Das Kulturerbe nimmt uns gemeinsam in die Pflicht
23.07.09
Festansprache („Quellenrede“) anlässlich des diesjährigen Honterusfestes in Pfaffenhofen (I)/Von Wolfgang Wittstock
In zweijährigem Turnus feiern die in Deutschland lebenden Kronstädter ihr Honterusfest in Pfaffenhofen an der Ilm (Oberbayern). Heuer war es am 5. Juli wieder so weit: Auf dem Waldspielplatz bei Pfaffenhofen gaben sich Hunderte von Kronstädtern ein Stelldichein. Es wurden 750 Festabzeichen verkauft, fast so viele wie vor zwei Jahren.
Das Honterusfest in Pfaffenhofen ist vor allem ein Fest der Freude am Wiedersehen alter Freunde und Bekannter, der Erinnerung an die in Kronstadt verbrachte Zeit. Der offiziellen Teil des Festes nimmt nur wenig Zeit in Anspruch. Zunächst wird gemeinsam das Lied „Heil Honterus! Preist ihn alle“ (Text: Heinrich Schlandt, Musik: Rudolf Lassel) gesungen. Es folgt – nach dem Vorbild der Honterusfeste, die bis zum Zweiten Weltkrieg in der Noa bei Kronstadt abgehalten wurden - die Festansprache, die sogenannte „Quellenrede“. Und zum Abschluss singen alle „Siebenbürgen, Land des Segens“. Dann wird zum gemütlichen Teil des Festes übergegangen, mit Holzfleisch, „Mici“, Bier, aber auch an Ort und Stelle gebackenem Baumstriezel.
Als Festredner war heuer Wolfgang Wittstock, Vorsitzender des Deutschen Forums Kronstadt, nach Pfaffenhofen eingeladen worden. Wir veröffentlichen seine „Quellenrede“ in dieser und in der nächsten Ausgabe unserer Wochenschrift.
Liebe Kronstädter und Burzenländer Landsleute, meine Damen und Herren,
an diesem schönen Ort zu Ihnen sprechen zu dürfen, ist mir eine besondere Ehre, und ich danke den Organisatoren des Honterusfestes für die diesbezügliche Einladung. Es ist sicher eher die Ausnahme als die Regel, dass ein Vertreter der heute noch in Kronstadt lebenden Sachsen die sogenannte „Quellenrede“ beim Honterusfest in Pfaffenhofen halten darf. Man kann diese Feststellung nachprüfen, wenn man das kürzlich von Ortwin Götz herausgegebene Buch zur Hand nimmt, dass dem Phänomen „Honterusfest“ gewidmet ist und das u.a. auch die Texte aller Quellenreden, die hier in Pfaffenhofen gehalten wurden, enthält.
Selbstverständlich wird der Umstand, dass der diesjährige Quellenredner als gebürtiger Kronstädter seinen Wohnsitz noch immer in Kronstadt hat, auf das abfärben, was ich Ihnen sagen will. Ich hoffe, die Organisatoren dieses Honterusfestes waren sich dieses Risikos bewusst, als sie ihre Einladung aussprachen, und ich hoffe desgleichen, dass Sie, geehrte Zuhörer, meine Ausführungen mit Nachsicht zur Kenntnis nehmen werden.
*
Liebe Landsleute, heuer erfüllen sich genau 70 Jahre, seit das letzte Honterusfest auf der Honteruswiese in der Noa bei Kronstadt gefeiert wurde. Die Generation der heute etwa Achtzigjährigen und noch ältere Semester können sich noch aus eigener Anschauung an die Kronstädter Honterusfeste in ihrer ursprünglichen, klassischen Ausprägung erinnern. Bekanntlich wurde das erste Honterusfest am 30. Juli 1845 im Zeichen des 300-jährigen Bestehens des von Johannes Honterus begründeten humanistischen Gymnasiums gefeiert. Ursprünglich als Schulfest gedacht, entwickelte sich das Kronstädter Honterusfest in den folgenden Jahrzehnten zu einem jährlich stattfindenden Ereignis, an dem das gesamte sächsische Kronstadt Anteil nahm und das jedes Mal eine eindrucksvolle Manifestation des mustergültigen Gemeinsinnes und der Heimatliebe unserer Kronstädter Sachsen darstellte. In der Literatur finden sich Hinweise dafür, dass das Honterusfest einmal das größte Volksfest der Siebenbürger Sachsen gewesen ist.
