Die Seifenblase ist geplatzt
19.11.09
„Rulmentul“ vor dem Aus / Trainer Herbert Müller gibt nicht auf
„Ein traumhaft verlockendes Angebot, sowohl finanziell als auch vor allem sportlich“ - so beschreibt Herbert Müller den Grund der ihn im Vorjahr nach Kronstadt als Trainer des Frauen-Handballteams „Rulmentul Urban“ gebracht hat. In vier Jahren sollte ein Team aufgebaut werden, das zu den besten Europas gehören und erfolgreich in der Champions League mitspielen sollte. Dafür stand ein Spielerkader mit großen Namen zur Verfügung: Ionela Gâlca, Carmen Amariei, Cristina Neagu, die Portugiesin Alexandrina Barbosa, die Koreanerin Woo Sun Hee – es waren einige der Top-Spielerinnen die einen der besten Trainer hatten. Herbert Müller hatte dreimal den deutschen Meistertitel (2005, 2007, 2008) mit dem 1. FC Nürnberg gewonnen und wurde zweimal deutscher Pokalsieger mit demselben Team das er aus der Landesliga übernommen hatte. Seit 2004 ist der 1962 in Temeswar geborene und 1980 nach Deutschland ausgereiste Ex-Handballspieler von Poli Temeswar auch Cheftrainer der österreichischen Nationalmannschaft.
Heute sind die besten Spielerinnen weg. Es stellt sich die Frage, wie es weiter gehen soll, denn die Mannschaft hat unlängst nur in Acht gespielt, was in der Handballwelt bei einem solchen Niveau eigentlich unvorstellbar ist. Die Wirtschaftskrise und unprofessionelles Management haben den Klub in eine Krise gebracht, so dass es nun ums blanke Überleben geht. Für Herbert Müller ein Deja-Vu denn Nürnberg hatte er verlassen, weil auch dort die finanzielle Grundlage nicht weiter gesichert werden konnte. „Ich bin eigentlich hierher gekommen, um mich voll auf den Sport zu konzentrieren“, sagt er und verfolgt seine Spielerinnen bei den einleitenden Erwärmungsübungen im Kronstädter Sportsaal „Dumitru Popescu Colibasi“. Es scheine, als suche er sich komplizierte Vereine mit der Lupe aus, schlussfolgert er. Bei Rulmentul sei man nun am Ende und darüber hinweg: „Wir sind in einem Bereich, wo man das fast nicht mehr verantworten kann“. Wie es weitergehen soll, hängt nun von dem Bürgermeisteramt ab, das unter bestimmten Umständen (ohne Schulden) den Verein übernehmen würde.
Wie können aber Spielerinnen das Spielfeld betreten, kämpfen und sogar noch siegen, wenn das ihnen zustehende Geld monatelang ausfällt, wenn die Miete nicht bezahlt wird, wenn der Strom oder die Heizung zu Hause ausfällt? „Wir müssen alles dransetzen, um unsere sportliche Leistung zu bringen und da geht man mit bestem Beispiel voran.“ Wenn Herbert Müller das sagt, sind solch große Worte nicht leere Phrasen. Dahinter steckt Überzeugung, Willen, die Fähigkeit zu motivieren. Als Motivationskünstler könnte Müller sein Geld nicht nur im Handball verdienen. Der Damen-Handballtrainer ist überzeugt, dass Frauen, „ohne Wenn und Aber“ belastbarer als Männer seien. „Wenn ihnen gezeigt wird, wie's geht, dann folgen die einem bedingungslos.“ Und noch was Wesentliches kommt hinzu: „Ich liebe diesen Sport. Ich lebe Handball. Das begreifen auch die Mädels und das ist der Grund, warum es diese Mannschaft überhaupt noch gibt.“
Müller, der „typische Frauentrainer“ wie er sich selbst definiert, erhofft sich für den rumänischen Damenhandball, dessen Potenzial nicht geleugnet werden kann, einen Mentalitätswechsel: „Es muss noch viel Eis gebrochen werden, auch von der Trainerlehrer. Noch wird sehr viel nach alten kommunistischen Armee-Methoden trainiert“. Man müsse das skandinavische Handball-Modell als Vorbild nehmen; andre Mittel und Wege finden; den Spielerinnen mehr zutrauen, ihnen die Möglichkeit bieten, sich selber ins Spiel mehr einzubringen.
