Auf Schatzsuche durchs Szeklerland (I)
09.12.22
Eine Fotoreportage von Elise Wilk und Laura Capatana-Juller
Sagenhafte Grafenschlösser, Mineralquellen, Bier, Berge und Baumstrietzel, smaragdgrüne Seen, unendliche Wälder und Städte wie im Märchenbuch- das sind nur ein Teil der Schätze, die das Szeklerland zu bieten hat. Doch bei einem Ausflug durch Covasna und Harghita gibt es auch andere interessanten Sachen, die man unternehmen kann. Zum Beispiel Museen, Fabriken oder lokale Handwerker besuchen. In jedem Dorf und in jeder Stadt, die man besucht, entdeckt man etwas Neues.
Szilárd von der Schokoladenfabrik
Kühler Nieselregen fällt vom Himmel, als wir an einem späten Novembernachmittag in Sântimbru, einem Dorf in der Nähe von Miercurea Ciuc, ankommen.”Es ist ein weißes Haus, man sieht keine Firma am Eingang”, hatte jemand auf Google Maps bei der Wegbeschreibung geschrieben. Wir steigen aus dem Auto und schnuppern, auf der Suche nach dem Geruch der Kindheit.
Ich erinnere mich an die Straßen in der Nähe der Kronstädter CIBO-Fabrik, die immer nach Schokolade dufteten. Und an die Milchschoko-Tafeln aus Deutschland, die ich immer verschlang, während ich ein neues Buch las. Auch heute sind die Seiten der Kinderbücher voller Schokoladenflecken. Und an die Schoko-Weihnachtsbonbons, die ich heimlich naschte, während die glitzernde Verpackung im Baum hängen blieb. Alle diese Momente sind mit purem Glück verbunden. „Du kannst nicht jeden Menschen glücklich machen - Du bist keine Schokolade“, heißt es ja. Also kann man sagen, dass sich im weißen Gebäude aus Sântimbru eine kleine Glücksfabrik befindet.
Vor Jahren freuten sich ein kleiner Junge und sein Bruder, als der Vater mit einem Kofferraum voller Schokolade aus Deutschland zurückkehrte. Kaum verging eine Woche, und sie hatten die Schokolade schon gegessen. Der kleine Szilárd wünschte sich, eines Tages eigene Schokoladenfabrik zu haben, damit er die köstliche Süßigkeit jeden Tag essen kann. Später ging der Junge mit seinem Onkel zu Stadtfesten in ganz Rumänien, wo sie Baumstriezel (Kürtos Kolacs) herstellten und verkauften. Dann studierte er Betriebswirtschaftslehre in Klausenburg und öffnete drei Eisdielen in der Stadt. Doch der Traum von der Schokoladenfabrik war nicht vergessen. Bei Messen im Ausland sammelte er so viel Information über die Schokoladenherstellung wie nur möglich, schaute sich nach Lieferanten um, dachte an ein Logo und an das Firmendesign. 2017 erbte Szilárd Fazakas Haus und Hof seiner Urgroßeltern in Sântimbru. Er war inzwischen Vater geworden und beschloss, sich den Kindheitstraum zu erfüllen und mit seiner Familie aufs Land zu ziehen. Die alte Scheune seiner Urgroßeltern wurde in ein Labor umgewandelt. Mit Hilfe von Finanzierungen im Programm „Start up Nation” und aus Ungarn konnten die kleine Fabrik, in der nur zwei Leute arbeiten, eröffnet werden.
Die süße Tante Krausz
Er hat hunderte von Stunden Youtube-Videos über Schokoladenproduktion anggeschaut und viel im Internet recherchiert. Bei einem Chocolatier aus Italien lernte er ein paar Geheimnisse dieses Berufs. Die Rohschokolade, die im Fabrikationsprozess verwendet wird, stammt aus Belgien. Die größte Herausforderung war, einen Namen für die Schokolade zu finden.
