„… aus dem Kraftfeld und Bannkreis der Schwarzen Kirche…“ (II)
20.01.23
Dichtungen zu Alt-Kronstadt-Motiven von Hermann Tontsch
Außerdem vermittelte Tontsch „Verse aus Alt-Kronstadt. Übersetzungen lateinischer rhythmischer Grabschriften, Inschriften und anderer Verse“ (in „Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender. Jahrbuch 1965“). Auch verfasste er, zusammen mit Gustav Treiber, einen Aufsatz über „Die Tuchmacher-Laube in Kronstadt“ (in „Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender. Jahrbuch 1967“).
Hermann Tontsch, der Gelehrte, war ein ausgezeichneter Kenner der Kronstädter evangelischen Schwarzen Kirche, gar der seinerzeit beste Kenner des Bauwerks, wie der Historiker Gernot Nussbächer (1939–2018) in einem Gespräch mit Christel Wollmann-Fiedler meinte. Nussbächer verdankte ihm, nach eigenem Zeugnis, viele Hinweise zur Geschichte des Bauwerks, zur Ausdeutung von Einzelteilen, von Inschriften.
Der in der Motivik seiner Gedichte vielfach auf Alt-Kronstadt eingestellte Autor debütierte in der von Adolf Meschendörfer (1877–1963) herausgegebenen Zeitschrift „Die Karpathen“ mit Versen allgemeinerer Thematik. Bei seinem reflexiven Wesen war es gleichsam unumgänglich, dass seine Gedankenwelt, sein Empfinden, sein Gestaltungswillen einen Bezug zur näheren, zur entfernteren Vergangenheit herstellten. Es verwundert daher nicht, dass er eine lyrische Ansprache „An die Ahnen“ richtete (in „Die Karpathen“, 1909, Nr. 5), denen er, dankbar gestimmt, seine Existenz verdankte –
„Erbe bin ich und Empfänger / dessen, was ihr einst gedacht; / ob ich ein Geschöpf der Nacht, / ob ein Sturmsohn ward und Dränger, / stand einst mit in eurer Macht.“
Einige Strophen weiter schloss er sein Bekenntnis zu den Ahnen mit den Versen:
„Euch ward´s in die Hand gegeben, / jeden Fluch habt ihr gebannt; / Dank euch, Dank für euer Leben, / in dem meinen fühl ichs schweben… / sinnend nach der Zukunft Land.“
Außer diesem Gedicht sind auch andere lyrische Texte Tontschs in der Kronstädter Zeitschrift „Die Karpathen“ erschienen. In die Anthologie „Aus Kronstädter Gärten. Kunstleben einer sächsischen Stadt im Jahre 1930“ nahm der Herausgeber Adolf Meschendörfer eine Folge von vier Gedichten Hermann Tontschs auf.
Die von Hans Bergel (1925–2022) und Walter Myss (1920–2008) betreute Anthologie „Wir Siebenbürger“ (Innsbruck: Wort und Welt Verlag 1986) brachte zwei Gedichte von Hermann Tontsch. Das eine kann als „Erzählgedicht“ bezeichnet werden, „Abschied der Ordensritter aus dem Burzenland“. Imaginiert wird eine Szene aus einem historisch verbürgten Vorgang, nämlich vom Abzug der Ordensritter aus dem Burzenland. Der ungarische König Andreas II. hatte die streitbaren Männer ein Dutzend Jahre vorher nach Siebenbürgen gerufen, war jedoch bald durch ihre zunehmende Macht irritiert und stellte die damit verbundenen Unbotmäßigkeiten ab, das heißt: Er verwies die Ordensritter des Landes. Die in deren Gefolge eingewanderten Bauern verließen ihre neue Heimat jedoch nicht:
„Und die Ritter – sie zogen mit Panzer und Schwert; / Ist keiner von ihnen je wiedergekehrt. / Doch die Freibauern blieben; mit Pflug und mit Wehre / Dem König und Lande zum Heil und zur Ehre.“
