Auf Schatzsuche durchs Szeklerland (II)
16.12.22
Eine Fotoreportage von Elise Wilk und Laura Capatana-Juller
Sagenhafte Grafenschlösser, Mineralquellen, Bier, Berge und Baumstriezel, smaragdgrüne Seen, unendliche Wälder und Städte wie im Märchenbuch- das sind nur ein Teil der Schätze, die das Szeklerland zu bieten hat. Doch bei einem Ausflug durch Covasna und Harghita gibt es auch andere interessanten Sachen, die man unternehmen kann. Zum Beispiel Museen, Fabriken oder lokale Handwerker besuchen. In jedem Dorf und in jeder Stadt, die man besucht, entdeckt man etwas Neues.
Das Puppenmuseum aus Szekler Neumarkt
Nur 60 Kilometer entfernt von Kronstadt liegt Szekler Neumarkt/Tg. Secuiesc/Kezdivasarhely. Die meisten sind sicher auf dem Weg in die Moldau durch das kokette Städtchen durchgefahren. Doch es lohnt sich, für ein paar Stunden eine Pause einzulegen und die Stadt zu besuchen. Nicht nur, weil es hier besonders leckere Gulasch-Suppe, eine Altstadt mit historischen Gebäuden und kleine Läden mit lokalen szeklerischen Produkten gibt. Sondern auch für eine weniger bekannte Attraktion: das Puppenmuseum, das im Zentrum in einem Gebäude von 1910 beherbergt ist. Steigt man vom Erdgeschoß, wo sich das Museums-Shop befindet, zur ersten Etage, begegnet man schon auf den Treppen einer Gruppe von Puppen in Nonnen-Bekleidung. Und gelangt man in den ersten Raum, muss man dauernd staunen: so viele Puppen aller Arten begegnet man nur selten: Baby-Puppen in weißen Spitzen-Kleidern liegen in Puppenwägen, Porzellan-Puppen mit Kulleraugen und echtem Haar lächeln uns an, auf einem Regal steht eine „Prinzessin Diana”- Puppe, direkt darüber findet man Michael Jackson und gegenüber sind vier Afrika-Puppen in verschiedenen Größen unter einer Plastik-Palme.
„Ein Ort, wo die Zeit stehen bleibt”
Beim Museum handelt es sich eigentlich um die Privat-Kollektion von Nagy Ibolya, einer begeisterten Puppen-Sammlerin. „Als ich ein Kind war, trug ich immer eine Puppe im Arm und immer, wenn ich gefragt wurde, was ich mir zum Geburtstag oder zu Weihnachten wünschte, antwortete ich: eine Puppe”, erinnert sich die Gründerin des Museums.
2010 hat Nagy die Puppen-Galerie mit 175 Exponaten gegründet. Heute, nach 12 Jahren, ist die Kollektion fünf Mal größer geworden: über 1000 Puppen können in der Ausstellung bewunder werden. „Zuerst habe ich sechs Porzellan-Puppen in Ballkleidern als Geschenk bekommen. Ich habe sie in unserem Haus aufgestellt. Danach habe ich angefangen, online oder auf Flohmärkten im Ausland weitere Puppen zu kaufen. Das Puppenmuseum habe ich eröffnet, damit auch andere Leute sich an meiner Leidenschaft erfreuen können. Es ist ein Ort, wo die Zeit stehen bleibt”, meint Frau Nagy, die jeden Tag im Museum tätig ist. In den vier Räumen der Ausstellung ist eine nostalgische Miniaturwelt untergebracht, die historische und kulturelle Aspekte einer bürgerlichen Welt vom 18. Jahrhundert bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Die Puppen bestehen aus Holz, Wachs, Porzellan, Zelluloid oder Verbundwerkstoff und sind vor allem deutscher und französischer Herkunft, aber es gibt auch ein paar englische, ungarische, österreichische und natürlich rumänische.
Pioniere mit Kulleraugen und Impulse-Spraydosen im Regal
Das schönste Zimmer im Museum ist eins, das ein Kinderzimmer aus den 80er-90er Jahre reproduziert. Am Eingang empfängt uns eine blonde Gummipuppe mit verwurzelten Haaren und langen Wimpern. Automatisch wird man in die Kindheit zurücktransportiert, als man ähnliche Puppen unter dem Weihnachtsbaum vorfand. Auf der Rückseite der Puppe findet man das Logo der Firma Ar²deanca, eine rumänische Spielzeugfabrik, die 65 Jahre lang lang hochwertiges Spielzeug produzierte, das man in allen Kinderzimmern der 70er und 80er Jahre finden konnte.
Zum Beispiel der beliebte Plastikjunge mit Sommersprossen, Marcel. Anfang der 90er Jahre, als man in Rumänien zum ersten Mal Barbie-Puppen kaufen konnte, ist Marcel in Vergessenheit geraten, doch in den letzten Jahren feierte er ein großes Revival und ist bei Sammlern und Nostalgikern sehr gefragt.
