Die Pflege ostdeutschen Kulturerbes
21.05.09
Stich für Stich
Die Pflege ostdeutschen Kulturerbes vermag aus notgedrungener Bescheidenheit eine Tugend zu machen
Die Meinungen darüber sind geteilt, ob die Pflege des ostdeutschen Kulturerbes entwicklungsbedingt rücklaufig ist oder nur auf andere Weise wahrgenommen wird. Unzweifelhaft ist in den Familien mit ostdeutscher Wurzel noch recht viel an dinglichem Kulturgut vorhanden, das nicht selten auf dem Sammelweg ergänzt und weitergegeben wird, zum anderen führt der Generationenwechsel und die Integration der Vertriebenen ins westliche Umfeld unweigerlich zur Aufgabe von Lebens- und Kulturformen, wie sie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges vom Baltikum bis zu den Karpaten in den deutschen Siedlungsgebieten verbreitet waren.
Museen und wissenschaftliche Institute sind bemüht, das bedrohte ostdeutsche Kulturgut zu sammeln, zu erforschen und zu präsentieren, es kann indessen nur sehr begrenzt gelingen, zu dessen gesellschaftlich wahrnehmbarem Überleben beizutragen. Der Rückgang der ostdeutschen Mundarten ist kaum aufzuhalten, auch Liedgut und Brauchtum der deutschen Heimatvertrieben werden selbst im ebenfalls rückläufigen landsmannschaftlichen Bereich nur noch gelegentlich gepflegt. Das hat zur Folge, dass die ostdeutsche Kultur weitgehend als Erinnerungskultur stattfindet und sich ihr, neben den bodenständigen Traditionen, kaum Entwicklungsmöglichkeiten bieten. lm engeren Rahmen allerdings sind Arbeitskreise anzutreffen, denen es gelingt, die Volkskunst nicht nur zu erhalten, sondern sie auch heutigen Erwartungen anzugleichen. Nicht selten wird diese im stillen getane Arbeit übersehen oder ihr Wirkungsbereich unterschätzt, dabei sollte doch alles, was geschieht und in der Substanz echt ist, unser Interesse erregen und wach halten.
Als ein solcher Arbeitskreis kann der seit 1984 bestehende Handarbeitskreis im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus gelten, der auch in diesem Jahr mit einer Ausstellung ostdeutscher Stickereien auf sich aufmerksam gemacht hat. Angeregt von Oskar Böse, dem ehemaligen Direktor des Hauses des Deutschen Ostens, wurde sie im Theaterfoyer Haus Lörick in Düsseldorf gezeigt, wobei neben der Präsentation ausgesuchter Arbeiten aus Ostpreußen, Siebenbürgen und den Sudetenlandern auch auf die Entwicklungsgeschichte und die regionalen Besonderheiten hingewiesen wurde.
War in Ostpreußen und Siebenbürgen der Kreuzstich vorherrschend, so wurde im Sudetenland der Plattstich bevorzugt. Unterschiedlich waren auch die verwendeten Motive wie Bäume, Fische und Schiffe (Ostpreußen), Lebensbaum (Egerland), Tiersymbole und Sternmotiv (Siebenbürgen). Für Helga Lehmann und Christel Knackstätt, die Leiterinnen des Düsseldorfer Handarbeitskreises, ist „die gute Verbindung der Einzelmotive für die Gesamtwirkung" entscheidend. „Kompakte Flächen", lehren sie, „dürfen nicht allein stehen. Sie bedürfen einer Auflockerung. Aufgelockerte Flächen wieder müssen einen Zusammenhang haben, um sich nicht wie Streublümchen auf der Wiese zu verlieren." Sie verweisen dabei auf alte Muster, die gute Losungen mit eingesetzten Füllseln zeigen.
Dem Düsseldorfer Arbeitskreis geht es indessen nicht nur um die Konservierung der alten Stickkunst - sein besonderes Anliegen ist es, die Stickkunst dem heutigen Bedarf anzupassen und ihr somit das Überleben in unserer Warenhauskultur zu ermöglichen. Große Handarbeiten, wie sie früher bei Hochzeitsdecken, Paradekissen, Gardinen und Teppichen Verwendung fanden, werden heute nicht mehr gesucht. Hingegen sind die alten Motive auf Lesezeichen, Lavendelbeuteln, Glückwunschkarten, Tischdecken, Platzdeckchen, Serviettentaschen und nach wie vor aut Schürzen und Wandbehängen gefragt. „Ein geübtes Auge", so Helga Lehmann und Christel Knackstätt, „sieht sehr bald den Unterschied zur Bildchenstickerei, die in den Kaufhäusern angeboten wird."
Auf diese Weise gelingt es, ostdeutsches Kulturgut über die Nachfrage des Marktes zu verbreiten, nicht als eine wie immer geartete Auftragskunst, sondern als integrativer Teil des Warenangebots für den praktischen Bedarf. Der Düsseldorfer Arbeitskreis macht in seinem Bereich verständlich, wie tradiertes Volksgut neben seiner musealen Betreuung am Leben erhalten werden kann. Der leicht erkennbare Nachweis, daß viele der in der ostdeutschen Stickkunst verwendeten Motive si ch überschneiden und immer wieder auch in der Volkskunst benachbarter europäischer Völker auftauchen, stellt zudem einen heute so gern zitierten grenzüberschreitenden Bezug heraus. Dieser aber gehörte schon immer zum Wesen jeder ostdeutschen Volkskultur, und so dürfen wir ihre tatsachlich verbindende Funktion guten Gewissens als gegeben und heutig anerkennen.
Franz Heinz (KK)
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