„… aus dem Kraftfeld und Bannkreis der Schwarzen Kirche…“
13.01.23
Dichtungen zu Alt-Kronstadt-Motiven von Hermann Tontsch
Hermann Tontsch (1881–1968) unterrichtete viele Jahre hindurch Latein an der „Honterusschule“ in Kronstadt/Brasov. Außer einer Monographie über den Buchdruck in Kronstadt (über die „Honteruspresse“ und ihre Nachfolge) und etlichen landeskundlichen Forschungsbeiträgen verfasste er Gedichte, die in Anthologien, Jahrbüchern, Zeitschriften und Zeitungen erschienen sind oder ungedruckt im Nachlass verblieben. Die Dichtungen des Altphilologen Tontsch lassen den Einfluss klassischer Muster deutlich erkennen. Das gilt besonders für einen zweiteiligen, nur zum Teil veröffentlichten Zyklus von Epigrammen, die der „Schwarzen Kirche“ gewidmet sind. Mit diesen „Sinngedichten“ gesellte sich Hermann Tontsch zu den Autoren, die das Motiv „Schwarze Kirche“ als Symbol, als geistiges Zentrum und Erinnerungsort literarisch gestaltet haben. Die folgenden Ausführungen sind die gestraffte Fassung eines Aufsatzes, der in dem Studienband „Minderheit als kulturelle Bereicherung. Literatur, Sprache und Kultur der Rumäniendeutschen im Wandel“ erschienen ist (herausgegeben von Maria Sass und Doris Sava. Berlin: Peter Lang Verlag 2022).
Zufällig kamen mir zwei Typoskripte in die Hand, vergilbte Blätter in zwei Faszikeln, die, auf Halbformat der üblichen Schreibseiten geschnitten, jeweils von Zierschnüren zusammengehalten sind. Ich hätte sie vielleicht weniger beachtet, wenn nicht ihr Titel „Schwarze Kirche. Sinngedichte“, I. und II., in mir Kronstädter (genauer: Halbkronstädter) ein besonderes Echo ausgelöst haben würde. Die Resonanz verstärkte sich noch durch den Verfassernamen Hermann Tontsch, ein den Ortsansässigen oder der Stadt verbundenen älteren Generationen einst vertrauter Name. Auch der Bezug zu Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel, ins Spiel gebracht durch eine handschriftliche Widmung, ließ mich aufmerken.
Wie der Zufall mir diese beiden Hefte zutrug, sei kurz mitgeteilt. Die Initiatoren der „Evangelischen Akademie Siebenbürgen“ (1991 in Hermannstadt/Sibiu ins Leben gerufen), das Ehepaar Gerhard Möckel (1924–2004) und Dorothea Koch-Möckel (geb. 1936), sind in ihrer Hermannstädter Zeit mehrfach umgezogen, wobei ererbtes oder erworbenes Eigentum mitunter den neuen Wohnverhältnissen angepasst werden musste. Diese Notwendigkeit forderte Dorothea Koch-Möckel nach dem Tod des Gatten ein beträchtliches Maß an Flexibilität ab, und bei ihrem endgültigen Abschied von Siebenbürgen war sie genötigt, auf mancherlei Mobiliar, auf Schriften und Bücher zu verzichten. Solche Besitztümer wurden, so gut es ging, von ihren Familienangehörigen an die am plausibelsten erscheinenden Stellen verbracht oder als entbehrlich betrachtet. So kam auch mir einiges zu, darunter die soeben genannten „Sinngedichte“.
Das erste Heft enthält 14 maschinegeschriebene Blätter. Auf Seite 1 wird als Motto die Wortfügung gesetzt: „Christliche Schau“. Gefolgt von der Ausdeutung:
„Hinter uns, sagt ihr – o nein, noch vor uns, vor uns noch immer / Liegen die Ziele und Höhn wesenhaft christlicher Schau!“ (1953.)
Heft zwei (16 Blätter) ist mit der Widmung versehen: „Mit herzlichen Glückwünschen zur Vollendung des 63. Lebensjahres und für die Zukunft, Hermann und Berta Tontsch. Kr[onstadt], 29. Juli 1955.“ Das Datum bezeichnet den Geburtstag von Dr. Konrad Möckel.
Die „Sinngedichte I und II“ wurden zum Teil veröffentlicht, in verschiedenen Publikationen und zu voneinander abweichenden Zeitpunkten.
Drei der Texte fügten wir – meine Frau Inge und ich – einer Anthologie eigener Briefe ein („Briefe in die Runde“), die 2021 im Hermannstädter Honterus Verlag erschienen ist. Damals schon dachte ich, es sei angezeigt, einen Aufsatz zu verfassen über den mir vor allem als Autor wissenschaftlicher Beiträge schon wiederholt begegneten, den oft und gerne genannten Lehrer und Kulturgut-Vermittler Hermann Tontsch. Zu diesem Zweck sah ich periodische Schriften und Anthologien durch, in denen von ihm gezeichnete Arbeiten vermutet werden konnten, und spürte so manchen Gedichttext oder Aufsatz auf, die ich früher weniger beachtet hatte oder die mir bis noch unbekannt geblieben waren.