„Krausz war der Familienname meiner Urgroßmutter, von der ich das Haus und die heutige Werkstatt geerbt habe. Sie kam aus einer siebenbürgisch-sächsischen Familie aus Fogarasch und die Leute aus dem Dorf nannten sie édes néne, das heißt auf Ungarisch süße Tante. Sie hat ein sehr originelles Rezept für Schokoladenkuchen erfunden. 2018, als die Schokoladenfabrik Krausz anfing, zu produzieren, gab es in Rumänien kein anderes Familienunternehmen, das Schokolade herstellte. Heute sind es etwa zehn”, erklärt Szilárd. Im Jahr 2019 schien es, dass die Produktion erfolgreich ist. Doch dann kam die Corona-Pandemie und man musste umdenken. „Wir kamen auf die Tourismus zu betreiben, um dadurch Werbung für unsere Schokolade zu machen. Wir haben Flyer gedruckt und sie in Hotels aus Miercurea Ciuc und Baile Tusnad verteilt. Die Leute fingen an, zu kommen. Wir organisierten Führungen, erklärten, wie Schokolade hergestellt wird und sie konnten verschiedene Sortimente kosten. Eines Tages besuchte uns der Reiseblogger R²zvan Pascu. Wir wussten nicht, dass er so bekannt ist. Nachdem er auf seinem Blog über unsere Fabrik berichtete, gab es einen Besucherandrang wie noch nie. Jetzt wollen wir unser Angebot în verschiedenen Schulen präsentieren, der Besuch einer Schokofabrik wird für Kinder sicher interessant sein”, meint Szilárd Fazakas.
Getrocknete Früchte aus dem Nachbardorf
Er erklärt uns dann die Schritte der Entstehung von Schokolade: die Röstung der Kakobohnen, die Zerkleinerung der Schokolade, die mit anderen Zutaten vermengt und sehr fein gemahlen wird, die Erwärmung und belüftung der Masse, das Gießen der Schokolade in flüssigem Zustand in Formen und die Kühlung in einem Kühltunnel, wo sie aushärtet. „Wir wollen ein Produkt herstellen, das so lokal wie möglich ist. In Rumänien gibt es noch Zuckerfabriken und Fabriken, wo hochwertiges Milchpulver hergestellt wird. Auch Früchte und andere Füllungen kommen aus der Gegend”.
Bei der Schokolade mit Kaffeecreme kommt der Kaffee aus einer Rösterei în Klausenburg, es handelt sich um mittel geröstete Bohnen, damit das Aroma nicht verschwindet. Die Nusskern-Kreme wird in Hermannstadt bestellt.
Erdbeeren, Himbeeren, Blaubeeren, Brombeeren, Kirschen, kommen aus dem Nachbardorf. Sie werden lyophilisiert (gefriergetrocknet). Gefriergetrocknete Früchte gehören zu den hochwertigsten Lebensmitteln der Welt. Aussehen, Geschmack und Vitamingehalt der frischen Früchte bleiben durch das schonende Trocknungsverfahren so fast 100%ig erhalten. Bei der Gefriertrocknung wird den Früchten unter Vakuum das Wasser entzogen, wobei die Struktur der Moleküle erhalten bleibt. „Es ist ungefähr so wie dann, wenn man die Wäsche an kalten Wintertagen draußen aufhängt“.
Weihnachts-Schokolade mit Speck
Vor Weihnachten ist in der kleinen Werkstatt immer viel los. Die Großmutter von Szilard bereitet die Kisten vor und hilft beim Verpacken. Jeden Tag werden etwa 60 Kilogramm Schokolade verarbeitet, das heißt 600 Schokoladen-Tafeln.
Das Design ist so gedacht, das man die Tafeln personalisieren kann. Bei mehr als 30 Tafeln Schokolade kann man „Alles Gute zum Geburtstag” darauf schreiben oder
einfach das Logo der Firma als Geschenk für Mitarbeiter. In Lebensmittel-Läden der Sergiana-Kette kann man in der Vorweihnachtszeit Schokolade mit gebratenem Speck finden. Diese stammen auch aus der Schokofabrik Krausz. „Ich wusste, dass süß und salzig zusammenpassen. Also habe ich gerbatenen Speck von Sergiana in die Schokolade getan, eingemachte Orangenschalen hinzugefügt und so ist dieses spezielle Sortiment entstanden. Das Design der Schokotafeln ist so gemacht,dass man es leicht personalisieren kann. Die Werkstatt in Sântimbru kann täglich zwischen 10 und 19 Uhr besucht werden, eine Reservierung ist erforderlich. Die Krausz-Schokolade findet man in der Kette Nobila Casa, în den Meron-Kaffeehäusern und in den Carturesti-Buchläden.
