Die Jahre im Honterus-Internat 1958 – 1962
01.12.23
Erinnerungen eines aus Heldsdorf stammenden ehemaligen Schülers (II)
Am lustigsten ging es bei Prof. Wermescher in Russisch zu, es wurde viel gelacht aber trotzdem mit seinem System mit + und - der Bewertung der Antworten, streng, gerecht und es mangelte nie an Noten, bei fünf Zeichen gab es eine Note. Prof. Wolf (Rudolf) unterrichtete Latein und ist als streng aber sehr gerecht in Erinnerung geblieben. Wegen Schwangerschaft ist sie aber ausgeschieden. Prof. Adleff unterrichtete Chemie, beherrschte den Stoff sehr und kam immer nur mit dem Katalog in der Hand in die Klasse. Prof. Edith Rothbächer unterrichtete Physik und war auch sehr gerecht. Zuletzt nicht zu vergessen unseren humorvollen Zeichenlehrer Prof. Helfried Weiß.
Das Schuljahr 1959 - 1960
15. September 1959. Das Internatleben in der neunten Klasse begann unter ganz veränderten Verhältnissen. Wir waren in der vormaligen Mädchenunterkunft in der Waisenhausgasse 14 untergebracht und wurden mit rumänischen Schülern zusammengelegt. Unser neuer „Erzieher“ war Hans Wolf aus Schäßburg aber die vormalige Disziplin und Ordnung waren dahin. Es war ein Vorgeschmack auf was noch kommen sollte.
Das vormals hier untergebrachte Mädcheninternat wurde aufgelöst, die Schülerinnen mussten sich Privatquartiere suchen. Aus welcher Schule die rumänischen Internatler kamen weiß ich nicht mehr, es waren auch Grundschüler unter ihnen, während bei den deutschen nur Gymnasiasten waren. Das Küchenpersonal war ein völlig anderes, Küchendienst wurde nicht mehr gemacht. Die Lernstunden fanden unter Aufsicht des Erziehers in einem freien Klassenraum im B-Gebäude statt. Auffallend viele Schüler der 8. Klasse (Geburtsjahrgang 1945) kamen vom Dorf. Die Kriegsjahrgänge der Geburten machten sich bemerkbar und so waren Subdirektor Babiak und Prof. Bielz im Sommer auf den Dörfern unterwegs, um Werbung fürs Gymnasium zu machen. Es gab sogar eine Klasse, die fast nur aus Dörflern bestand.
Ansonsten ist mir aus dem Internatsleben in diesem Schuljahr wenig in Erinnerung geblieben. Unser Klassenzimmer in der 9-A wurde die Säulenklasse links im 1.OG im B-Gebäude. Oft verharrte unser Rumänisch-Lehrer Spiru Hoidas an der Säule mit Blick auf die Mädchenreihen. Generell hatten wir die gleichen Lehrer wie im Vorjahr in den verschiedenen Gegenständen. Prof. Rothbächer war in Physik ausgefallen und wurde vom pensionierten Lehrer Fulz vertreten. Ich kann mich erinnern wie er uns das „Weingeistthermometer“ erklärte. Musik unterrichtete Prof. Walter Schlandt. In einer Klassenarbeit sollten wir vorgegebene Takte in Noten umsetzen. Er flehte uns an nicht abzuschreiben und versprach niemanden durchfallen zu lassen oder gar eine schlechte Note zu geben, selbst bei Abgabe des leeren Blattes. Wie sollte nun ein unmusikalischer wie ich, der nicht einmal die Noten kannte, so etwas bewerkstelligen. Natürlich gab es welche unter uns die das mit Links konnten und ihre Arbeiten kreisten durch die Reihen. Eigentlich unfair Prof. Schlandt gegenüber.
In der achten und neunten Klasse mussten wir uns mit fünf Sprachen herumschlagen: Deutsch, Rumänisch, Russisch, Latein als Pflicht und Englisch, Französisch zur Auswahl. In diesem Jahr wurde erstmalig Werkunterricht eingeführt. Schlosserei und Werkzeugmaschinen von Lehrmeister Jakob unterrichtet. Am Ende des Schuljahres mussten wir zwei Wochen Praktikum in einem Betrieb ableisten. In der Cooperativa Chimica konnte ich so erfahren wie Kerzen, Fensterkitt, Schuhcreme hergestellt und verschiedene Gummisachen vulkanisiert werden.
Das Schuljahr 1960 - 1961
1960 war das Jahr in dem die deutsche Schule die Selbständigkeit verlor und nun als Abteilung des Saguna-Gymnasiums fungierte. Wir wurden im Internat dieser Schule in der Angergasse untergebracht. Es war ein riesiges 1912 errichtetes Gebäude in T-Form und nur für Schülerunterkunft gebaut. Links vom Haupteingang waren ein Mädchenzimmer und das Büro der Verwalterin Frau Rosler. Rechts davon war die Hausmeisterwohnung. Die achte bis zehnte Klasse waren in einem riesigen Schlafraum im 2. Obergeschoss einquartiert. Aus den Fenstern konnten wir gut in den Hof der Securitate von gegenüber Einblick nehmen. Oft wurde dort vergessen die Rollläden abends zu schließen, so wunderten wir uns, dass zu jeder Nachtstunde dort Leute mit irgend etwas beschäftigt waren, maßen dem damals aber keine Bedeutung zu. Neben unserem Schlafraum war ein Zimmer, in dem ein ungarisches Ehepaar wohnte. Er war Zufahrer der Lebensmittel mit einem Pferdegespann und sie Putzfrau. Oft fiel es ihm ein abends Zither zu spielen und wir durften zuhören.
