Deutsche Armeeangehörige im Ersten Weltkrieg
16.04.09
Wie deutsche Armeeangehörige im Ersten Weltkrieg Rumänien erlebten (VI)
Vor 93 Jahren trat Rumänien in den Krieg gegen die Mittelmächte ein / Von Dr. Michael Kroner
Eine etwa 20.000 Mann zählende Armee trat den Rückzug an, der sich äußerst schwierig gestaltete, da die notwendigen Transportmittel fehlten. Der Heimtransport erfolgte über Siebenbürgen, Ungarn und Österreich. In den siebenbürgischen und ungarischen Städten wurden gezwungenermaßen Zwischenaufenthalte eingelegt, bis sich eine Gelegenheit zur Weiterfahrt ergab. So leitete Mackensen zunächst von Hermannstadt und dann von Großwardein den Rückzug. Er bemühte sich, die Disziplin aufrechtzuerhalten und Auflösungserscheinungen vorzubeugen. Es gelang ihm nur teilweise. Es dauerte Wochen bis die Soldaten in Deutschland anlangten, wobei sie in Ungarn, zum Teil auf Befehl der Entente, entwaffnet und vorübergehend interniert wurden. Sogar Mackensen wurde in Budapest gefangengenommen und erst Ende November 1919 entlassen.
Der Dichter Kurt Tucholsky, der den Rückzug auch mitgemacht hat, schrieb rückblickend aus Berlin am 19. Dezember 1919 an Mary Gerold: „Ich habe die Polizeistelle, von der aus ich schrieb, nicht mehr lange gehabt. Die Situation wurde immer brenzlicher da unten, ich bekam den Befehl, als letzte Dienststelle mit der kämpfenden Truppe abzurücken. Mir war das gleich, aber die Sachen - ! (Ich hatte Maschine, Zivil und vieles da.) Wie das wegbekommen? Und ich bewirkte, daß ich vorher abreisen konnte. Dann erklärte Rumänien den Deutschen den Krieg - oder umgekehrt -, und wir fuhren mit der ganzen Gesellschaft - Beamte, Kommissare - aus Craiova fort. Das war ungefähr am 18. 11. In Hermannstadt fuhren uns die Beamten mit unserem Gepäck vor der Nase weg. Wir blieben in den meisten Städten ein paar Tage. Hermannstadt ist entzückend: bestes, altes, gutes Deutschland. Winklige Gassen, eine wundervolle Bevölkerung und sehr gutes Essen, nicht zu vergessen. Budapest schäumt vor Leben und Übermut - eine herrliche junge und springlebendige Stadt. Wien halb verhungert. München ganz nett und gemütlich wie immer..."
Auf das Verhalten der Offiziere und Soldaten in der Etappe und auf den Rückzug aus Rumänien kommt Tucholsky auch in seinen antimilitaristischen Beiträgen, die er nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichte, zu sprechen, wobei man den Eindruck hat, dass er das Kind mit dem Bade ausschüttet und die deutschen Frontkämpfer allesamt zu korrupten Schiebern und Gaunern macht, die aus der Niederlage nichts gelernt hatten. In einem Artikel „Revolution beim preußischen Kommiß" (1922) erinnert er sich u.a. an den Rückzug: „Als wir aus Rumänien wegfuhren - unser Hauptmann war schon vorher ausgekniffen, - da blieben wir in Hermannstadt stecken - und wir saßen im Hotel, lasen die ersten Revolutionsnachrichten aus der Heimat und überdachten die Lage. Revolution - ? Hier war jedenfalls wenig davon zu spüren...Inzwischen fingen die einzelnen Formationen sich sachte aufzulösen. Geschlossen oder einzeln ließen die Mannschaften unbeliebte Offiziere im Stich, winkten mit der Hand: Auf Wiedersehen! und fuhren ab nach Kassel.
Wir saßen in Hermannstadt (das heute zu Rumänien gehört) und sahen uns die hübschen deutschen Straßen und Plätze an und sprachen mit den Deutschen, die dort unten seit langen Jahrhunderten sitzen. Sie sprechen einen Dialekt, der ein wenig an das Alemanische anklingt, und manche Worte waren zu verstehen.
Weiter kamen wir zunächst nicht...Also blieben wir da. Es waren unvergeßliche schöne Tage. Am schönsten wurde es, als größere Stäbe in die Stadt rückten.
Man stelle sich die Situation genau vor: Zu Hause ging alles drunter und drüber... die Republik war ausgerufen --in Hermannstadt ging alles seinen alten Gang.
Rührend war es mit anzusehen, wie in dem vollkommenen Durcheinander der alte idiotische Dienstbetrieb aufrechterhalten wurde. Sie hatten nichts gemerkt: nichts von der Blamage, nichts von dem unglücklichen Abgang, den sich die Armee in Rumänien gemacht hatte. (Ein Bukarester Witzblatt brachte ein paar Wochen später ein Bild, auf dem sich zwei Droschken begegneten. In einer saß ein deutscher Offizier mit viel Gepäck. ´Weich aus!´ rief der Kutscher. ´Siehst du nicht, daß ich den Sieger zum Bahnhof fahre?´) - Sie hatten nichts gemerkt. Sie waren alle wie der eiserne Hindenburg: vernagelt.
Und was noch bei Nacht und Nebel ganz klein und leise aus Rumänien herausgerollt war, das trug in Hermannstadt den Kopf schon wieder so hoch wie je und wollte nichts von Revolution wissen und hielt die Zeitungsnachrichten für Enten. Und spielte weiter Krieg, wie es vier Jahre lang gespielt hatte."
Im Gegensatz zu der polemischen und Post-festum-Betrachtung Tucholskys wird man die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes beim Rückzug nicht „idiotisch" finden, sondern darin eine geglückte, größtenteils disziplinierte Heimführung sehen.
(aus: „Südostdeutsche Vierteljahresblätter Nr. 4/1996)
- Schluss -
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