Eine souveräne und komplexe Sicht über die rumänische Literatur (II)
18.02.10
Zu Nicolae Manolescus Standardwerk: „Kritische Geschichte der rumänischen Literatur“, fünf Jahrhunderte Literatur, Editura Paralela 45, Pitesti, 2008, 1526 S. (Großformat), 285,90 Lei, ISBN 978-973-47-0359-3
Durch diesen Vorschlag wurde Roth ein Opfer des damaligen ungarischen Nationalismus, der ihm unterstellte, ein Feind der Ungarn zu sein. Dies, obwohl Roth neben seinen eigenen drei Kindern noch ein viertes ungarisches Findelkind adoptiert hatte. Im Zuge eines Justizmordes aufgrund dieser unhaltbaren Behauptung wurde er in den Revolutionswirren ein Opfer der „Reichsungarn“. Der einzige siebenbürgische Ungar in diesem Unrechtstribunal sprach sich gegen eine Verurteilung Roths aus. Doch vergebens. 1849 wurde Roth in der Hauptstadt Siebenbürgens Klausenburg/Cluj-Napoca/Koloszvar erschossen. Heute tragen Straßen seinen Namen und das Gymnasium in Mediasch/Medias heißt Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasium.
Doch vor zuviel Nationalstolz warnt Manolescu ausdrücklich, besonders was seine Lyrikanalysen anbelangt. Er zeigt sachlich auf, wie wichtig die Entwicklung der Muttersprache ist. Besonders in der Auffassung der europäischen Romantik. Hiermit setzt er die Überlegungen des bedeutendsten rumänischen Literaturkritikers des 19. Jahrhunderts Titus Livius Maiorescu (1840-1917) fort. Maiorescu hatte, wie viele seiner Zeitgenossen, auch in Deutschland studiert und dort auch promoviert. Nach seiner Rückkehr in die Heimat gründete er die literarische Vereinigung Junimea, die alle großen Autoren seiner Zeit vereinen konnte.
Die klassische rumänische Literatur wurde gleichermaßen von der französischen und der deutschen Romantik beeinflusst.
Rumäniens Nationaldichter Mihai Eminescu (1850-1889) studierte in Wien und Berlin und war zeitlebens ein treuer Anhänger Arthur Schopenhauers (1788-1860), sowie der deutschen Romantik. In seinem Hauptwerk, dem lyrischen Poem „Der Abendstern“ („Luceafarul“), wird dieser Einfluss genial verarbeitet und weitergeführt.
Im Zuge seiner Lyrikanalyse sorgt Manolescu auch für die Entmythologisierung zweier früher als nationale Bauerndichter verklärte Poeten. Die Siebenbürger George Cosbuc (1866-1918) und Octavian Goga (1881-1938) sind für ihn keine autochthonen Bauernbarden. George Cosbuc ist für ihn ein Weekend-auf-dem-Lande-Besinger, der mit den Augen des Städters das Landleben sieht und preist. Octavian Goga hingegen, bislang als „Dichter unserer Leiden“ oft national verklärt, wird von Manolescu auf den Boden der Tatsachen geholt und seine gelungenen einfühlsamen Metaphern, seinen gestelzten, pathetischen Bildern wie „Seidene Fluren“ (wo gibt es auf der Welt schon so etwas, fragt Manolescu) gegenübergestellt.
Die Zeit der Diktatur und des erzwungenen sozialistischen Realismus wird sehr einfühlsam für diese spezifischen Schwierigkeiten von Manolescu, der gewissermaßen Zeitzeuge ist, differenziert behandelt. Die beiden größten Lyriker dieser Zeit, Marin Sorescu (1936-1996) und Nichita St²nescu (1933-1983) werden ausgiebig gewürdigt im Kreis ihrer Kollegen.
Nach dem Umbruch 1989 lässt Manolescu die 80er Generation (Generatia 80) mit ihrem bekanntesten Vertreter Mircea Cartarescu (geb. 1956) ausführlich zu Wort kommen. Cartarescus Gedichte, vor allem aber sein Roman „Orbitor“ (Horizont) werden nuanciert vorgestellt.
Vielleicht ist Mircea Cartarescu ein neuer rumänischer Literaturnobelpreisanwärter, da er fleißig in europäische Sprachen übersetzt wird. Mustergültig auch ins Deutsche von dem rumäniendeutschen Literaturkritiker und Essayisten Gerhard Ceijka (geb. 1944), der für seine Übersetzung Cartarescus 2009 den deutschen Übersetzerpreis erhielt.
Die Prosa vor und nach dem Umbruch untersucht Manolescu, besonders was ihre Auseinandersetzung mit der Diktatur und deren Folgeereignissen die Zensur, Haft, Emigration anbelangt. Dabei zeigt er, dass die Emigration im Fall des in Rumänien außerordentlich anschaulich schreibenden Bujor Nedelcovici (geb. 1936) diesem nicht bekam und sein Schreiben im Westen darunter leidet.
Auch im Lande Verbliebene wie Mircea Dinescu (geb. 1950), der Verkünder der rumänischen auch Medienrevolution 1989, schreiben weiter, wenn auch nicht mehr mit der alten Wucht, wie Manolescu sachlich feststellen muss.
Dafür gibt es aber eine ganze Reihe junger, begabter Autoren, die Manolescu alle zu Worte kommen lässt in der Hoffnung, dass sie sich in Zukunft endgültig durchsetzen können. So klingt dieses unglaublich umfangreiche Standardwerk der rumänischen Literaturkritik aus, wie es begonnen hat. Kritisch, aber nicht skeptisch.
Ingmar Brantsch
(Schluss)
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