Das andere Gedicht in der Anthologie „Wir Siebenbürger“, der Vierzeiler „Zeitgeist“, gehört zu jenen poetischen Verlautbarungen, mit denen man sich bei den Verfechtern, den Wortführern des „Zeitgeistes“ nicht beliebt macht:
„Herr Mammon und Frau Mode: / Ein würdig Elternpaar! / Sein Wechselbalg, der Zeitgeist / Gleicht den Eltern auf ein Haar.“
Gedichte zu Alt-Kronstadt waren Hermann Tontschs ureigene Domäne, wie auch schon zwei poetische Widmungen zeigen:
Alt-Kronstadt
„Alt-Kronstadt – wer rühmt´s noch, wer hegt´s noch als Schatz / In liebendem Herzen auf heimlichem Platz? / Alt-Kronstadt aus längst entschwundenen Tagen, / Umduftet von Märchen, Legenden und Sagen; / Vor den Toren umwittert von Entsetzen und Graus, / Von Sitte behütet in Herz und in Haus. / Alt-Kronstadt – vergessen, verklungen, verweht, / Du selbst heut ein Märchen, das keiner versteht… // Wie meines Volkes Lieder / Tönst du im Sinn mir fort, / Alt-Kronstadt – meiner Heimat / Heimligstes Zauberwort!“ (1949. Nachlass H. T. im Archiv der Schwarzen Kirche.)
An Alt-Kronstadt
„Kronstadt, dein Name schon war / jahrhundertelang auch dein Sinnbild, / Strahlte als segnender Bann / dem, der ihn hochhielt und wert.“ (1952. Nachlass H. T. im Archiv der Schwarzen Kirche.)
Eine von Hermann Tontsch bevorzugte Versform war das Distichon (bestehend aus einem fünffüßigen und einem sechsfüßigen Vers). Es schimmert selbst dort durch den Gedichttext, wenn dieser über den Zweizeiler hinausgeht. Gleich eingangs der „Sinngedichte“ (die wir nun in der vom Autor bestimmten Reihenfolge durchgehen und einiges hervorrücken) erweist das Gedicht „Schwarze Kirche im Nebel“ diesen Sachverhalt.
Schwarze Kirche im Nebel
„Mondlichter Nebel, du bist – ich weiß es – ein heimlicher Dichter / Und auch ein Maler zugleich, wie es nur wenige gibt. // Einfach ist freilich dein Stil und mag nicht jedem gefallen, / Mir bist du Heimat und Kunst, Jugend und magische Welt. // Ja, auch wenn du im Herbst den Dom unsrer Väter und Enkel / Liebreich umarmst – ist´s nicht, weil ihr euch heimlich erzählt?“ (1953. „Sinngedichte I“.)
Sämtliche mit der Überschrift „An die Schwarze Kirche“ versehenen Verse sollen hier reproduziert werden, ungeachtet der Tatsache, dass es aus diesem Bestand bereits zwei Publikationen gibt (in der Zusammensetzung weichen sie voneinander ab und beide sind unvollständig).
An die Schwarze Kirche
„Dunkel erscheinst du dem Blick, und steinern ist dein Gefüge; / Aber dem Geist und Gemüt strahlst du im Glanz des Symbols.
Nicht aus Marmor, wie einst Kapitol und Akropolis prangten, / Bist du, in schlichtem Gewand, beides den Deinen – und mehr.
Mehr bist du, mehr als Gebäu: bist Gefäß der köstlichsten Narde / Gleichst dem gesegneten Kelch, voll des erlösenden Tranks. [Narde: wohlriechende Pflanze]
Doppelt bist du uns Bild: bist Symbol der ewigen Heimat / Und der irdischen hier, doppelt denn sei uns geehrt.
Du warst – im Herzen der Stadt – das Herz der Gemeinde; dein Herzblut, / Stammend vom Geist allen Geists, ward uns zur Quelle der Kraft: // Ja, wie aus dunklem Geklüft taghell des Felsenquells Wässer, / So, mein Tempel, entstrahlt taghell dein Geisttum dem Stein.“ (1951-1953. „Sinngedichte I“.)
Hier nun auch die drei in der genannten Anthologie („Briefe in die Runde“) veröffentlichten Gedichte.