Dem „Archivführer zur Geschichte der Deutschen in Kronstadt und dem Burzenland“ (bearbeitet von Bernhard Heigl, Petra Rezac und Thomas Sindilariu. München: De Gruyter/Oldenbourg 2016) ließ sich zu meiner freudigen Überraschung entnehmen, das Archiv der Schwarzen Kirche berge einen von Hermann Tontsch stammenden Bestand an Handschriften und Typoskripten. Die mir im Mai 2022 bereitwillig zur Verfügung gestellten zwölf „Faszikel“ der Hinterlassenschaft erwiesen sich als ein Dutzend umfassender Kartons mit Dokumentationsmaterial über Johannes Honterus und andere Pfarrherren der Honterusgemeinde wie auch über sonstige Persönlichkeiten Kronstadts, zudem über schulische und rechtliche Institutionen der Ortschaft und des Umlands.
Ich konzentrierte mich auf Karton 9, versehen mit der Überschrift „Gedichte“. Viel Skizzenhaftes kam mir vor Augen, doch auch Endfassungen von Tontschs eigenen Arbeiten, Abschriften von Gedichten anderer, Zeitungsausschnitte, Gebündeltes wie auch locker Gereihtes. Einzelne Zusammenstellungen waren Titeln subsumiert wie „Kirche und Honterus“; „Disticha von Hermann Tontsch“; „Übersetzungen von alten Inschriften, Sprüchen etc“.
Das Konvolut „Sinngedichte aus dem Kraftfeld und Bannkreis der Schwarzen Kirche in Kronstadt“ bot mir Einblick ins poetische Laboratorium des Autors, der an dem bewussten zweigeteilten Zyklus der Epigramme arbeitete. Korrekturen, Zusätze, Versuche der Gliederung, kompositorische Erwägungen, Mottos, flüchtige Notate – all das und manches andere an Ansätzen, Versuchen ist da, an Könnerschaft und Leistung.
Einige biographische und familiengeschichtliche Daten konnte ich Band VIII eines neunbändigen Werks von Erich Jekelius entnehmen, einem Typoskript im Archiv der Schwarzen Kirche mit dem Titel „Genealogie Kronstädter Familien“. Zwar schematisch, doch genau sind hier Angaben zu [Friedrich Wilhelm] Hermann Tontschs Vorfahren und über seine Nachkommen vermerkt.
Hermann Tontsch wurde am 29. Januar 1881 in Kronstadt geboren. Die Vorfahren väterlicherseits lebten in der Burzenland-Gemeinde Heldsdorf/Halchiu, wo sie sich urkundlich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen. Hermanns Vater, Andreas Tontsch, noch in Heldsdorf geboren, wurde durch seine Anstellungen als Prediger, Gymnasiallehrer und Schulleiter, der sich auch für die seminaristische Lehrerausbildung einsetzte, zum Kronstädter. Heldsdorf blieb jedoch für die Familie Bezugspunkt und mahnender Erinnerungsort, wie aus diesen von Hermann Tontsch verfassten Versen ersichtlich:
„Heldsdorf, du Heim unsrer Ahnen, / viel Nestflüchter grüßen dich fernher, / Denn in Gemüt und Geblüt / bliebst du uns Schicksal und Schuld… // Aber in Schicksal und Schuld – / aus deiner Scholle geboren –, / Labt uns auch Heilung und Huld: / himmlisch-unendliches Blau.“ (1958. „Heldsdorf“. Nachlass H. T. im Archiv der Schwarzen Kirche.)
Mütterlicherseits war Hermann Tontsch ein Nachkomme Kronstädter Sippen. Zu den Vorfahren der Mutter, Luise Wilhelmine geb. Dück, zählten beispielsweise Angehörige der Familien von Greißing oder Trausch. Er selbst war mit Berta geb. Thör verheiratet (*1886 in Hermannstadt). Von beider Nachkommen starb Arno als sechsjähriges Kind, und auch ein anderer Sohn, der zum Textlingenieur ausgebildete Gerhard, war bloß 23 Jahre alt, als er Opfer einer Scharlachepidemie wurde. Lediglich dem 1910 geborenen Volkmar Tontsch, einem Theologen, war ein längeres Leben beschieden.
Viele Jahre hindurch unterrichtete Hermann Tontsch Latein an der „Honterusschule“ in Kronstadt. Zentral gelegen war auch sein Wohnsitz: In den schwierigen Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte er mit seiner Gattin im Stadtpfarrgebäude der Evangelischen Kirche, am Honterushof gelegen, eine Bleibe gefunden, unter damals typisch beengten Umständen. Er emigrierte um 1960 in die Bundesrepublik Deutschland. 87-jährig verstarb er am 25. August 1968 in Oberursel/Taunus.