In Österreich, als Nationaltrainer, hat Müller zur Zeit eine sehr junge Mannschaft aufbauen können, die sich zur großen Überraschung vieler, für die in China im Dezember stattfindende Weltmeisterschaft qualifizieren konnte. „Wir fahren ganz ohne Leistungsdruck dahin und ich freue mich persönlich nach China zu kommen. Da war ich noch nie“, sagt Müller der dennoch für sein Team eine Chance sieht, die Hauptrunde zu erreichen, also den zwölf besten Länderteams der Welt anzu gehören. Sicher, es bedeutet zusätzlichen Aufwand, neben der Vereinsmannschaft auch die Verantwortung als österreichischer Teamchef zu tragen. Das nimmt er aber gern in Kauf, weil er sich diesen sportlichen Herausforderungen bedingungslos stellt. Alles wäre aber nicht machbar, wäre nicht der vier Jahre jüngere Bruder Helfried an seiner Seite.
Sie teilen, wie könnte es anderes sein, dieselben Ziele und Vorstellungen in Sachen Handball. „Er hat mehr als mein volles Vertrauen. Er ist mein bester Freund, nicht nur mein Bruder“, beschreibt Herbert Müller seinen Co-Trainer, der ihn übrigens auf allen Stationen seiner Berufslaufbahn mitbegleitet hat. Voriges Jahr war auch seine Familie da - Ehefrau Corina und die Töchter Nadia und Vanessa. Nadia besuchte die erste Klasse im Honteruslyzeum, fühlte sich in Kronstadt sehr gut und ist gern während der Herbstferien aus Nürnberg, wo sie nun mit ihrem Mutter und Schwester umgezogen ist, mit ihrem Vater nach Kronstadt zu ihren ehemaligen Schulfreundinnen mitgereist. Mit Malstiften und Zeichenblock sitzt sie auf einer Sitzbank am Spielrand und spricht rumänisch mit einigen der Rulmentul-Spielerin.
Auch dem Sportfan Herbert Müller gefällt Kronstadt sehr gut, zumal man da im Winter in zwanzig Minuten beim Schifahren sein kann. Die Zinnenstadt bietet auch beste Bedingungen für eine Handballmannschaft betreffend Kraft-, Fitness-, Reha-Bereich und Erholung. „Eigentlich ist alles, vorhanden um hier eine Top-Mannschaft aufzubauen“, sagt Müller, der weiterhin hofft, dass in letzter Minute auch die finanziellen Engpässe überwunden werden können.
Er selbst weiß nicht, wie seine berufliche Zukunft aussieht. Gute Angebote gibt es aus Österreich: Sportdirektor beim Verband oder Trainer bei Hypo Wien. In Kronstadt hat er einen Vierjahresvertrag unterschrieben, der aber, unter den jetzigen Bedingungen, neu diskutiert werden muss. Rulmentul ist von der rumänischen Spitzenmannschaft zum Mittelmaß abgerutscht - „eine bessere Jugendmannschaft“, so Müller. Die sportlichen Ziele müssen neu festgelegt werden. Müller sagt es nicht direkt, aber Mittelmaß und nur gegen den Abstieg kämpfen – damit kann sich der dynamische und ehrgeizige Trainer wohl nicht begnügen.
Nach der WM-Pause wird klarer sein, wo man in Kronstadt finanziell steht. „Ich fühle mich, wie ein Kapitän, der das Schiff natürlich als letzter verlassen will. Ich hoffe, dass wir nicht die Lichter ausmachen müssen, sondern dass es irgendwie eine Zukunft für diese Mannschaft gibt und werde alles dransetzen, um Rulmentul in sichere Fahrwasser zu führen.“
Das Training beginnt unter dem Kommando von Helfried Müller. Herbert und Simona Gogârla, die erfahrenste Spielerin der Rulmentul-Restmannschaft, gehen noch am Rand des Spielfeldes auf und ab, vertieft in einem Gespräch das sich nur um die Zukunft dieses anscheinend chancenlosen Teams drehen kann.
Ralf Sudrigian
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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