Das „endlose” Museum
In Cernat, auf Ungarisch Csernáton, besuchen wir ein Museum, über das wir schon lange nur Schönes gehört und gelesen haben, das ethnografische Freilichtmuseums Pál Haszmann. Hinter einem großen szeklerischen Holztor entfaltet sich uns ein herrlichen riesengrosen Hof mit Garten. Eine unbeschreibliche Ruhe herrscht hier, viel Grün, hohe, alte Bäume, schöne geschnitzte Holztore und alte kleine szeklerische Holzhäuser mit Schindeln sind zu sehen. Wir fühlen uns wie in einer anderen Welt, in der die Zeit stehen geblieben ist, ja gar nicht existiert. Eine Frau empfängt uns freundlich. Es ist Orsolya Dimány-Haszmann, die Enkeltochter des Gründers des Museums. Sie hat nach ihrem Ethnographie-Studium in Klausenburg drei Jahre lang Ungarisch an der Dorfschule unterrichtet und ist seit 2012 Museografin. Wie ihr Vater, Pál Peter, und ihr Großvater will auch sie die szeklerische Tradition, Geschichte und Kultur erhalten und weiterzugeben.
Der Lehrer Pál Haszmann (1902-1977) hatte seit seiner Kindheit traditionelle szeklerische Gegenstände gesammelt und über die Jahre eine beeindruckende Privatsammlung gegründet. Um sie der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, stiftete er dem Szeklerischen Nationalmuseum. Allerdings mit der Bedingung, dass ständig die Familie das Sorgerecht behält. Pál Peter, einer seiner Söhne, hat das Museum seit dessen Gründung 1973 bis ins Jahr 2012 geleitet, als er in Rente ging. Bis zu seinem Tod war er aber im Museum, hat den Besuchern über die Exponate und Geschichte erzählt. Nun sind seine Tochter und drei ihrer Cousins, diejenigen die es weiterführen. Alle wohnen in den Häusern ihrer Vorfahren, genau neben dem Grundstück des Museums, haben eine starke Verbindung zu ihm. “Ich freue mich, dass die Traditionen der Gegend nicht in Vergessenheit geraten. Ich arbeite sehr gerne hier”, erklärt Orsolya Haszmann.
Mähmaschinen, Radiogeräte und alte Fotografien
Rund 8000 Exponate hat Pál Haszmann gesammelt, ein Teil der Geschichte des Szeklerlandes. Manche Volkskunstobjekte sammelte er schon als Kind, einen anderen Teil kaufte er an, andere Stücke spendeten ihm die Bewohner der Dörfer im Gebiet, wo der beliebte Pädagoge unterrichtet hatte und die seine Leidenschaft für das Aufbewahren traditioneller Gegenbstände kannten. Sie sind in fünf Sammlungen auf den zwei Hektar des Anwesens des Grafen Gyula Domokos aufgeteilt, wo das Museum errichtet ist: die Hauptausstellung im Haus des Grafen Domokos, das Freilichtmuseum, die Ausstellung für Werkzeug und landwirtschaftliche Machinen, die Ausstellung zur Eisenkunstguss und jene für die Wiedergabe und Übertragung von Ton.
Wir sind beeindruckt von der Anzahl der Objekte aus jeder einzelnen Kategorie: es sind nicht zwei Mähmaschinen oder Traktoren ausgestellt, es sind etliche. Es sind nicht fünf Hufeisen, Öfen, oder Radiogeräte ausgestellt, es sind so viele, dass man das Zählen nach einigen Dutzend einfach lässt und sich lieber über der Exponate freut. Alle sind in Kategorien aufgeteilt, gepflegt und schön nebeneinander gereiht, wie bei einer Vorführung, ohne allerdings langweilig zu erscheinen. Sie sind so schön nebeneinander gestellt, mit Sinn, dass das allein das als Kunst gelten kann. Überall ist etwas zu entdecken, etwas zu bewundern. Dieser Reichtum wurde erhalten, weil der Gründer Pál Haszmann ausdrücklich verlangt hatte, dass die Ausstellung nie aufgeteilt wird, sondern ständig intakt und ständig in Cernat bleibt.
Im Herrenhaus des Grafen staunen wir über den genauen Einblick, den wir in die geistige und kulturelle Geschichte der Ortschaft und der benachbarten Regionen erhalten. Dokumente und Fotos über die Revolution von 1848 und aus den beiden Weltkriegen sind zu sehen. Viel Information gibt es auch über die Tätigkeiten der Persönlichkeiten des Dorfes, bzw. des reformierten Priesters, Historikers und Schriftstellers Bod Péter und des Oberleutnants Antal Végh, der sich in der Revolution von 1848 eingesetzt hat.