An die Standbilder auf der Außenseite des Chors
„Steinern steht ihr und starr, wenn bloß das leibliche Auge / Flüchtigen Blicks euch streift und für »katholisch« erklärt. // Nur dem inneren Blick erscheint euer innerstes Wesen: / Seele und Sehnsucht und Licht, Güte und Geist und Gestalt. // Wie einst Asgard, geschützt vor den tausend Dämonen der Urnacht, / Atmet im Kreis eures Hauchs Seele und Steinleib des Baus.“ (1953. „Sinngedichte I“. Asgard oder Asenheim war in der nordischen Mythologie der Sitz der Asen oder Götter.)
An Maria, die Schutzherrin der Schwarzen Kirche
(Statue an der Ost-Außenseite der Chorwand, dem Marktplatz zugekehrt)
„Heilandsmutter Maria, Patronin des Landes, sei Du uns / Nun auch Patronin des Doms, wie Du den Herzen es bist!“ (1953. „Sinngedichte I“. Ein Wort wurde ersetzt.)
Dank an die Standbilder der äußeren Chorwand der Schwarzen Kirche
„Wohl schon ein halbes Jahrtausend seid Labsal ihr Blicken und Herzen, / Ahnherren und Ahnfrauen viel saht ins Gebet ihr versenkt; // Habt dem dämonischen Brand, habt bilderstürmendem Wüten / Standgehalten – zugleich Schützer und selber beschützt. // Mir aber habt ihr vergönnt, in Rhythmus und Vers euch zu preisen, / habt mich begnadet, beglückt: euch gehört liebend mein Dank.“ (1953. „Sinngedichte I“.)
Mit poetischen Widmungen wurden von den Statuen des Chors im Einzelnen bedacht: der Erzengel Michael; Jesus Christus; die Heilige Katharina; Stadtpfarrer Thomas Sander.
In Wort und Vers würdigte Hermann Tontsch zudem Orgel und Altar; das von Stadtpfarrer Johannes Reudel gestiftete Taufbecken (1472); das Marienfresko in der südlichen Vorhalle; die aus der Barockzeit (etwa 1730-1740) stammende Kanzel und die Porträt-Grabplatten.
Angezogen war Hermann Tontsch von dem Mythus um den Adligen Fulkun, einen freigebigen Unterstützer des Sakralbaus – die Sage ging, Fulkun (eigentlich Falkwin, ein von dem Wort „Falke“ abgeleiteter Name mit der Bedeutung: Falkenfreund) habe in der Frühzeit der sächsischen Besiedlung des Burzenlands – im 13. Jahrhundert – dazu beigetragen, einen Vorgänger-Bau der Schwarzen Kirche zu errichten und auszustatten. Er sei wohl in der Zeit der Mongolenstürme (1241/42) umgekommen. Vermutlich sein Wappen, mutmaßlich sein in Stein geschlagenes Porträt zeugen von seinem Einsatz für Kirche und Gemeinschaft. Das etwa ist die Aussage des Gedichts „Der Sachse Fulkun. Eine Phantasie“ (1953. „Sinngedichte II“) und der historischen Anmerkungen hierzu.
Die Folge der „Sinngedichte“ schließt mit Versen, die zwei Wahrzeichen der Kirche gewidmet sind, einem akustischen (Große Glocke) und einem optischen (Turm). Beide Gedichte mögen hier eingeschaltet werden.
Die Große Glocke im Turm der Schwarzen Kirche
„Große du, herrliche Glocke, du Phönix im Klangreich der Erze, / Vielmal erstanden aufs neu, vielmal bewahrt vor Verderb. // Bald schon ein halbes Jahrtausend ein Sender unendlicher Werte, / Lebst du das Schicksal des Doms, lebst der Gemeinde Geschick. // Altdeutsche Kronstadt-Romantik, noch schlummernd in Dingen und Herzen, / Wird uns im Zauberbann wach deines tief-magischen Klangs… / Große du, herrliche Glocke!“ (1955. „Sinngedichte II“.)
