„Die wechselseitige Achtung unseres So-Seins“
13.05.10
Wagner-Régeny über seine Begegnungen mit Bertolt Brecht
Der aus der siebenbürgischen Stadt Sächsisch Regen/Reghin stammende Komponist Rudolf Wagner-Régeny (1903 - 1969) hat sich in selbstbiografischen, auch literarisch wertvollen Zeugnissen („An den Ufern der Zeit“, 1989) über seine Kindheit und Jugend in der Geburtsstadt geäußert. Unveröffentlichte Erinnerungen und Notizen aus den Jahren 1943 - 1965 erschienen kürzlich in der Berliner Zeitschrift „Sinn und Form. Beiträge zur Literatur“, Nr. 1, 2010. Aus diesen Erinnerungen drücken wir heute Auszüge ab, die sich auf die Bekanntschaft mit Bertolt Brecht beziehen.
Wagner-Régeny, zu dessen musikalischem Werk Opern, Bühnenmusik, Lieder (nach Texten von Brecht, Fontane, Hesse) Oratorien, Orchesterstücke und Klavierkonzerte zählen, hatte vor dem II. Weltkrieg seinen größten Erfolg mit der Oper „Der Günstling“, die nach der Premiere in Dresden hundert weitere Aufführungen (auch in Hermannstadt) erlebte. Nach dem II. Weltkrieg verblieb Wagner-Régeny in der DDR; er wirkte als Professor für Komposition an der Berliner Hochschule für Musik und wurde mit dem Nationalpreis ausgezeichnet. Rudolf Wagner-Régeny war Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. 1961 wurde seine Oper „Das Bergwerk von Falun“ bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Das Konservatorium von Rostock trägt heute seinen Namen.
Der 100. Geburtstag des Komponisten war während der siebenbürgischen Kulturtage in Deutschland mit einem Symposion und Konzert angemessen gewürdigt worden: dabei auch auf ein Projekt verwiesen, die Klavierkonzerte durch CD-Aufnahmen zugänglich zu machen. Im Februar 2010 wurde der „Günstling“ in einer Neuinszenierung im Annaberg (Erzgebirge ) vom Publikum begeistert gefeiert. (H.Sch.)
---------------------------------------
Auf dem Pariser Platze tritt mir Max Butting in den Weg und sagt: „Gestern Abend ist Brecht gestorben.“ Ich gebe ihm die Hand und kann kein Wort hervorbringen. So - beiläufig, profan - auf der Straße erfahren wir Dinge, die uns sehr nahe gehen.
Zwischen 1928 bis 1931 hatten wir uns öfter in Berlin und in Baden-Baden gesehen. Unsere Begegnungen waren freundlich, offen und froh. Dann verloren wir uns aus den Augen.
Erst 1948, während ich in Rostock das mühevolle und undankbare Amt eines Rektors innehatte und nichts sehnlicher wünschte, als wieder nach Berlin zurückzukehren, hörte ich, dass Brecht nach Berlin gekommen sei. Weil alle Menschen, die 1933 die fatale deutsche Geschichte und später der Krieg getrennt hatte, wieder zueinander strebten - auch Caspar Neher war wieder in Zehlendorf-, reiste ich einige Male von Rostock nach Berlin.
Neher und ich hatten ein Stück unbeendet gelassen, welches „Der Darmwäscher“ hieß. Die Beendigung war uns durch Katastrophen mancher Art unmöglich gemacht worden. Ich war froh, das Stück Brecht vorführen zu können, um mir bei ihm Rat zu holen.
Im Hotel Adlon sahen wir uns nach Jahrzehnten wieder. Sein Zimmer sah aus wie ein privater Raum. Der für Brecht typische lange Tisch mit der Schreibmaschine und mit unübersehbar vielen Papieren, Zeitschriften und Büchern stand an einer der Wände.
Klemperer wohnte auch im Adlon.
Ich sehe Brecht und mich im Mantel durch die Korridore des Hotels gehen (denn es war weder in den Zimmern noch auf den Fluren geheizt). Brecht glaubte irgendwo Klemperers Klavier gesehen zu haben. Endlich fanden wir es auf einem dunklen Platze. Zu zweit schoben und hoben wir es, bis wir in eine schmutzige gekachelte Etagenküche gelangten. Hier spielte ich den „Darmwäscher“ vor. Es war vergnüglich und lustig. Brecht: „Eine sehr spaßige Sache! Die muß zu Ende geführt werden.“
In den folgenden acht Jahren entstand zwischen uns zunächst gegenseitige Zuneigung, dann ab er mehr und mehr wahre Freundschaft. Sie gründete sich auf die wechselseitige Achtung unseres So-Seins. Brecht beschäftigte sich nicht nur mit dem Texte des „Darmwäschers“, dem er den Namen „Persische Episode“ gab. Er überreichte mir zehn Gedichte, die ich vertonte (und bei Peters veröffentlichte). Wir riefen uns oft an und trafen uns bei ihm, oder er kam zu mir heraus.
Ein jedes Mal, wenn er bei mir war, fragte er: „Was machen Sie?“ Und ich mußte ihm das Neueste am Klavier vorspielen. Zweimal habe ich ihn von Herzen lachen gehört. Einmal in meinem Arbeitszimmer über meine Ausführungen, die sich auf das „Meinen“ der Leute bezogen: „Meine Meinung“, „Deine Deinung“, „Seine Seinung“. Ein anderes Mal, als ich ihm auf dem Cembalo mit allen Registern einen Teil der »Villageoises« von Poulenc vorspielte.
Unsere Zusammenkünfte brachten immer Bonmots hervor, an denen sich eine herzliche Vergnügtheit entzündete, die wir wohl beide suchten, weil sie im Leben nicht mehr zu finden war.
Unvergessen sind mir seine Kommentare. Er wollte, ich solle ihm die „Cantica Davidi Regis“ vorspielen. Als ich geendet hatte, fragte ich, ob vielleicht Unverständige und Böswillige mich nun als einen Abwegigen ansehen würden! Darauf sagte er mit zusammengekniffenen schmalen Lippen trocken und scharf: „Das Stück heißt: Ich - bin - traurig!“
Ein anderes Mal waren wir in meiner Wohnung verabredet. Einige Minuten bevor er kam, hatte mir jemand am Telefon einen Witz erzählt. Noch hing das Lachen auf meinem Gesicht, als ich ihm öffnete. Er wollte wissen, was es sei. Es war dieses: Eine sechzig Jahre alte Jungfrau heiratet. Des Nachts hört man sie sagen: „Nein, Oscar! Entweder 'rein oder 'raus! Das Gewackel macht mich nervös.“ Während mich das heillose Unverständnis der Dame einer ihr unbekannten Beschäftigung gegenüber belustigte, hatte Brecht freilich eine ganze Gattung von Leuten auf sein elegantes Florett gespießt, denn er sagte: „Sieh da, der Spießer! Er erträgt nur Zustände. Das Unterwegs ist ihm lästig.“
Ein halbes Jahr vor seinem Tode sahen wir uns oft, denn ich hatte zu „Pauken und Trompeten“, einem Stück für sein Theater, Musik geschrieben.
Wie anregend, kostbar und schön seine Theaterproben waren, sollen andere überliefern. Ich wollte mich beschränken darauf, was mich in den Zusammenkünften mit ihm betraf. Nicht aber, wie man ihn sieht und wie man sich seiner erinnert.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
13.06.25
Die Konferenzreihe ArhiDebate in Kronstadt
[mehr...]
13.06.25
Kronstädter Musikerinnen (XIII): Klavierlehrerin Adele Honigberger (1887-1970)
[mehr...]