In unserem Gebäude war Dampfheizung installiert, die bei Heizungsbeginn furchtbare Knaller verursachte und uns jeden Morgen frühzeitig aus dem Schlaf riss. Nachts war das Gebäude wie eine Festung verriegelt, sehr zu unserem Leidwesen. Winters wurden die Handball-Pokalspiele in der Tractorul-Halle ausgetragen und die dauerten oft bis spät nachts. Wenn dann jemand das für den Einstieg vorbereitete Fenster unbewusst doch noch verriegelte, blieb uns nichts anderes übrig als beim Hausmeister zu klopfen. Die gute Tanti Firea kam dann im Schlafhemd und gewährte uns durch die Hauptpforte Einlass. Übrigens war ihr Sohn Radu auch Handballspieler. Im Gebäude waren Klassenräume in denen die Lernstunden unter Aufsicht abgehalten wurden. Die Disziplin war weit von dem entfernt was wir in der achten Klasse unter deutscher Regie erfahren durften. Anfangs wunderten wir uns, wie die Elfklässer die Putzfrauen reihum betatschten und diese das als selbstverständlich hinnahmen. Vermutlich waren sie von den vorangegangenen Jahrgängen dazu trainiert worden. Schwer vorstellbar was passiert wäre, wenn wir so etwas mit unserem „Hannchen“ (Putzfrau 1958/59) gemacht hätten. An das Zusammenleben mit Rumänen hatten wir uns gewohnt. Wir waren ja in der glücklichen Lage in einer Sprache (Sächsisch) zu kommunizieren, die sie nicht verstanden. Damit sie nicht mitbekamen, wenn wir über sie redeten, wurden ihre Namen einfach übersetzt.
Kantine und Essraum waren im Untergeschoß. Neben der Treppe war ein Brett mit den Essmarken. Das waren runde, durchnummerierte Blechjetons, wo jeder seine Nummer hatte. Vor dem Essraum war ein Tisch, von wo man die vom Küchenpersonal vorbereiteten Portionen gegen Abgabe der Marke in Empfang nahm und in Essraum zu einem freien Platz an einem Tisch trug. Hier wurde auch das gebrauchte Geschirr abgegeben. Einige Klassen hatten nachmittags Unterricht und kamen später zum Abendessen. Oft war das Abendmenü Käsenudeln mit ein wenig riechendem Käse, was den Mädels nicht bekömmlich war. Es gab aber einen besonders Hungrigen und so begannen die Teller von Tisch zu Tisch bis zu ihm zu wandern. Mit zwei Mal mit der Gabel ausholen war ein Teller leer und die Teller stapelten sich am Tischrand. Ebenfalls im Untergeschoss waren die Duschen nur mit einer Wand untereinander getrennt. Am Duschtag nutzten dann 4-5 je eine Dusche.
Im Frühjahr 1961 herrschte eine große Grippeepidemie, so dass der Unterricht ausgesetzt wurde. Die Internatler waren in Quarantäne, es war ihnen streng verboten das Internat zu verlassen. Trotzdem hatten einige es gewagt und wurden prompt exmatrikuliert.
Unterricht war im nahen Saguna-Gebäude, wo nun deutsche und rumänische Klassen abwechselnd untergebracht waren. Meine Klasse die 10-B war im Erdgeschoss Ecke Sportplatz/Angergasse. Gegenüber war die Geburtenklinik, wo auch die damals völlig legalen Schwangerschaftsunterbrechungen getätigt wurden. In den Pausen, durch die zum Lüften offenen Fenster konnte ich manche bekannte Frau von dort kommen sehen.
Zu dem Uniformzwang kam für uns Jungen noch der Krawattenzwang und die Mädel mussten in Patentstrümpfen mit obligatorischen weißen Kragen und Haarband herumlaufen. Der Mützenzwang wurde lockerer gehandhabt und trotzdem gab es manchmal Razzien. Lehrer wurden in der Früh ums Gebäude postiert und die Schüler durfte nur mit Mütze, die nicht jeder hatte, die Schule betreten. Durchs Fenster eine zuzuwerfen gelang nicht immer. Zu der am linken Uniformärmel obligaten Schulmatrikel kam noch eine durchlaufende Nummerierung dazu. Schwer vorstellbar was passieren würde es sollte jemand auf den Gedanken kommen, so etwas im hiesigen deutschen Schulwesen einzuführen. Eigentlich waren diese einheitlichen Uniformen eine gute Einrichtung und trotzdem gab es finanziell besser gestellte, meist Rumänen, erkennbar an Uniformen aus einem feineren Stoff.
