Fest angestellt im „Kammerchor des Deutschlandsenders“
15.08.25
Kronstädter Musikerinnen (XVII): Konzertsängerin Traute Klein-Lienert (1912-1971)
Das Typoskript von Folge 17 der Beiträge über Kronstädter Musikerinnen, einer Dokumentation aus dem Jahr 1943, trägt den Titel „Traute Klein-Lienert (geboren am 5. August 1912 in Draas)“. Es handelt sich um einen autobiographischen Text (den einzigen der 23 Typoskripte enthaltenden Dokumentation, dem kein Porträtfoto der betreffenden Musikerin beigegeben ist). Traute Klein-Lienert war eine Tochter des evangelischen Pfarrers und bekannten Schriftstellers Hans Lienert (1885-1954), aufeinanderfolgend Seelsorger in Draas und Brenndorf sowie schließlich Stadtprediger in Kronstadt-Blumenau, sowie der aus Fogarasch stammenden Elfriede geb. Fleischer (1889-1959). Sie war mit dem aus Brenndorf stammenden Dr. med. Fritz Klein (1908-1982) verheiratet (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, aus Zeiden stammenden Arzt Fritz Klein, 1888-1945, der wegen seines Einsatzes im KZ Auschwitz-Birkenau von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde). Traute Klein-Lienert lebte nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrem Mann in der DDR. Sie verstarb am 14. Mai 1971 in der Ortschaft Großdubrau (Kreis Bautzen).
In die früheste Kindheit geht die Erinnerung zurück – an ein großes, helles Pfarrhaus, in dem so viel Musik erklang. Streichquartette, Violin- und Cellosonaten, Lieder mit Klavierbegleitung, Waldhörner, Flöten- und Klarinettentöne klingen auf. Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Wagner, Hugo Wolf und Richard Strauss werden Weggefährten einer für Musik so empfänglichen Kinderseele.
Sechsjährig erhalte ich den ersten Klavierunterricht vom Vater. Da aller Anfang schwer ist, endet er bald mit einer Ohrfeige. Dann nimmt sich die Mutter mit Geduld und Liebe der Sache an und hilft nicht nur über die Anfangsschwierigkeiten hinweg, sondern leitet mich jahrelang unter Vaters stiller Aufsicht. Elfjährig werde ich nach Hermannstadt in die höhere Mädchenschule umgeschult und erhalte hier den ersten fachgemäßen Unterricht von der sehr geschätzten Klavierlehrerin Mitzi Klein-Hintz (1). Wie das bei Kindern häufig ist, wird mir der Unterricht zeitweilig zur Strafe, und der Fleiß lässt viel zu wünschen übrig. Aber schon in den ersten Monaten der Hermannstädter Schulzeit beginne ich erst zaghaft, dann immer öfter und leidenschaftlicher mich daheim ans Klavier zu setzen, einfache Lieder zu spielen und zu singen. Bald werde ich kühner und greife zu Schubert-Liedern, die mir z.T. aus dem Elternhaus bekannt sind. Sie begegnen mir zum ersten Mal im Notenbild, ich kann in sie eindringen, während sie bisher nur das Ohr zum Herzen geleitet hatte. Ich entsinne mich genau, welch ein ungeheures Erlebnis es für mich ist, nun selbst für mich das Notenlesen zu entdecken und auf diese Weise im Innersten angerührt zu werden von den Liedern unserer großen Meister. Das vom Blatt Spielen und Singen wird zu einer sich stetig steigernden Leidenschaft, und als Dreizehn-Vierzehnjährige glühe ich im Eifer beim Durchsingen des „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und „Tristan“ - wobei es gleichgiltig ist, ob es den Wolfram, die Elisabeth oder den Kurwenal in höheren und tieferen Tönen abzusingen gilt.
Ich bin 14 Jahre alt, als Frau Kammersängerin Lula Mysz-Gmeiner (2), unsere große Landsmännin, gelegentlich einer Konzertreise ihre Vaterstadt Kronstadt besucht. Herr Musikdirektor Paul Richter führt mich zu ihr, und ich darf ihr vorsingen. Damit ist mein Weg vorgeschrieben. Sechzehnjährig bestehe ich in Berlin, ohne vorher eine Gesangstunde gehabt zu haben, die Aufnahmeprüfung für die staatl. Musikhochschule und werde dort Schülerin von Lula Mysz-Gmeiner. Es beginnt nun eine unendlich mühevolle Kleinarbeit, um die Stimme, die durch jahrelanges unkontrolliertes und technisch falsches Singen sehr mitgenommen ist, von bösen Schlacken zu reinigen. Ein chronischer Nasen-Rachenkatarrh, dessen Wurzeln in die Fluchtzeit des Jahres 1916 zurückgehen, und eine Überempfindlichkeit der Schleimhäute erschweren und belasten die Arbeit.