Der Turm
„Einsamer Turm, dir ward der Bruderlosigkeit Schicksal, / Weil ja dein Partner erlag, eh´ er zum Manne gedieh´n; // Manchem Ästheten zum Gram – doch uns, die zu Füßen dir tollten, / Bist du von Jugend vertraut, so, wie dein Meister dich schuf. // Rage, o Turm meiner Jugend! Rag´ auf, mein Turm, zu den Sternen! / Sprich deiner Turmsprache Erz! Weiser du, weis´ uns den Weg!“ (1953. „Sinngedichte II“.)
In den Horizont der Sinngedichte gehören auch weitere zwei kunstvoll gestaltete lyrische Gebilde: „Der Ring des Honterus“ (1949) und „Honterusfest“ (1956).
Der kulturgeschichtliche Rahmen, in den sich Hermann Tontschs „Sinngedichte“ fügen lassen, wurde anhand von literarischen Zeugnissen anderer Autoren bereits detailreich umrissen. Peter Motzan deutete die Schwarze Kirche als „Dingsymbol kollektiver Identität“ (2001) und erhärtete seine Befunde mit Belegstellen aus Werken der siebenbürgisch-deutschen Literatur (1919–1944). Réka Jakabházi wiederum ging über den deutsch-sächsischen Gesichtskreis hinaus, sie sah „Die Schwarze Kirche als Topos der kollektiven Identitätskonstruktion in der deutschen, rumänischen und ungarischen Lyrik der Zwischenkriegszeit“ (2019, 2020).
Hermann Tontschs Bescheidenheit zeigte sich auch dann, wenn er sich veranlasst sah, sein eigenes dichterisches Schaffen einzuschätzen. Seine Verse galten ihm weniger als „Originalschöpfungen im eigentlichen Sinne des Wortes“, sie erschienen ihm vielmehr als „das Mitschwingen harmonischer Obertöne meines Inneren mit den herrlichen Schöpfungen ganz großer Meister“ (1952. „Meine Verse“. Nachlass H. T. im Archiv der Schwarzen Kirche).
Er hatte das Gefühl, seine Gedichte rechtfertigen zu müssen:
Rechtfertigung meiner Verse
„Meine Rhythmen, meine Reime will ich / Nicht entschuldigen, nicht loben, / Nur rechtfertigen: Feuerfunken / Sind sie, die dem dunklen Stein entstoben, / Wenn in Lust mich oder Qual / Traf des Schicksals heller Strahl. – / Funken, auch die allerkleinsten, / Sind des Weltenfeuers Söhne; / Echtheit, Reinheit, innre Schöne / Sind ihr göttlich Vatererbe… / Funke wollt´ ich sein, bevor ich sterbe.“ (1952. Nachlass H. T. im Archiv der Schwarzen Kirche.)
An anderer Stelle notierte er: „Meine bescheidenen Gedichte oder besser gesagt Reimereien haben fast ausschließlich den Charakter familiärer, rein privater Hausmusik, die nicht für den Konzertsaal, nicht für die große Öffentlichkeit und deren Kritik bestimmt ist. Man könnte sie auch mit Tagebuchaufzeichnungen vergleichen: Erinnerungen an Erlebtes und innerlich Verarbeitetes.“ (1953. „Für die »Vorsprüche« zu meinen Gedichten“. Nachlass H. T. im Archiv der Schwarzen Kirche.)
Eine Liste eigener lyrischer Texte umfasst achtzig Titel aus allen Lebensabschnitten. Folgende Verszeilen verstand er als Epilog einer Sammlung seines poetischen Schaffens:
Gebet am Lebensabend
(Nachwort zu meinen Gedichten)
„Perlenfischer zu sein in den Tiefen der Welt und der Seele, / War mein beglückend Geschäft; schenke mir´s, Vater, dort auch; / Dort, wo im Urlicht des Geists, erforscht aus Welten und Seelen, / Jeder Gedanke vermag, Perle der Wahrheit zu sein.“ (1952. Nachlass H. T. im Archiv der Schwarzen Kirche.)
Joachim Wittstock
Professor Hermann Tontsch (1960). Foto: Nachlass Gernot Nussbächer
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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