Im Kinderzimmer begegnet man außerdem mehreren Schaufensterpuppen, die als Pioniere oder Falken des Vaterlandes gekleidet sind und entdeckt auch Gegenstände, die an die Schulzeit aus dem Kommunismus erinnern, wie etwa chinesische Füller oder eine Plastikscheibe in Rumänien-Form, wo alle wichtigen Städte aufgezeichnet sind. Auf einem Holzregal sind mehrere Impulse-Spraydosen aneinandergereiht, neben Ambassador-Zigarettenpäckchen (es fehlt der Roboter aus Zigarettenpäckchen, den man Anfang der 90er Jahre gerne baute), alten Büchern und Postkarten mit der Schwarzmeerküste aus den 80er Jahren. Dieser Raum eignet sich am besten für Schulklassen, die einen Besuch im Museum planen, weil er mehr über die Kindheit und Jugend im Kommunismus erzählt als jedes Geschichte-Buch.
Das Puppenmuseum aus Szekler Neumarkt ist täglich zwischen 10 und 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 20 Lei für Erwachsene, 15 Lei für Rentner und Studenten und 10 Lei für Kinder. Mehr Informationen unter babamuzeum.ro.
Der Foto-Blitz leuchtet wie 2000 Kerzen
Odorhellen/Székelyudvarhely /Odorheiu Secuiesc hat auch viel zu bieten. Diesmal sind wir aber hier, um ein in Europa einzigartiges Fotografie-Museum zu besuchen: das Studio Kováts. Genau wie das Museum aus Cernat funktioniert es seit Generationen als Familienbetrieb. Es ist das einzige Fotostudio in Europa, wo Sonnenlicht angewendet wird und wo Fotoapparate von Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt werden. Das Museum beherbergt ein beeindruckendes Archiv mit ethnografischen, historischen und Architektur-Fotografien aus den letzten 140 Jahren.
Die Inschrift auf dem Haus besteht seit der Gründung des Studios im Jahr 1876. Sobald wir die Räume betreten, begeben wir uns in eine Zeitmaschine. Kováts Árpád, ein Rentner in Stoffhose und Pullover, zeigt uns das Zimmer, wo er Touristen und Interessierte auf Fotopapier verewigt. Die Außenwand und die Decke sind aus Glas, Dutzende kurzer gleichmäßiger Stoffe halten das Sonnenlicht davon ab, direkt ins Zimmer zu gelangen. Die meisten sind Berliner Blau und weiß, manche schwarz. „Die schwarzen Stoffe habe ich angebracht, weil Wohnblocks hinter dem Haus errichtet wurden und die Fenster das Licht reflektieren“. Mit einem langen Holzstab schiebt Herr Kováts einige Tücher zur Seite, um uns die Veränderung des Lichts im Raum zu verdeutlichen. „Das natürliche Licht erfüllt die Aufgabe eines Blitzes, der etwa so stark leuchtet wie 2.000 Kerzen. Bis du allerdings die letzte Kerze anzündest, ist die erste bereits erloschen“, meint 72-Jährige zwinkernd.
Ein Fotoapparat, der im 1. Weltkrieg war
Wir bleiben sprachlos beim Anblick des Holzfotoapparates von Ende des 19. Jahrhunderts, der sehr groß ist. Auch die beiden anderen Apparaten von Anfang des 20. Jahrhunderts, die noch einsatzfähig sind, fesseln unsere Blicke. Herr Kováts nimmt an, dass sein Großvater mit einem dieser Apparate im ersten Weltkrieg Soldaten fotografiert hat. An der Wand stehen mehrere riesige Hintergründe, die 1910 in Wien handgemacht wurden. Mit den alten szeklerischen Möbeln, dem antiken Spiegel mit Holzrahmen oder dem Schaukelpferd von 1942 bildet der Fotograf Kulissen für die Schwarzweißbilder, die er aufnimmt. Seit der Corona-Pandemie kommen auch viele Rumänen zu Besuch, die sich Porträts im antiken Stil wünschen. Vorher waren es hauptsächlich Ausländer, die das Studio besuchten. Uns lädt er ein, vor einem Hintergrund mit Wald auf alten Stühlen zu sitzen und verschwindet, ohne jegliche Erklärung, in ein Kämmerchen. Wir warten neugierig. Wenige Minuten später kehrt er mit einer Glasplatte, etwa im A4-Format, zurück, die er in das kostbare Holzgerät einführt. Er richtet unsere Haltung und Köpfe noch zurecht, wir sollen mehr seitlich blicken und das Kinn heben. Wegen der langen Belichtungszeit der Kamera sollen wir uns nicht bewegen - eine Herausforderung für aktive Menschen, die gewohnt sind, Bilder in Millisekunden zu schießen. Nach zwei Wochen erhalten wir die Fotos per Post: nur die Kleidung verrät, dass das Bild nicht von 1900 stammt.