Aber nach zweijährigem Studium beginne ich mit Erlaubnis meiner geliebten und verehrten Lehrerin kleine Liederabende in der Heimat zu geben, die Erfolg bringen und immer wieder Ansporn zu weiterer Arbeit sind.
Das Studium ermöglichen künstlerisch interessierte und verständnisvolle Menschen der Kronstädter Gesellschaft, da der Vater die Mittel dazu allein nicht aufbringen kann. Ihrer gedenke ich auch an dieser Stelle in tiefer Dankbarkeit.
Nach vierjährigem Studium tritt die Notwendigkeit an mich heran, meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen - ich hatte vorher schon durch Kirchenkonzerte und Mitwirkung bei anderen kleinen Veranstaltungen einiges verdient, und da mich der Rundfunk schon lange brennend interessierte, melde ich mich zum Vorsingen an. Ich werde daraufhin sofort mit etwa 12-14 anderen jungen Sängerinnen und Sängern engagiert und fest angestelltes Mitglied eines kleinen neugegründeten, aus eben diesen jungen Künstlern bestehenden „Kammerchors des Deutschlandsenders“ mit einem monatlichen festen Einkommen, so dass es mir nun möglich wird, noch ein Jahr zu studieren. Wir wurden dabei aus mehreren hundert Bewerbern ausgesucht. Es folgen nun häufiger auch solistische Mitwirkungen am Deutschlandsender und den Reichssendern Berlin, Breslau, Leipzig, Stuttgart und München.
Während all dieser Jahre gilt mein ausschließliches Interesse und meine ganze Liebe dem Liedgesang, die Oper bleibt mir fremd. Dies mögen der Einfluss und das Vorbild meiner großen Lehrerin bewirkt haben.
Im April 1934 verlobe ich mich mit Dr. Fritz Klein und nehme Abschied von der schönen, aber für mich sehr anstrengenden Arbeit am Rundfunk, um für einige Zeit im Elternhaus (in Kronstadt) zu bleiben. Meine Heirat im Frühjahr 1935 unterbricht dann auf vier Jahre fast völlig die Berufsausübung, und ich bin fast ausschließlich Mutter und Hausfrau.
Einige Male nur stehe ich auf dem Podium der Aula der Honterusschule in Kronstadt, um mit Prof. Victor Bickerich, dem ich so viel musikalische Anregung verdanke, dessen Klavierschülerin ich kurze Zeit war, ehe ich in Berlin studierte, zu musizieren.
Im Jahr 1939 übersiedle ich mit meinem Mann ins Reich (3), da er sich dort spezialisieren will. Wir beschließen, uns beide nun wieder als Lernende zu fühlen und an uns zu arbeiten.
Der Krieg setzt dem Vorhaben ein Ende. Mein Mann stellt sich für die ärztliche Dienstverpflichtung zur Verfügung, und wir leben in kleineren Orten, wo jede Möglichkeit des Weiterstudiums vorderhand genommen ist.
Im Jahr 1941 erst wird es mir möglich, wieder weiter zu arbeiten und die Eignungsprüfung für das Opernfach abzulegen. Im Januar 1942 unterbricht die Geburt des zweiten Kindes das zur Opern-Reifeprüfung notwendige Partienstudium. Das Jahr 1943, hoffe ich, soll mir aber die Erfüllung dieses Wunsches bringen.
Traute Klein-Lienert
(Vorspann, redaktionelle Bearbeitung und Anmerkungen:
Wolfgang Wittstock)
Anmerkungen:
(1) Mitzi Klein-Hintz (geb. in Kronstadt am 24.10.1891, gest. in Hermannstadt am 12.05.1980) war eine bekannte Konzertpianistin und Klavierlehrerin.
(2) Lula Mysz-Gmeiner war Folge VI/2 der Artikelserie „Kronstädter Musikerinnen“ (KR 11/20.03.2025) gewidmet.
(3) Mit „Reich“ ist das Deutsche Reich (die staatsrechtliche Bezeichnung Deutschlands in den Jahren 1871-1945) gemeint.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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