vom 25.03.2024) . Wegen ihrer Authentizität hat Juliana Fabritius-Dancu für das Plakat ihrer Ausstellungen über die siebenbürgisch-sächsische Tracht in den 1970-er Jahren in Bukarest, Kronstadt und Hermannstadt aus ihren vielen Aquarellen eine Konfirmandin in Tracht aus Meeburg ausgewählt. Ab den 1970-er Jahren haben sich auch manche Kunstsammler beispielsweise über die bemalten Möbel mit dem Meeburger Rosenmuster gefreut, Muster das ihren Ursprung möglicherweise in den Malereien in der ev. Kirche Meeburgs hat. Ebenfalls wegen der genannten Isolation haben sich in Meeburg bis in die 1990-er Jahre auch die mittelalterlichen Grußformen "Gott-helf-Euch" und "Gott-dank-Euch" erhalten.
Kegelbahn, Kino und Wirtshaus
1975, nach rund 100 Jahren seit dem ersten Tunnelbau, war dann auch die zweite Röhre unter dem "Derscher Berg" fertig. Dieser Berg bildet eine Wasserscheide zwischen dem Alt und dem Mieresch, die beiden größten Flüsse Siebenbürgens. Hier treffen sich die rumänischen Landkreise Harghita, Brasov und Mures. Zugleich wurde die alte Tunnelröhre für die großen Diesel- und E-loks erweitert. Zur Info: Auch Meebugs benachbarte Derscher Kirchenburg ist auf der UNESCO-Weltkulturerbe-Liste, so wie Schässburg, jene in Keisd und in Deutsch-Weisskirch in der Region Reps - Schässburg. Während des Baus des neuen Meeburger Eisenbahntunnels um 1974 ging es hoch her in Meeburg: Ein mächtiger Bohrer fraß sich durch den Berg, die Erde wurde mit schweren Maschinen rausgebracht, in der Nähe des Meeburger Bahnhofs standen die modernen, stöckigen Baracken der Bauarbeiter (mit Zentralheizung, fließendem Wasser), eine Kantine, Lebensmittelladen, für die Freizeitgestaltung sorgte eine Kegelbahn, das Kino und natürlich das Wirtshaus. Es war eine Stimmung ähnlich wie der Goldgräberrausch damals in Amerika. Diese Stimmung packte sogar die Schulmädchen, wenn sie die jungen Bauarbeiter sahen. Wie in der K & K-Zeit vor 100 Jahren gründeten manche Bauarbeiter (nun mit Arbeitserfahrung aus den Karpaten statt den Alpen) Familien und blieben in Meeburg.
Mit 160 km/h auf der Strecke Schässburg-Arad
Jetzt nach etwa 150 Jahren seit dem ersten Tunnelbau benötigt man kein Krankenhaus mehr in Meeburg, man hat den "schnellen" Weg zur Europastrasse Richtung Schässburg von der Tunnel-Baustelle auch für Notfälle ausgebaut, jener nach Reps oder Kronstadt wäre zu unpraktisch. Nun also nach rund 50 Jahren seit den letzten Tunnel-Bauarbeiten wird ähnlich wie unter der Schwäbischen Alb auf der Eisenbahnstrecke Stuttgart - Ulm (ebenfalls ein Teil der Orient-Express-Route) am Meeburger Tunnel vermutlich eine dritte Röhre für Züge mit Hochgeschwindigkeit - und ein drittes Gleis ab Beginn der Steigung bei Königsdorf (Palosch) gebaut. Somit werden diese Züge unabhängig sein von den langsamen Regional- und Güterzügen. Anscheinend wurden sie auf der Strecke Schässburg – Arad mit 160 km/h erfolgreich getestet (für Details siehe Infotafel). Diese Route über Budapest weiter entlang der Donau dürfte vielen Siebenbürger Sachsen von ihrer Ausreise her in ihre neue Heimat bekannt sein – ähnlich wie ihre Vorfahren vor über 800 Jahren in umgekehrter Richtung eingewandert waren. Diese Hochgeschwindigkeitszüge von Kronstadt nach Schässburg werden Meeburg aber im wahrsten Sinne des Wortes "links liegen lassen". Dass diesmal diese Isolation viel Positives für das siebenbürgisch-sächsische Meeburg bringt wie früher, ist also zu bezweifeln. Vor allem da die Kirche der Meeburger Kirchenburg wegen des teilweisen Einsturzes auch für Touristen anscheinend in nächster Zukunft weiträumig abgesperrt bleibt.
Michael Schuller
Meeburger Eisenbahntunnel. Foto: Michael Schuller 1979
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