Erinnerungen an Erich Bergel (IV)
30.12.10
„...weil er von seinem künstlerischen Auftrag nicht abzubringen war“
Den spektakulären Abend, an dem der „Ersatztrompeter“ Erich Bergel wieder zum Dirigieren kam, kommentiert Kurt Mild drei Jahrzehnte später: „Da stand einer, der sich nicht nur nicht unterkriegen ließ, sondern einer, der allen Widrigkeiten, Ränkespielen und Machenschaften, die auf ihn zukamen, die Stirn bot und sich erfolgreich durchsetzte. Hier wurde der Künstler ohne es zu beabsichtigen zur politischen Persönlichkeit – nicht, weil er irgendwelche Losungen und Phrasen aufwieglerisch in die Massen warf, für diese oder jene Ideologie auf die Barrikaden ging oder sich zum Straßenprügler erniedrigte, sondern weil er von seinem künstlerischen Auftrag selbst in der bedrohlichsten Lage nicht abzubringen war.“ Die Schwester des Dirigenten, Hildegard, die auf der erneuten Aufführung des Musikprogramms am darauffolgenden Tag im Publikum war, notiert in einem Brief ihre Eindrücke: „Im überfüllten Konzertsaal wiederholte sich die Demonstration, dass die Kunst – auch wenn die Besten, die ihr dienen, in Ketten gelegt werden – à la longue stärker ist als alle Mechanismen brutaler Macht.“ Sie beschreibt anschließend die Klausenburger Wohnung: „ein fensterloser ehemaliger Waschraum mit feuchten Wänden, kaltem Betonboden und einem Eisengitter über dem Kanalabfluss in der Mitte. Zu mehr hatte das Trompeter-Gehalt nicht gereicht.“ Über das Ereignis notiert Erich Bergel selber einen einzigen lakonischen Satz: „Am 1. Oktober 1966 erhielt ich von neuem die Ernennung als ständiger Dirigent der staatlichen Philharmonie in Klausenburg.“
Im Allgemeinen sagte er lieber ein Wort zu wenig als zuviel – so beschreiben ihn sowohl Gheorghe Musat, als auch Hans Bergel. Er war ein „Schweiger“, „von tiefem, manchmal sogar abgründigem Ernst geprägt“, doch zugleich humorvoll, aufgeschlossen, eine „im Grunde heitere und fröhliche Natur“ wenn es um den Personenkreis ging, der ihm nahe Stand. Schon seit der Kindheit hatte die Familie in schwierigen Zeiten nicht zuletzt aus „Erichs trockenem Humor (…) Kraft geschöpft“, aus seinen „unerwarteten humoristischen Anmerkungen“ und seinen „witzigen Aperçus, deren Pointen immer ins Schwarze trafen.“
Sogar in den späteren Erfolgsjahren gab es für ihn stets „Zeiten der Zurücknahme“, Tage der „weltentrückten Versenkung“, in denen er im mütterlichen Haus oder bei seiner Schwester „an Land ging“. „Für die Dauer der Weihnachtstage kehrte er (…) alljährlich sei es selbst vom entferntesten Erdenpunkt (…) ein, sang und musizierte gemeinsam mit der Mutter, den Geschwistern, Neffen, Nichten und deren Nachwuchs wie in Kindheitstagen mit Flöte und Klavier die alten Festlieder, deren schönste er zu Dutzenden für den Familiengebrauch mehrstimmig gesetzt hatte – von 'Maria durch ein' Dornwald ging' und 'Es ist ein Ros' entsprungen' bis zu dem schon zur Zeit Petrarcas angestimmten 'In dulci jubilo, nun singet und seit froh'. Er spielte mit den Kleinen, vertiefte sich mit den erwachsenen Neffen in Gespräche über die neuesten Jaguar- und Mercedes-Modelle und unterhielt sich stundenlang mit der Mutter über Jahrhunderte zurückreichende Familiengeschichten, als gäbe es für ihn nichts anderes.“ Er widmete sich gern seinen Kunstsammlungen und „einzelgängerischen Touren“, Bergwanderungen und der „sportlichen Begegnung mit der Natur.“
Es waren jedoch nur kurze Arbeitspausen, die er sich gönnte, denn „seine ganze Vitalität, seinen starker Lebenshunger, seinen Expansionsdrang und geistigen Abenteuermut“ schenkte er der Musik, dem „einzigen Inhalt und Zweck seines Lebens“. Professionell und menschlich schätzte er Dirigentenkollegen wie Ricardo Muti, Daniel Barenboim und Carlos Kleiber, den Gegnern stand er entschlossen gegenüber, wie er selbst sagte: „Ich habe Neider und Feinde. Wenn ich ihnen nicht zeige, dass es mich und meinen Anspruch als Musiker gibt, egal was dabei herauskommt, bin ich verloren noch ehe ich beginne.“ Die Freude am Geben und die Großzügigkeit ließ er sich trotz allen Enttäuschungen nie nehmen: „Mittellosen Musikern kaufte er Instrumente, beschenkte Orchester – wie etwa nach 1989/90 das Klausenburger – mit dem Notwendigsten, verteilte an junge Ensembles vom Notenmaterial bis zu Instrumenten- und Saitengarnituren alles nur Erdenkliche und vermachte vielversprechenden Begabungen Geigen aus seinem Besitz, ohne einen Pfennig dafür zu nehmen.“
Er schätze Zeit seines Lebens die Offenheit dem „Anderen“ gegenüber, die er im Elternhaus erlernt hatte. „Wir Kinder nahmen mit wechselnden Sympathien für die Gäste an den Festen teil und wuchsen im mehrsprachigen südöstlichen Palaver auf“, schreibt Hans Bergel. Der Dirigent gestand seinem Bruder Jahre später, dass er durch diese übernationalen Freundschaften sehr früh gelernt habe, die Menschen „nach dem Grad der Klugheit und des Wissens, der Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit zu beurteilen, nicht nach nationaler Zugehörigkeit und deren Vorurteilen.“ Seine künstlerische Heimat sah er wohl nicht in Deutschland, welches er mit zunehmend kritischen Augen betrachtete („Wir sind ins falsche Land ausgewandert.“). Denn „Was in seinen Augen falsch war, nannte er auch so, für das, was er als recht erkannte, stand er unter allen Umständen ein; einen Verräter nannte er einen Verräter, ein Freund konnte alles von ihm haben. Er war das, was man ’unbeugsam’ nennt.“
Der Musiker, der sich als neunjähriges Kind beim Übersiedeln der Familie nach Kronstadt unheimlich gefreut hatte - „Jetzt fahren wir zur Orgel der Schwarzen Kirche!“ - schrieb in der Textbeilage zur 1991 erschienenen Bach-Einspielung: „Die Schlussfuge. Wäre uns diese in vollendetem Zustand überliefert, dann besäßen wir mit ihr die umfangreichste und gewaltigste aller Fugen der gesamten Musikliteratur. (…) Unser Jahrhundert hat die Polyphonie als Heilmusik entdeckt. In diesem Sinne muss Bach als einer der größten Wohltäter der Menschheit angesehen werden“ und schließt mit einem Satz, der vielleicht sein eigenes Wirken am besten beschreibt: „Es ist nicht unbedingt nötig, seine (Bachs) Musik ’verstehen’ zu wollen: Kunst muss nicht verstanden sein, sie will empfangen werden.“
Christine Chiriac
(Schluss)
Erich Bergel, Kronstadt 1958. Kohlezeichnung von Heinrich Schunn.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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