Meiner Generation war es nicht mehr vergönnt, die Honterusfeste auf der nun verbauten Honteruswiese in der Noa zu erleben. Woran ich mich noch recht gut erinnere, das sind die Wiederbelebungsversuche auf dem Kleinen Hangestein in den 50er Jahren. Ich ging damals in die zweite oder dritte Klasse, war also acht-neun Jahre alt und hatte selbstverständlich an Quellenreden und solchem Zeug absolut kein Interesse. Was aber in meiner Erinnerung haften blieb, das sind die Spiele und Wettkämpfe für Kinder, die dort veranstaltet wurden, etwa das Sackhüpfen, dann als Höhepunkt immer das Fußballspiel zwischen der Mannschaft der Professoren und jener der Obergymnasiasten und nicht zuletzt die anrührenden Klänge der Blasmusik, die von einer unserer Burzenländer Gemeinden für dieses Fest verpflichtet worden war. Mit diesen Honterusfesten auf dem Kleinen Hangestein war es bald vorbei, denn Ende der 50er Jahre verschlechterte sich die sozialpolitische Wetterlage im kommunistischen Rumänien erneut, es gab zahllose Verhaftungen und politische Prozesse, die auch die Kronstädter Sachsen – so sie nicht direkt betroffen waren, als Stichworte erwähne ich bloß Schwarze-Kirche-Prozess und Schriftstellerprozess – zumindest einschüchterten und verängstigten. Zwei Jahrzehnte später gab es noch einmal den Versuch, Kronstädter und Burzenländer Sachsen in einem großen Gemeinschaftsfest zusammenzuführen. Ebenfalls in der Noa – aber nicht am ursprünglichen Platz, sondern auf einer etwas südlicher gelegenen Wiese – wurden in den Jahren 1979 und 1980, jeweils im Juni, etwa zum Abschluss des Schuljahres, sogenannte „Burzenländer Trachtenfeste“ gefeiert, die sich eines großen Zuspruchs erfreuten. Doch die Zeiten, in denen Ceau{escus Nationalkommunismus immer groteskere Formen annahm, waren derartigen Initiativen keineswegs bekömmlich, sodass auf weitere Ausgaben dieser „Burzenländer Trachtenfeste“ verzichtet werden musste.
Damals griffen bereits die Abmachungen, die Ceau{escu und der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt im Januar 1978 in Bukarest vereinbart hatten, und auch die Kronstädter Sachsen entschlossen sich in zunehmender Zahl, nach Deutschland auszuwandern. Zieht man die Ergebnisse der letzten Volkszählung vom März 2002 in Betracht, so kann man sagen, dass heute in Kronstadt noch etwa 1500 Deutsche leben, die, im Vergleich zu den rund 258.000 Kronstädter Rumänen und den rund 23.000 Kronstädter Ungarn, zumindest von der Zahl her kaum noch ins Gewicht fallen. Die große Mehrheit der Kronstädter Sachsen lebt heute in Deutschland. Und unzweifelhaft leben diese Kronstädter, die in Deutschland ein neues Zuhause gefunden haben, in einer anderen Welt und haben andere Sorgen als jene Kronstädter, die noch in Kronstadt zu Hause sind. Was aber beide Gruppen, die kleinere in Kronstadt und die wesentlich größere hier in Deutschland, miteinander verbindet, das sind ihre Wurzeln, die in ihrer gemeinsamen Geschichte, der stolzen Geschichte unserer Heimatstadt Kronstadt, verankert sind. Kronstadt – daran besteht kein Zweifel - ist eine in ihrer geschichtlichen Entwicklung vorwiegend deutsch bzw. siebenbürgisch-sächsisch geprägte Stadt. Das sieht man noch heute, das wird immer wieder auch von unseren andersnationalen Mitbürgern anerkannt, auch wenn sich die Stadt, vor allem in den kommunistischen Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg durch die forcierte Industrialisierung, nicht zuletzt aber auch durch die städtebaulichen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte nach dem Sturz Ceau{escus, stark verändert hat.
Liebe Landsleute, das wertvolle Kulturerbe, das uns unsere Vorfahren hinterlassen haben, nimmt uns gemeinsam in die Pflicht, die Kronstädter hier in Deutschland und die Kronstädter, die noch in Siebenbürgen leben. Gerade das Honterusfest, an dessen Tradition nicht nur hier in Pfaffenhofen, sondern auch wieder in Kronstadt angeknüpft wird, ist dafür ein gutes Beispiel. Denn in Kronstadt wird seit dem Jahr 1992 wieder alljährlich – in der Regel Ende Mai, Anfang Juni – das Honterusfest gefeiert. Diese Kronstädter Honterusfeste neueren Datums haben nicht mehr die Dimensionen der Honterusfeste aus der Vorkriegszeit, es handelt sich nun wieder eher – so wie das am Anfang war - um das Schulfest der Honterusschule, in der weiterhin in deutscher Sprache unterrichtet wird, auch wenn die große Mehrheit der Schüler zu Hause, in der Familie, Rumänisch oder Ungarisch spricht. Zum Programmablauf dieser neuen Kronstädter Honterusfeste gehört eine gemeinsame Wanderung der Schüler, Lehrer, Eltern und Freunde der Schule vom innerstädtischen Schul- und Kirchhof in die Schulerau, auf eine schöne Wiese auf dem Langen Rücken, wo dann mit viel Juchhe Spiele gespielt sowie Sportwettkämpfe veranstaltet werden. Ein Höhepunkt ist, wie früher auf dem Kleinen Hangestein, das Fußballspiel der Zwölftklässler mit den Professoren. Und die Burzenländer Blaskapelle ist auch jedes Mal zur Stelle. Auf die „Quellenrede“ wurde allerdings leider verzichtet.
(Fortsetzung in unserer nächsten Ausgabe)
Festansprache („Quellenrede“) anlässlich des diesjährigen Honterusfestes in Pfaffenhofen (I)/Von Wolfgang Wittstock
Foto: 1
Honterusfest in Pfaffenhofen: Wolfgang Wittstock hält die Festrede
Foto: Ortwin Götz
Foto 2:
Das Festabzeichen – es kostete 4 Euro – gewährte Zutritt zur Festwiese
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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