Christliebe Höhr geb. Pilder 1925-1999
08.08.25
Archivarin und Scherenschnitt-Künstlerin/ Von Peter Simon
Christliebe Höhr geb. Pilder war über viele Jahre hinweg die gute Seele des Archivs der Honterusgemeinde. Der Schreiber dieser Zeilen hat eine besondere Beziehung zu ihr, war sie doch Schulkollegin und treueste Freundin seiner Mutter bis zu ihrem unerwarteten und zu frühen Tod. In diesem Jahr wäre Christel Höhr 100 Jahre alt geworden – Grund genug, um die Würdigung, die unser treuer und fleißiger Historiker Gernot Nussbächer schon vor 10 Jahren verfasst und in der Karpatenrundschau veröffentlicht hatte, noch einmal den interessierten Kronstädtern in Erinnerung zu bringen. So würdigen wir gleich zwei bedeutende Menschen, die eine wichtige Rolle für das Archiv der Honterusgemeinde gespielt haben, Gernot Nussbächer und Christliebe Höhr. Es folgt nun Nussbächers ungekürzter Text.
„Am 11. März 2015 hätte Christliebe Höhr, geborene Pilder, ihr 90. Lebensjahr erfüllt. Das ist ein willkommener Anlass für eine kurze Würdigung dieser besonderen Frau. Christliebe Maria Pilder wurde als Tochter des Ingenieurs Erwin Pilder (1897–1972) und der Luise, geb. Scherg (1900–1985) am 11. März 1925 in Kronstadt geboren. Ihr Großvater war der Obervorstädter Pfarrer Georg Scherg (1863–1943), der Begründer der Gemeinschaftsbewegung in Kronstadt. Christliebe Pilder war auch eine Nachfahrin des Reformators Johannes Honterus in der 18. Generation. Nach dem Schulabschluss am Kronstädter Mädchengymnasium besuchte sie die Sekretärinnen-Schule der DVR und wurde eine ausgezeichnete Schreibkraft für Maschineschreiben und Stenographie. Im Januar 1945 wurde auch sie in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert und kehrte zurück. In den Jahren 1952–1962 war sie mit dem Architekten Paul Prall (1922–2007) verheiratet und hatte mit ihm die Tochter Heidelore (1955). Sie war dann als Daktylographin auch beim damaligen Volksrat angestellt, bis um das Jahr 1959 der verdienstvolle erste Archivar der Kronstädter Honterusgemeinde Gustav Markus (1895–1979) sie als seine Assistentin in das Archiv der Schwarzen Kirche brachte. Nach seinem Abgang wurde sie im Jahre 1964 die Leiterin des Archivs bis zu ihrer Pensionierung im März 1980. Wegen der vom damaligen Kultusdepartement verfügten Beschränkung der Archivbenützung versah Christliebe Höhr auch immer mehr Sekretärinnenarbeiten, da sie ungewöhnlich schnell, genau und ordentlich arbeitete. Sie schrieb die ersten Gesamtinventare des Kirchenarchivs (1963) und der Archivbibliothek (drei Bände) sowie deren alljährliche Fortsetzungen bis einschließlich zum Jahre 1979. Dann legte sie die Karteien für die Bibliothek und das Archiv an, die auch heute noch benützt werden. Dabei hat sie in Pionierarbeit auch die Quarto- und Oktav-Bände der wertvollen Handschriftensammlung von Franz Josef Trausch (1795–1871) verzeichnet. Ebenso hat sie das große Gesamtinventar der Honterusgemeinde von 1968 (Neicov-Inventar) geschrieben, dazu die Presbyterial- und Präsidialprotokolle als Schriftführerin. Der von ihr um 1970 eingeführte Aktenplan wurde etwa zwei Jahrzehnte lang verwendet und so sind die Akten aus dieser Zeit auch heute noch leicht erschließbar. In den Jahren 1964–1966 arbeitete sie an dem großen elfbändigen Werk von Dr. Erich Jekelius (1889–1970) „Genealogie Kronstädter Familien“ mit, für das sie die Indizes erstellte. Ihr Vater hatte vorher die große Sippenkartei des Burzenländer Sächsischen Museums auch zu diesem Zweck geordnet. Im Jahre 1966 heiratete Christliebe Pilder den von Schäßburg gebürtigen Hermann Viktor Höhr (1905–1994), mit dem sie mehr als ein Vierteljahrhundert lang eine schöne Ehe führte. In ihrer Freizeit verdiente Christliebe Höhr sich zusätzliches Geld durch Maschineschreiben für verschiedene Autoren. Auch der Schreiber dieser Zeilen hat vor allem in den Jahren 1963–1985 die meisten seiner Artikel, Abhandlungen und Bücher von ihr schreiben lassen. Sie waren immer sauber, ordentlich und korrekt geschrieben, praktisch druckreif und er bewahrt ihr dafür ein dankbares Andenken. Aber Christliebe Höhr war auch eine künstlerische Natur, offen für alles Schöne. Eine