Die Urwälder Europas
08.10.09
Auf der Suche nach den letzten „wilden“ Landstrichen unseres Kontinentes
Den Begriff „Urwald“ verbinden wir fast immer, wenn wir ihn lesen oder hören, mit dem grünen Dickicht von Tropenwäldern, mit üppigem Unterholz, Feuchtigkeit, ganz weit entfernt von Europa. Doch das stimmt so nicht: auch in Europa gibt es noch Urwald, natürlich nicht tropischen, sondern langzeitig unbewirtschaftete Wälder in denen die Natur ihren eigenen Gesetzen folgt. Der deutsch-französische Fernsehkanal „Arte“, widmet diesen Thema einen Mehrteiler und einer davon befasst sich mit den „Urwäldern“ Rumäniens. Unter der Regie von Mirella Pappalardo, pirschten sich Rene Dame (Kamera) und Vivien Vogel (Ton) durch das Retezat-Massiv, den Semenik und den Hohenstein um die Tier- und Pflanzenwelt zu beobachten.
Während einer Drehpause besuchte uns das Fernsehteam in der Redaktion und erzählte uns Einzelheiten über das Projekt.
„Wir haben bis jetzt vorwiegend die kleinen Waldbewohner gefilmt, jene welche dafür sorgen, dass der Wald überhaupt lebt. Wenn nämlich ein Baum aus natürlichen Gründen stirbt, so kümmern sich Insekten und Käfer um diesen, er wird ihr 'Zuhause'. Auch haben wir einige sehr schöne Vögel angetroffen und warten jetzt auf die ersten Bären und Wölfe“, erklärt Mirella Pappalardo.
Waldtiere sind jedoch scheu und meiden den Menschen so weit wie nur möglich, also sind wir neugierig zu erfahren, wie solche Aufnahmen gemacht werden können, außer dem Einsatz von Fernobjektiven.
„Für unsere Aufnahmen haben wir jetzt drei Tage zur Verfügung. In diesen wird uns Hermann Kurmes als ortskundiger Experte führen und wir werden seinen Anweisungen folgen. Sowieso bewegen wir uns ja so leise und lautlos wie wir nur können, doch hier haben wir den Vorteil, von einem Hochstand aus, nahe einer Futterstelle, arbeiten zu können. Doch der Rest ist Glück“ meint Mirella Pappalardo lächelnd.
Hermann Kurmes ist zuversichtlich und vertritt die Meinung, dass der ausgewählte Drehort bei [inca, die besten Voraussetzungen bietet.
Die Hauptperson in dem Film bleibt jedoch der Wald in seiner Gesamtheit. Wieder Mirella Pappalardo: „Tiere stellen in unserem Film nur etwa 20 Prozent dar, der Rest ist der Pflanzenwelt gewidmet. Wir wollen zeigen, dass Rumänien die größte Fläche unberührten Buchenwald Europas besitzt. Ich gebe zu, dass ich sehr beeindruckt bin. Wir haben Bäume mit einem Alter von über 400 Jahren gesehen, deren Umfang vier Meter und mehr beträgt. Also erst zu viert konnten wir so ein Exemplar umfassen. In der Vorrecherche habe ich ja viel zu dem Thema gelesen, habe Flächen und Daten verglichen. Doch mit eigenen Augen zu sehen, wie sich das darstellt... Mit eben diesen jahrhundertealten Bäumen die ich in so einer Größe bisher noch nie gesehen habe... Wir haben eine Ulme gefunden deren Alter auf eben über 400 Jahre geschätzt wird. Geschätzt, weil das genaue Alter nur durch Fällen des Baumes oder durch Anbohren festgestellt werden kann. Das ist jedoch zu schade. Bei dieser Ulme jedoch gibt es Überlieferungen von Menschen die vor 200 Jahren schon dort gestanden und diesen Ort als magisch-mystisch verehrt haben. Diese Aufzeichnungen gibt es; demnach kann man das Alter ziemlich genau schätzen. Wir hatten auch die einmalige Gelegenheit, im Retezat, in einem Forschungsreservat zu drehen. Dorthin kommen sowieso nur ganz wenig Menschen hin, uns wurde jedoch eine Genehmigung erteilt. Das war ein besonderes Erlebnis. Dort haben wir zwei Tage verbracht und Urwaldboden betreten den so, in dieser Form, kaum jemand betreten hat. In das Gebiet dürfen nur die Förster, eben um zu sehen, wie es um die Natur steht.“
Zu dem Thema Natur und ihrem selbständigen Lauf kann sich Mirella Pappalardo begeistern: „Urwald in Europa ist ja wenigen bekannt. Kaum jemand ist sich bewusst, dass es ihn trotzdem gibt, den europäischen Urwald. Ich selbst lebe ja seit über dreißig Jahren in Deutschland, doch von dem Bayrischen Wald, als Urwald, also als unberührtes Areal wo die Natur herrscht, habe ich erst spät erfahren. Ein durch Windbruch gestorbener Baum wird aus solchen Wäldern nicht entfernt, nein er bleibt liegen und wird von der Natur selbst „recycelt“. Das bedeutet eigentlich dieser Begriff: ein Raum in dem die Naturgesetze herrschen. Der Wald ist sich selbst überlassen und regelt auf seine eigene, natürliche Weise seinen Bestand. An diesem Beispiel im Retezat haben wir erfahren, dass an der Stelle, weit über hundert Jahre, kein Mensch einen Baum gefällt oder entfernt hat. Keine Rodung, keine Lichtung, keine Säuberung. Da entsteht in über hundert Jahren eine Welt für sich, eine schöne Welt.“
Der Frage wie weit solch ein Urwald von menschlichen Siedlungen, Straßen, Schutzhütten sein muss um erhalten zu bleiben, ist auch das Arte-Team nachgegangen: „Im Retezat hatten wir einen Führer von Romsilva der uns eine einfache und sehr überzeugende Antwort geben konnte. Er meint, dass Rumänien das große Glück habe, sehr viel Wald zu besitzen, Laub und Nadelwald, der jedoch nur zu verhältnismäßig geringen Teil zugänglich ist. Eben die Entfernungen, oder die Abgelegenheit, besser gesagt, stellen diesen Vorteil dar. Wenn keine Straßen in der Nähe sind, so kann man kaum Bäume entfernen, schlagen, auch illegal nicht. Und so etwas soll erhalten bleiben.“
Hans Butmaloiu
Foto: Vivien Vogel, Rene Dame, Hermann Kurmes und Mirella Pappalardo zu Besuch in unserer Redaktion.
Foto: Hans Butmaloiu
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
13.06.25
Die Konferenzreihe ArhiDebate in Kronstadt
[mehr...]
13.06.25
Kronstädter Musikerinnen (XIII): Klavierlehrerin Adele Honigberger (1887-1970)
[mehr...]