„Das Virus ist eine Erfindung”
11.06.20
Bus- und Zugreisen in Corona-Zeiten
Der Inter Regio-Zug 12745 aus Bukarest Richtung Baia Mare trifft pünktlich um 8.55 Uhr am Kronstädter Bahnhof ein. Das offene Abteil im Waggon nr. 3 ist leer, bis auf eine Familie, die nach Jibou reist. Vor den Leuten liegen über 10 Stunden Zugfahrt. Eine Frau liest mit lauter Stimme Nachrichten von ihrem Smartphone und kommentiert sie. Es geht um die Verwandten des Gesundheitsministers Nelu T²taru, die gut bezahlte Jobs in verschiedenen Ministerien haben. Ich trinke Kaffee aus einem Pappbecher und bewundere die vorbeiziehenden Rapsfelder. Als der Schaffner kommt, setze ich mit schnell die Schutzmaske auf und zeige ihm die Fahrkarte und den Studentenausweis. Der Schaffner winkt mit einem Zwinkern ab. „Die Maske ist irrelevant“, meint er. „Warum sollte sie irrelevant sein?“, frage ich. Er schaut auf meinen Studentenausweis. „Ich sehe, sie sind gebildet. Dann brauche ich Ihnen also nicht zu erklären, warum diese Masken lächerlich sind. Sie wissen wohl nur zu gut, dass das Coronavirus eine Erfindung ist“. Bevor ich etwas sagen kann, ist er schon weg. Ein Glück, dass in Zügen die soziale Distanz noch eingehalten werden kann.
Es ist der Vormittag des 3. Juni 2020. Vor genau 3 Monaten, am 3. März, bin ich genau dieselbe Strecke gefahren: Kronstadt-Schäßburg. Es war meine letzte Zugfahrt vor dem Ausbruch der Corona-Epidemie und der Ausrufung des Notstandes in Rumänien. Damals ahnte noch niemand, wie stark sich unser Leben ändern wird. Die Fahrt von Kronstadt nach Neumarkt ist meine erste Reise nach der Lockerung der Beschränkungen. Ab dem 1. Juni muss man keine Erklärung mehr ausfüllen, wenn man in eine andere Stadt reist. Auch Hotels und Pensionen haben inzwischen geöffnet.
In Schäßburg scheint die Sonne, obwohl es für den Monat Juni noch sehr kalt ist. Bis der Kleinbus kommt, der nach Neumarkt fährt, habe ich zwei Stunden Zeit. Ich verbringe sie mit einem Spaziergang durch die Burg und einem Mittagessen auf der Terrasse eines Restaurants. Ein paar Verkäufer sitzen vor ihren Souvenirläden und plaudern miteinander. Kaum jemand betritt die Geschäfte. Die schwere Zeit ist noch nicht vorbei. Fast alle Tische auf der Terrasse sind besetzt, obwohl der Wind etwas stark bläst. Hier werden die Regeln eingehalten. Jeder Gast muss seinen Namen und seine Handynummer in ein Register eintragen. Im Kleinbus nach Neumarkt herrscht Gedränge. Eine Frau drängt sich auf den Stuhl neben mich. Sie trägt keine Maske. Gut, dass der Weg nur eine Stunde dauert.
Im Zentrum von Neumarkt sieht man viele Leute auf der Straße, wie an einem normalen Tag vor Corona. Doch die Stimmung ist irgendwie anders. Etwas Merkwürdiges liegt in der Luft. Die Pension, in der ich wohne, hat vor einem Tag geöffnet, vier Zimmer sind an diesem Abend schon belegt. Es sind meistens Stammkunden, die aus geschäftlichen Gründen kommen. Touristen werden es wohl in diesem Sommer weniger sein. Und Ausländer noch weniger , meint die Inhaberin der Pension. Die letzten Einträge im Gästebuch stammen vom 8. März. „Dann kamen die Absagen per Telefon, eine nach der anderen. Am 15. März haben wir dann geschlossen“. Frühstücksbuffet gibt es vorläufig nicht mehr, man denkt an Zimmerservice als Alternative.