besondere Vorliebe hatte sie für Scherenschnitte, in denen sie eine wahre Meisterin war. Einen Kalender mit ihren Blumenscherenschnitten brachte der Kronstädter Aldus-Verlag für das Jahr 1996 heraus. Ebenso war sie auch eine Kunstfotografin, die wunderbare stimmungsvolle Aufnahmen machte. Christliebe Höhr war auch eine große Bücherfreundin und hatte eine wertvolle Bibliothek. Es war ein schönes Privileg, daraus Bücher borgen zu können. Mit dem Schriftsteller Eugen Roth (1895–1976) stand sie jahrelang im Briefwechsel. Auch eine Musikliebhaberin war sie und hatte bestimmt auch noch andere Qualitäten, die dem Verfasser dieser Zeilen nicht bekannt oder nicht mehr erinnerlich sind. Er würde Christliebe Höhr als eine wertvolle vielseitige schöngeistige Persönlichkeit bezeichnen. Am 2. Juli 1999 starb Christliebe Höhr und wurde als Obervorstädter Kind am Obervorstädter evangelischen Friedhof im Grab Nr. 178 beigesetzt, unweit des Pfarrhauses, wo sie in ihrer Kindheit oft bei ihren Scherg-Großeltern weilte und daran bis ins Alter schöne Erinnerungen bewahrte. Im gleichen Grab liegt außer ihren Großeltern auch der Gymnasialrektor Julius Groß (1855–1931). Am 90. Geburtstag von Christliebe Höhr kam der Gedanke auf, aus diesem Anlass einen Gedenkartikel über diese verdienstvolle Frau zu schreiben, damit die „Spur von ihren Erdentagen nicht in Äonen untergeht“. Wir sind Christliebe Höhr für ihre Verdienste um die Honterusgemeinde und besonders um das Archiv und die Dokumentarbibliothek zu Dank verpflichtet.”
Soweit Nussbächers Würdigung.
In der Ausgabe der „Lebensräume“ für Ostern 2025 (Nr. 54), des Gemeindebriefes der Honterusgemeinde, hat Frank-Thomas Ziegler eine schöne Auswahl von Fotos aus dem Nachlass Georg Schergs, des Stadtpredigers der Oberen Vorstadt und Großvaters von Christel Höhr, veröffentlicht. Nachdem Christel Höhr diesen Nachlass über viele Jahre hinweg gut aufbewahrt hatte, waren diese Fotografien nach ihrem Tode über den Antiquitätenhandel in eine Kronstädter Privatsammlung gelangt. Deren weitblickende Besitzerin brachte sie kürzlich Herrn Ziegler zur Kenntnis. Herr Ziegler erkannte ihre Bedeutung und bat die Besitzerin erfolgreich um Erlaubnis, eine Auswahl daraus veröffentlichen zu dürfen. Das wechselhafte, letztlich aber glückliche Schicksal dieses fotografischen Nachlasses liegt darin begründet, dass der Tod von Christel Höhr plötzlich und unerwartet eintrat. Andernfalls hätte sie mit Sicherheit dafür gesorgt, dass er fein säuberlich geordnet und beschriftet an den richtigen Ort gelangt, so wie das mit dem Nachlass von Luise Treiber-Netoliczka geschehen ist.
In Höhrs Nachlass gibt es auch Fotos ihres Urgroßvaters, des Blumenauer Stadtpredigers Andreas Tontsch. Andreas Tontsch ist im 46. Lebensjahr gestorben und wurde in der Pfarrergruft am Blumenauer Friedhof bestattet. Seine Frau Louise geb. Dück, die Tochter des Zeidner Pfarrers, ruht ebenfalls in dieser Gruft. Joseph Dück (1814–1883) ist der Verfasser der „Geschichte des Kronstädter Gymnasiums“ gedruckt 1845 in der Gött`schen Druckerei. In die Reihe der bedeutenden Vorfahren gehört auch Franz Josef Trausch als Urururgroßvater. Dessen Tochter war die Ehefrau des Pfarrers Joseph Dück. Der Bruder von Georg Schergs Frau war der Gymnasialprofessor Hermann Tontsch (1881–1968). Hermann Tontsch war der Verfasser der Festschrift „Die Honteruspresse in 400 Jahren“. Gernot Nussbächer nennt ihn seinen großen Förderer, was seine Forschungen an der Schwarzen Kirche betrifft. Eine Schwester von Georg Schergs Frau war Marie Tontsch, die Gattin des Gymnasialdirektors Julius Gross (1855–1931). Er war der Verfasser der „Geschichte des evangelischen Gymnasiums A.B. in Kronstadt von 1848 bis 1898“. Auch er hat seine letzte Ruhe im Grab Nr. 178 in der Oberen Vorstadt gefunden. Diese Grabstätte beherbergt somit viele bedeutende Kronstädter und könnte auf die Liste der Ehrengräber aufgenommen werden.
Foto: Dieses kleine Kunstwerk hat der Vater des Verfassers zum Geburtstag 1995 von Christel Höhr erhalten. Dolden-Milchstern, Ornithogalum Umbellatum.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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