Auch das Grün der Kacheln, die auf den Wänden eines Zimmers ausgestellt sind, macht uns neugierig. Es ist eine der wichtigsten Sammlungen der Region, neben jenen aus Albis, Bretcu, Târgu Secuiesc, Zabala oder Pava und zeigt die Kunst und Vielfalt dieses Handwerks. Auch andere Objekte aus dem 17. zum 19. Jahrhundert, wie Mitgifttruhen, Schnitzereien, traditionelle Bekleidung oder Gewebe versetzen uns in die Vergangenheit.
Auch die reiche Sammlung mit Metallobjekten ist eine Rarität in der Gegend, die auch auf internationaler Ebene anerkannt wird. Öfen, Kreuze, Kruzifixe, Bügeleisen, Stößel, Statuen, Lampen, die zum Großteil im Szeklerland und Siebenbürgen hergestellt wurden, stehen in Cernat.
Gegenstände im 2. Weltkrieg versteckt
In den kleinen Holzhäuschen im Hof erfahren wir Näheres über die Trachten, traditionelle Stickereie und Gewebe, und vergleichen die Keramik mit Volksmotiven und die handbemalten Möbeln aus dem 17. bis zum 19. Jahrhundert mit den sächsischen Möbeln. Manequins zeigen das einfache Leben von früher, das im Haus verrichtet wurde, beispielsweise der Mann sitzt am Tisch und liest die Zeitung, die Frau spinnt am Webstuhl. Im Hof stehen landnwirtschaftliche Werkzeuge, Traktoren, Dampfmaschinen, Dreschmaschinen, Pflüge, Grubber, wie auch Zangen, Hufeisen, Ketten… einfach alles, was ab Anfang des 20 Jahrhunders bei der Feldarbeit und Ernte im Szeklerland nötig war. Die Objekte stammen aus Ungarn und anderen europäischen Ländern und sind teils ganz verschieden voneinander. Es gibt auch Seltenheiten wie amerikanische Traktoren der Marken Fordson oder International, oder der HSCS-Traktor aus Ungarn. In einem der Räume können wir unsere Begeisterung nicht zurückhalten und staunen laut. Über 200 alte Radiogeräte, wie unsere Großeltern oder Bekannte früher besaßen, stehen da. Von unten bis oben nur Radiogeräte, alle Wände voll. Eins schöner als das andere und alle verschieden, wie ihre Marken: Orion, Standard, Videoton (Ungarn), Philips (Holland), Grundig, Telefunken (Deutschland), Tesla (Tschechei), sowie amerikanische, österreichische, bulgarische, englische, polnische oder russische Apparate. Der älteste stammt von 1920 (Orion und Philips). Wir finden auch die rumänischen Marken Balada, Electrolux und Electromagnetica.
Ferienlager für traditionelles Handwerk
80 Prozent der Geräte funktionieren, manche spielen Musik im Hintergrund. Alle haben Szeklern gehört, die sie angewendet haben, viele davon haben es geschafft, sie während des II. Weltkriegs vor den Gegnern zu verstecken, die sie beschlagnahmten oder zerstörten. Grammophone, Patefoone, Morsestationen, Telefone, eine kleine Telefonzentrale oder Fernseher wurden auch bestens aufbewahrt, sowie einige Schallplatten, die noch angewendet werden können. Im Depot des Museums befinden sich noch zahlreiche weitere Gegenbständ für die meisten Sammlungen, die mit Sorgfalt aufbewahrt werden. Pál Haszmann hat sich ständig weitergebildet, hat mit Fachleuten gesprochen, sodass er in Cernat ein Reichtum an Geschichte und Wissen, einen wahren Schatz hinterlassen hat. In seinem Sinne, die szeklerischen Traditionen und Bräuche zu erhalten, lernen hier jährlich junge Leute von April bis Oktober im Rahmen von Ferienlagern traditionelles Handwerk. Zwei seiner Neffen geben die Kunst des Holzschnitzens weitere, eine Neffin Holzmalerei. Korbflechten, Filzen, Eier abfackeln, Weben, Tischlerei, Schreinerei, Wagnerei, Schmieden sind nur einige der Handwerke, die im Angebot der Volksschule Cernat stehen und von lokalen Handwerkern weitergegeben werden. Diese Treffen, die bereits seit 40 Jahren regelmäßig durchgeführt werden, stärken das Gemeinschaftsleben, erhalten das Museum lebendig und aktiv.
Fortsetzung folgt
Foto 1: In diesem Gerät bekommen Rosinen eine Schokohülle.
Foto 2: 80 Prozent der über 200 ausgestellten Radiogeräte funktionieren noch.
Fotos: Laura Capatana-Juller
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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