Später treffe ich Freude zum Abendessen. Die Freude des Wiedersehens ist groß, doch zögert man ein wenig, bis man sich in die Arme schließt. Auf der Terrasse verlangt niemand unsere Kontaktdaten. Unser Gesprächsthema dreht sich anfangs um die Corona-Zeit. Auch Leute an anderen Tischen reden darüber. Wir erinnern uns an die ersten Tage, an denen alle ständig auf die Nachrichten geschaut haben, an die Zeit, wo ein Event nach dem anderen abgesagt wurde und an die Zeit, als man alle Beschränkungen akzeptieren musste und einen neuen Lebensstil anfing. Doch dann wird es plötzlich wieder wie ein Treffen in normalen Zeiten. Bloß das Tragen der Maske, wenn man auf die Toilette geht erinnert mich, dass die Krise noch längst nicht überwunden ist.
Am nächsten Tag beschließe ich, nicht mit dem Zug sondern mit dem Bus nach Kronstadt zurückzufahren. In dieser Zeit fahren nur drei Busse pro Tag auf der Strecke Neumarkt-Kronstadt-Bukarest und zurück. Am Busbahnhof angekommen, gibt es eine schlimme Überraschung. Statt großen Bussen wurden Kleinbusse eingesetzt, der Korridor zwischen den Sitzplätzen ist sehr eng. Bis Schäßburg verläuft die Fahrt gut, es sind etwa 10 Fahrgäste im Bus. Im Busbahnhof von Schäßburg warten etwa 20 Personen. Sie drängeln, um einen Platz im Bus zu ergattern. Manche finden keinen mehr, doch sie werden trotzdem hineingelassen. „Passen alle diese Leute hinein?, fragt ein Herr besorgt. „Sie dürfen nicht alle hineinlassen. Warum respektieren sie die Regeln nicht? Wie kann Distanz eingehalten werden?“, fragt er den Fahrer. „Soll ich sie etwa draußen lassen? Der nächste Bus fährt in 6 Stunden. Falls es Ihnen nicht passt, steigen Sie aus“, antwortet dieser. „Ich werde bei der Direktion für Öffentliche Gesundheit anrufen und Sie reklamieren. Sie dürfen keine Passagiere mitnehmen, wenn keine Sitzplätze mehr vorhanden sind“, droht der Fahrgast. „Sie können ruhig anrufen. Dann fährt kein Bus mehr, Ihrendwegen. Wollen Sie, dass wir Ihrendwegen hier bleiben?“, erwidert der Fahrer. „Und wenn wir alle krank werden, Ihrendwegen?“, fragt der Fahrgast. Plötzlich fangen die Leute im Bus an, den Mann zu beschimpfen, obwohl dieser recht hat.
„Niemand wird krank. Kennen Sie vielleicht einen Coronavirus-Kranken? Nur Schwachköpfe wie sie glauben an Corona!“, schreien die Leute um die Wette. Einer von ihnen droht sogar mit einer Schlägerei. Schließlich fährt der überfüllte Kleinbus weiter.
„Schämst du dich denn nicht?“, fragt eine Frau. Der arme Mann sagt kein Wort mehr.
Ich frage mich nur, warum man keinen großen Bus auf dieser Strecke einsetzt, wenn die Anfrage so hoch ist. Es ist sicherlich der Geiz des Transportunternehmens, das in dieser Zeit viel Geld verloren hat. Nach ein paar Minuten geht die Diskussion weiter. „Corona ist eine Erfindung. Ich habe in dieser Zeit Leute vom Flughafen abgeholt und wurde nicht krank. Besser sterbe ich an Corona, als dass meine Kinder den Hungertod sterben. Ich will arbeiten“, meint der Fahrer. „In diesem Jahr war es Corona. Wer weiß, was sie nächstes Jahr erfinden“. Der Passagier, der die Zustände im Bus reklamiert hat, meldet sich wieder zu Wort. „In Reisebussen muss der Abstand gesichert werden“. Der Fahrer antwortet: „Wir sind in Rumänien. Hier werden keine Regeln eingehalten“. Eins ist sicher: wer auf seine Gesundheit achten will, sollte in dieser Zeit Reisebusse vermeiden.
Elise Wilk
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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