Carmen Puchianu: Germanistische Aufsätze, Rezensionen, Würdigungen
20.05.10
Zwei neue germanistische Bücher im aldus-Verlag erschienen (II)/ von Prof. Dr. Mariana Lazarescu
Der 156 Seiten starke Band „Literatur im Streiflicht. Germanistische Aufsätze, Rezensionen, Würdigungen. Überarbeitete Textauswahl“ von Carmen Elisabeth Puchianu ist 2009 im aldus-Verlag erschienen. Er enthält ein Kapitel zur deutschsprachigen Moderne, eins zur rumäniendeutschen Literatur und eins mit Rezensionen und Würdigungen. Wie es der Titel besagt und der Umschlag es grafisch zum Ausdruck bringt, geht es in dem Band um Literatur im Streiflicht, wobei Etappen in der Entwicklung der Autorin als Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin, Germanistin und Übersetzerin festgehalten werden. Der Band ist als Handreichung für Lehrende und Studierende der Germanistik gedacht. In den Aufsätzen, die in der Zeitspanne 2000-2009 entstanden und auf Tagungen und Kongressen vorgetragen wurden, wird auf Thomas Manns Liebes- und Passionsgeschichten fokussiert sowie auf das asiatische Prinzip in der Interpretation des „Zauberbergs“ eingegangen. Liebe, Tod, Krankheit sind Leitmotive oder sogar Obsessionen im lyrischen und epischen Werk Puchianus. Was die Gegenüberstellung des asiatischen und europäischen Prinzips im „Zauberberg“ anbelangt, schlussfolgert Puchianu, dass das asiatische Prinzip keine Frage des Sowohl-als-auch, im Sinne der Interkulturalität, sondern eher eine Frage des Entweder-Oder ist.
Im Aufsatz „Die Parabel vom verlorenen Sohn bei Rilke und Kafka“ setzt sich die Autorin zunächst ausführlich mit dem Begriff auseinander, um nach der Analyse von Rilkes und Kafkas Texten zur Einsicht zu gelangen, dass für beide die Umdeutung des Motivs die richtige Lösung darstellt. Die kritische Aneignung und das Umschreiben der neutestamentarischen Vorlage sind aufschlussreich für die Vorgehensweise der (post)modernen Literatur.
Der Band zeugt davon, dass die Autorin eine reife Germanistin, Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin zugleich ist. Konsequent und treu bleibt sie Thomas Mann gegenüber, den sie auch in ihrer Dissertation behandelt hat und den sie zu ihren wichtigsten literarischen Vorbildern zählt. Dadurch, dass die „große“ deutsche Literatur und die deutschsprachige Literatur aus Rumänien zwischen den Deckeln ein und desselben Buches zusammenfinden, wird erreicht, was in wenigen Literaturgeschichten nachzulesen ist, nämlich eine Annäherung zwischen Mitte und Rand, zwischen Zentrum und Peripherie. Und das ist im Falle Puchianus kein Konstrukt, sondern eine Tatsache. Sie widmet einige Aufsätze und Würdigungen ihrem Schriftstellerkollegen Joachim Wittstock, dem sie in ihrem schriftstellerischen Werdegang vieles verdankt, wie sie oft anlässlich ihrer Lesungen gesteht. Ein Teil des Bandes ist somit eine Geste der Dankbarkeit und der Anerkennung. Von der rumäniendeutschen Literatur, vertreten durch Joachim Wittstock, kehrt Puchianu wieder zurück zu Thomas Mann und unternimmt eine Analyse des Romans „Die uns angebotene Welt“ von Joachim Wittstock. Dabei wird auf die Verwandtschaft zwischen Georg Härwest und Hans Castorp hingewiesen. Es ist die Rede von einer produktiven Rezeption, denn Wittstock geht, vielleicht ohne zu wollen, den gleichen Weg wie Thomas Mann. Außer den Rezensionen zu Wittstocks Romanen „Bestätigt und besiegelt. Roman in vier Jahreszeiten“ und „Die uns angebotene Welt“ ist eine Besprechung des Essaybandes „Einen Halt suchen“ von J. Wittstock zu lesen. Erwähnenswert sind auch die Buchbesprechungen zu Richard Wagners Roman „Habseligkeiten“ und Christel Ungar-Topescus Gedichtband „Wenn wir jetzt“ sowie der Bericht zur Lesung von Christian Haller und Nora Iuga, Texte, die in der ADZ oder KR im oben genannten Zeitraum erschienen.
Als Dichterin, die auch die literarische Szene der 80er Jahre gekannt hat, widmet Puchianu einen Beitrag der Lyrik aus der Zeit, wobei sie diese zwischen Linientreue und Opposition situiert. Dabei bezieht sie sich auf die in der Zeitschrift „Neue Literatur“ erschienenen Texte und hebt schließlich deren Verdienste hervor, oppositionelle Lyrik gefördert und gedruckt zu haben. Repräsentativ für die 80er Jahre ist demzufolge die Lyrikanthologie „Der zweite Horizont“, 1988 erschienen, denn „Die hier zu Wort Kommenden sind zwar auf Grund ihrer Biografien auf das Engste mit der sozialistischen Gesellschaftsordnung verbunden, entbehren jedoch den Enthusiasmus der Anfangsgeneration sowie den Glauben an die mobilisierende Funktion der sozialistischen Literatur. Sie schreiben aus der Perspektive des Zweifels am System, in das sie hineingeboren, in dem sie erzogen worden sind und dessen schizophrenes Wesen sie dichterisch zu durchleuchten bemüht waren. So gesehen, vertreten sie in der Tat einen zweiten Horizont und zwar im Sinne bewussten Abdriftens von den offiziell festgelegten Richtlinien, weg von den Belangen der Kollektivität und hin zu den Ängsten, Frustrationen, zu Leidenschaft und Aufbegehren des Einzelnen.“ (Vgl. Puchianu, S. 108)
Dank Carmen Elisabeth Puchianu ist „Casa Sperantei“ (Haus der Hoffnung), die mythisch gewordene Herberge, ein beliebter Tagungsort der Germanistinnen und Germanisten einmal im Jahr, wenn sie alle dort zusammenkommen, um sich fachlich auszutauschen und danach mit neuen Ideen nach Hause ziehen, wo sie den akademischen Pflichten wesentlich bereichert nachgehen. In diesem Kontext ließe sich die berühmte Grabinschrift des Simonides von Keos: „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl“ folgendermaßen paraphrasieren: „Wanderer, kommst du nach Kronstadt, verkündige dorten, du habest uns hier tagen gesehen, wie die Liebe zum Fach es befahl.“
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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