Gab es in Kronstadt eine „Sächsische Bank“?
06.08.20
Stationen einer Entwicklung: Nationalbank AG, Burzenländer Bank AG, Hermannstädter allgemeine Sparkassa, Hermannstädter und Kronstädter Allgemeine Sparkassa/Von Wolfgang Wittstock
Unlängst (am 4. Juli d.J.) veröffentlichte die ADZ einen kurzen Bericht, dessen Titel „Ehemalige Sächsische Bank fast fertig renoviert“ lautete. Auch die rumänischen Lokalzeitungen behandelten das Thema und wiesen darauf hin, dass sich die seit zwei Jahren andauernden Renovierungsarbeiten an der ehemaligen Sächsischen Bank („fosta Bancă Săsească”) in einem fortgeschrittenen Stadium befinden.
Die Kronstädter wissen, um welche Immobilie es in den genannten Pressebeiträgen geht: um das eindrucksvolle, im Jugendstil errichtete Gebäude, das an dem von der oberen Purzengasse (Republicii-Straße) und der ehemaligen Zwirngasse (heute Michael-Weiß-Gasse) gebildeten Straßeneck liegt. Dessen heutige offizielle Adresse ist Michael-Weiss-Gasse 22. Seit dem Jahr 2012 ist die Immobilie nach Baustellenart mit Tüchern verdeckt, auf denen ursprünglich die Fassade nachgebildet war und zum Teil noch ist.
In der einschlägigen Literatur sind die wichtigsten Angaben über die Geschichte des Gebäudes zu finden. Aus der verdienstvollen Veröffentlichung „Braşov – un secol de arhitectură 1885-1984” (Kronstadt – ein Architektur-Jahrhundert 1885-1984) von Arch. Gruia Hilohi und Kunsthistorikerin Anca Maria Zamfir (2010) ist beispielsweise zu erfahren, dass es sich um ein Baudenkmal handelt, das in den Jahren 1906-1908 nach Plänen des Architekten Albert Schuller errichtet wurde. In ihrer 2015 im Aldus Verlag wiederveröffentlichten Studie „Vom Barock zum Jugendstil” gibt die Historikerin Maja Philippi (1914-1993) an, dass Arch. Albert Schuller 1908 den Auftrag erhielt, den neuen Sitz der Burzenländer Bank an der Ecke Purzengasse/Zwirngasse zu bauen, und zwar an der Stelle, wo früher das Haus der Apollonia Hirscher gestanden hatte. Ihr zu Ehren, schreibt Maja Philippi, wurde am Gebäude ein Hirschgeweih angebracht und, im Giebel der der Purzengasse zugekehrten Fassade, ein Apollonia Hirscher darstellendes Medaillon, gemalt von Friedrich Mieß, das, laut Gernot Nussbächer (KR, Nr. 9/6.3.1999), in den 1950er Jahren übermalt und 1972 von Gisela Richter wieder freigelegt und restauriert wurde.
Eine im Volksmund verwendete Bezeichnung
Bei Hilohi/Zamfir (S. 20) ist bezüglich des hier behandelten Jugendstil-Gebäudes von der Sächsischen Nationalbank („Banca Naţională Săsească”) die Rede. Stimmt diese Bezeichnung? Warum spricht Maja Philippi von der Burzenländer Bank? In dem Buch „Das Sächsische Burzenland einst und jetzt”, herausgegeben vom damaligen Dechanten und Zeidner Pfarrer Johannes Reichart (Kronstadt, 1925), finden wir folgenden Passus über das uns in diesem Zusammenhang interessierende Geldinstitut (S. 191): „Ähnlich wie die Sparkasse [gemeint ist die 1835 gegründete Kronstädter Allgemeine Sparkasse, die älteste Geldanstalt sowohl auf dem Gebiet des historischen Ungarn als auch jenem Rumäniens] pflegte auch die Burzenländer Bank A.G. (vormals Nationalbank A.G.), gegründet 1899, vor dem Kriege hauptsächlich das Spareinlagen- und Wechseldarlehensgeschäft, um dann nach dem Kriege sich ebenfalls sämtlichen Zweigen des Bankgeschäftes zuzuwenden.”