Zu Lebzeiten war Hermann Tontsch in seinem Geburtsort und auch darüber hinaus als Schulmann und Gelehrter bekannt; weniger machte er als Dichter von sich reden. Geschätzt und beliebt war er von den Zöglingen des Kronstädter Honterus-Knabenobergymnasiums, mit Recht. Walter Myss (Dichter, Essayist, Kunsthistoriker, Verleger) schrieb voller Anerkennung, dass der Professor die Unterrichtsstunden „zu großen Streifzügen durch die allgemeine Kultur- und Geistesgeschichte ausweitete. Und wenn auch vieles von dem, was er in hundert und aberhundert Zitaten und Belegstellen vor uns ausbreitete, auf kargen Boden fiel, so mochten doch die meisten in der Klasse spüren, dass hier Außergewöhnliches am Werke war“. Trotz gelegentlich zum Ausdruck gebrachter Ironie war Hermann Tontsch „ein großherziger, gütiger Mensch“. Außerdem bescheiden, zur Verwunderung seines einstigen Schülers Walter Myss: „Dass einer so viel wissen kann und zugleich so bescheiden und immer bereit ist, die Meinung der anderen zu achten, gab mir damals viel zu denken. Bis ich dann später erkannte, dass nichts die Träger des Geistes mehr adelt als eine solche Haltung.“ (Zitiert wurden die „Südostdeutschen Vierteljahresblätter“, 1968, Folge 4; veröffentlicht auch in „Neue Kronstädter Zeitung“, 1. Januar 1988.)
Ein anderer „Honterianer“, Werner Bonfert, bezeichnete Tontsch als „Grandseigneur mit hervorstechenden pädagogischen Fähigkeiten“, der „den Unterricht interessant zu gestalten“ wusste und dabei ein erfreuliches Ziel erreichte: „Auch diejenigen, die Latein gar nicht mochten, begannen nun eifrig zu lernen.“ („Neue Kronstädter Zeitung“, 30. September 2016).
Professor Tontsch war auch als Privatlehrer gefragt. Die Kronstädter Malerin und Bildhauerin Margarete Depner (1885–1970) erinnerte sich dankbar an ihn, an die kulturgeschichtlichen Aufschlüsse, die er ihr erteilte. Mit seiner Hilfe holte sie einiges nach, was ihr in der Jugend an Schulbildung und Hochschulstudium unzugänglich gewesen war.
Hier ein Zitat aus einer brieflichen Äußerung Margarete Depners, geschrieben unter dem Eindruck seines Todes: Hermann Tontsch war „ein selten gütiger, hochstehend aufrichtiger, ungemein gebildeter, geistig ununterbrochen tätiger und von Forscher- und Kombinationsgeist erfüllter, begeisterter Darleger dessen, was er erforscht hatte – das war er schon in jungen Jahren und, wie ich höre, bis zu seinem Ende. Ich habe ihm viel zu danken – er war ein Former auch meines Wesens, wie all seiner Schüler, die ihn ungemein liebten, verehrten und in deren Erinnerung er stets lebendig bleiben wird“ (zitiert im Buch „Margarete Depner. Eine Bildhauerin in Siebenbürgen“ von Joachim Wittstock und Rohtraut Wittstock. Hermannstadt/Sibiu: hora Verlag 2014, S. 103). Und so wie Margarete Depner ihn, den Erzieher, schätzte, so achtete er sie, die Bildhauerin. Einmal brachte er das auch in einer lyrischen Reflexion zum Ausdruck: „Sordino. Zu einer von Margarete Depner geschaffenen Grabplastik“.
Sein Wissen breitete Hermann Tontsch nicht nur im schulischen Rahmen, im privaten Zirkel oder im öffentlichen Vortrag aus, er legte es auch in Aufsätzen oder sonstigen Schriften dar. In jungen Jahren hatte er sich mit den volkserzieherischen Plänen des Publizisten Stephan Ludwig Roth auseinandergesetzt, anlässlich einer Jährung von dessen Märtyrertod am 11. Mai 1849 (in „Die Karpathen“, 1911, Nr. 16). Und er nahm zwei im Druck erschienene Ansprachen des Kronstädter Gymnasialrektors Julius Groß unter die Lupe (in „Die Karpathen“, 1912, Nr. 21).
Die wichtigste Veröffentlichung des Gelehrten Hermann Tontsch ist die „Festschrift“ „Die Honteruspresse in 400 Jahren“ (1933). Die Vierhundert-Jahr-Feier Kronstädter Buchdrucks und das damals erschienene Buch nahm Heinrich Zillich (1898–1988) zum Anlass, die kulturgeschichtliche Bedeutung der Druckerei zu würdigen, wobei er sich auf die genaue Dokumentation der Festschrift und ihre gediegene Illustration stützen konnte (in „Klingsor“, 1934, Heft 1).
Joachim Wittstock
Fortsetzung folgt
Professor Hermann Tontsch (1922). Foto: Nachlass Dr. Thea Wittstock
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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