In der 10-ten Klasse gab es erneut eine Einteilung und zwar in Human- und Realklassen mit entsprechend strukturiertem Lehrstoff. In der Humanklasse waren Latein und Sprachen vorherrschend, während in den beiden Realklassen Mathematik zum Hauptgegenstand wurde und sie waren dem Latein los. Neben Latein fiel auch Erdkunde weg aber es kamen dazu: Politische Ökonomie und ALA (Luftschutz). In Musik wurde nun Musikgeschichte unterrichtet, was auch mir gefiel. Ich kann mich erinnern wie der sensible Lehrer Prof. W. Schlandt Probleme hatte, den Mädchen die Eunuchen zu erklären. In Werkunterricht unterrichtete Meister Andree Automobilkunde, was besonders bei den Jungen gut ankam.
Das Schuljahr 1961 - 1962
Das Jahr 1961 brachte einige Veränderungen. Im Saguna-Gymnasium wurde noch eine Hauswirtschaftsschule eingegliedert, die nur von Mädchen besucht wurde. Da diese ebenfalls im Internat untergebracht wurde, musste der Jungenanteil auf einen Schlafraum reduziert werden und der Flur zu den Mädchen mit Schränken abgeteilt unter Nutzung des hinteren Aufgangs. Wir waren nun in der elften Klasse, hatten das Sagen, mussten aber auch für Disziplin sorgen. Unser Tovarasul pedagog Herr Teodorescu hatte die Schlafkrankheit. Spätestens 19:30 Uhr, fiel er wie tot ins Bett und selbst wenn er später noch ab und zu im Pyjama auftauchte, wusste er am nächsten Tag nichts davon. Zwar war um 22.00 Uhr, Licht aus aber das Leben ging am Flur und in dem im Erdgeschoss befindlichen Klassenraum weiter. Uns Elfklässer war bewusst, dass am Ende des Schuljahres die Matura ansteht und dementsprechend wurde auch mehr gelernt, meist bis in die Nacht hinein.
Der Weg zur Schule war kurz und wir staunten über das zahlreiche Personal, das zur gleichen Zeit gegenüber in das Areal der Securitate hinein strebte.
Unsere Klasse die 11-E war im 1. OG untergebracht. Von den unterrichteten Gegenständen fielen weg: Politische Ökonomie und Musik aber es kamen dazu: Wissenschaftlicher Sozialismus, Psychologie und Astronomie. Erdkunde und Geschichte Rumäniens wurde in rumänischer Sprache unterrichtet. Gegen Ende des Jahres, im Hinblick auf Aufnahmeprüfungen auf Hochschulen, unterrichtete Prof. Sebastian Seidel auch Mathematik auf Rumänisch. Durch seine Art mit den vielen Extemporales, waren wir in Mathematik besonders gut vorbereitet und der Katalog konnte die vielen Noten kaum fassen. Werkunterricht wurde in der Elektroreparatur Werkstatt im Traktorenwerk abgehalten.
Ein Ereignis hatte damals für viel Aufruhr gesorgt. Zwei Schüler aus der 11. Klasse hatten einem Lehrer, nachts mit einem Stein, die Fenster eingeschlagen, wurden aufgespürt und eine Woche vor der Matura exmatrikuliert.
Die Matura-Prüfung war bald vorbei und man musste an das weitere Leben denken. Unterwegs im Internat wurde ich von der Sekretärin der Prüfungskommission aufgegriffen und gebeten die Diplome auf der Vorderseite mit Tusche zu beschriften. Das habe ich gemacht und so führen alle Diplome derer, die im Juni 1962 die Prüfung bestanden haben, meine Handschrift. Die Namen wurden von der Original-Geburtsurkunde übertragen und die waren dort oft fehlerhaft. Bei der Unterzeichnung schüttelte Prüfungsvorsitzender Prof. Hermann Baier aus Schäßburg immer den Kopf, wenn er so etwas sah. Die Vordrucke waren in Buchform und zwischen Diplom und Abriss war ein großer senkrechter Schriftzug. Hier wurde mitten durch, jedes Diplom in einer andern Wellenform mit der Schere abgetrennt. Diese Abrisse sind aufbewahrt worden und so kann die Echtheit des Diploms durch Übereinstimmung des Schnittes bewiesen werden.
Sollte man mich nach vier Jahren Internatsleben nach einer Bilanz fragen, so möchte ich das Schuljahr aus dem Honterus-Hof (1958/1959) aus meinem Leben nicht missen. In späteren gelegentlichen Zusammenkünften auf HOG-Ebene mit Hans Unberath und Erwin Thot war diese Zeit immer das beliebteste Gesprächsthema. Die anderen drei Jahre haben vielleicht zur besseren Kenntnis der rumänischen Sprache geführt, da ständig im Gebrauch und wir von den Kollegen der rumänischen Parallelklassen die Lernbegriffe erfahren konnten.
Karl-Heinz Brenndörfer
Internatler des Jahrgangs 1944 bei einem Klassentreffen 2002 in Tieringen. In der Mitte der Autor des Textes. Foto: Privat
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