75.000 Fotonegative aus Glas müssen noch entwickelt werden
Mehr als 80.000 Negative haben die Kováts‘ im Laufe der Zeit behalten und in ihrem Museum aufbewahrt. Sie stammen vom Gründer des Studios, Ferenczy Lukács und von Kováts István, dem Urgroßvater des heutigen Besitzers, der es 1903 kaufte. Das Studio ist immer im Familienbesitz geblieben und wird heute von Kováts Árpád Junior geleitet, dem Sohn des gleichnamigen Herrn, der uns fotografiert. Bis zu seiner Rente, vor wenigen Jahren, leitete Kováts Árpád Senior das Unternehmen, jetzt hilft er gerne aus. Er hat sein Leben lang fotografiert, wie sein Vater, Großvater und wie seine beiden Söhne. „Im Kommunismus hat mein Vater Unfälle und Nachstellungen von Unfällen für die Polizei fotografiert. Es kann sein, dass er das Archiv aus diesem Grund behalten konnte. Man wollte es ihm ja wegnehmen. Den Obstgarten, hingegen, haben sie unter unseren Augen zerstört“, erinnert er sich. Vor der Wende wurde ihm verboten, im Studio zu arbeiten, deswegen fotografierte er über 20 Jahre lang in einer Gewerkschaft, bis er das Geschäft seiner Ahnen übernehmen konnte.
Kováts István wurde 1881 geboren und hat schon als Jugendlicher bei seinem Onkel in Aiud als Fotolehrling gearbeitet und eine Schwäche für diese Kunst entwickelt. 1903 kaufte er Ferenczys Studio in Odorhellen und begann, in der Umgebung zu fotografieren. Das erste Automobil in der Stadt, bedeutende Veranstaltungen oder Ereignisse, Persönlichkeiten, Gebäude, wie auch Bauern bei der Arbeit, in Tracht oder im Alltag gehörten zu seinen Interessen. Als Kriegsfotograf des 82 Regiments der österreich-ungarischen Armee erfasste er Szenen mit Soldaten in ihrem Alltag an der Front. Dank einer Förderung konnten alle Negative aus der Zeit digitalisiert und in besten Bedingungen untergebracht werden. Weitere 75.000 Fotonegative aus Glas wurden noch nicht entwickelt. Sie liegen beschriftet, nummeriert und chronologisch aufgereiht. „Die Digitalisierung aller Negative würde fünf Jahre dauern, wenn ich täglich acht Stunden damit verbringen würde“, erklärt Kováts Árpád Junior. Er sucht jetzt Finanzierung, um die restlichen Fotos zu digitalisieren. „Die Zeit vergeht, die Platten werden immer stärker beschädigt und könnten kaputt gehen“, erklärt er. „Dabei haben wir landesweit wohl die größte Fotografie-Privatsammlung. Wir geben das Archiv nie auf! So wie wir es bislang erhalten konnten, werden wir es auch weiterhin tun“. Zwar verschlingen das Museum und das Studio viel Geld, doch kommt die Familie dank des modernen Fotostudios über die Runden. Dieses befindet sich am Eingang ins Gebäude und ist mit computerisierter Technologie ausgestattet. Kováts Árpád Junior und seine Frau Szidonia machen Fotos für Personalausweise oder Schulabschlüsse, drucken Bilder auf Kaffeetassen oder T-Shirts, oder machen Familienporträts. Im Sommer bieten sie auch Foto-Ferienlager für Kinder an. Ganz besonders ist aber, dass sie Negative aller Art und aus allen Zeiten entwickeln können.
Ein Spazierstock der zum Stativ wird und ein Gerät, das Falten aus dem Gesicht löscht
In der Dunkelkammer führt Herr Kováts Árpád Senior die Entwicklung eines analogen Fotos vor. Ohne Computer, ohne Drucker. Nur mit Fotopapier, flüssigen Chemikalien, einer Pinzette und einer Art Wäscheleine, wo das Produkt trocknet. Alte Filmrollen liegen auf dem Tisch, Gefäße mit Chemikalien stehen in Holzregalen. Im Raum, wo die Negativplatten aufgestellt sind, zeigt uns der Fotograf einen alten Spazierstock aus Holz, der mit einem kleinen goldenen Metallteil rundherum verziert ist. Er hat seinem Großvater gehört, dessen Büste im Raum steht. „Das ist ein Spazierstock, stimmt es?“. Wann er ihn aufschraubt wird daraus ein Stativ. Weiterhin überrascht uns der Gastgeber mit einem alten Gerät, das die Funktion des heutigen Photoshop-Programms hat: man kann ihn zur Bildbearbeitung anwenden. Mit einem spitzen Instrument löscht Kováts Árpád eine Falte eines porträtierten Mannes. Erstaunlich! Die Analogfotografie bietet unzählige Überraschungen, die man hier noch alle entdecken kann, wenn man sich die Zeit dazu nimmt.
Das Foto-Studio ist montags bis freitags zwischen 9 und 18 Uhr offen. Der Eintritt kostet 15 Lei. Mehr Infos auf der Facebook-Seite Foto Kováts oder Kováts Fényképészet.
Über jede dieser Puppen kennt die Eigentümerin alle Details: wann und wo sie hergestellt wurden, was sie darstellen, wie viel sie gekostet und welchen Wert sie haben. Foto: Laura Capatana Juller
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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