Obiges Zitat führt die offiziellen Bezeichnungen des Geldinstituts mit dem Sitz im Gebäude Ecke Purzengasse/Zwirngasse an: bis nach dem Ersten Weltkrieg „Nationalbank AG”, dann „Burzenländer Bank AG” (AG = Aktiengesellschaft). Im „Kronstädter Adressenkalender 1914”, im Abschnitt „Banken”, wird als Adresse des Amtslokals der Nationalbank AG Purzengasse 26 angegeben. Genannt werden hier u.a. der Präsident des Direktionsrates (Dr. Oskar Tellmann) sowie dessen Mitglieder (z.T. klangvolle Namen, etwa jener des damalige Kronstädter Bürgermeisters Dr. Karl Ernst Schnell) und jene des Aufsichtsrates (Obmann: Gustav Schiel). Im „Neuen Kronstädter Adressbuch” (1927) wird das Amtslokal der Burzenländer Bank AG mit der Adresse „Ecke Purzengasse 26 und Zwirngasse 2” geführt. Erster Vorsitzender des Verwaltungsrates ist noch immer der Rechtsanwalt Dr. Oskar Tellmann, zweiter Vorsitzender Bürgermeister a.D. Dr. Carl (sic!) Ernst Schnell und leitender Direktor Hugo Beer.
Die Titulatur „Sächsische Bank” oder auch „Sächsische Nationalbank” für die Nationalbank AG bzw. die Burzenländer Bank AG war offensichtlich kein offizieller Firmenname, sondern eine im Volksmund des multiethnischen Kronstadt verwendete Bezeichnung, weil das Kapital dieser Bank in sächsischen Händen lag und deren Leitungsstrukturen mit Siebenbürger Sachsen besetzt waren. Es gab nämlich im Kronstadt der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit neben sächsischen Banken – etwa der bereits erwähnten Kronstädter Allgemeinen Sparkasse als wichtigster unter ihnen, deren gemeinnütziges Wirken separat beleuchtet werden müsste, der Siebenbürgischen Industrie- und Handelsbank AG oder der Warenverkehrsbank AG – auch solide ungarische und rumänische Geldinstitute (z.B. Brassói Népbank Részvényt bzw. Braşoveana oder Cetatea) wie auch Filialen von auswärtigen Banken (z.B. Albina).
Aufschluss über das weitere Schicksal der Burzenländer Bank AG, vormals Nationalbank AG, gibt das 1995 im Kriterion Verlag Bukarest erschienene Buch „Anvertraute Pfunde. Gustav Adolf Klein und die Hermannstädter allgemeine Sparkassa”, dessen Verfasser D. Dr. Christoph Klein, ehemaliger Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (1990-2010), ist. Der im Untertitel genannte Dr. Dr. Gustav Adolf Klein (1902-1989), Christoph Kleins Vater, war der letzte Generaldirektor der Hermannstädter und Kronstädter allgemeinen Sparkassa vor der 1948 erfolgten entschädigungslosen Verstaatlichung sämtlicher großer Industriebetriebe und Banken des Landes.
Übernahme durch die Hermannstädter allgemeine Sparkassa
Aus Christoph Kleins „Anvertrauten Pfunden” ist zu erfahren, dass in den Jahren 1928/29 im rumäniendeutschen Bankwesen eine starke Konzentrationsbewegung stattgefunden hat. Im Zuge dieser Entwicklungen übernahm die Hermannstädter allgemeine Sparkassa (HAK) mehrere Geldinstitute, darunter auch die Burzenländer Bank AG. Als die HAK 1941 ihr 100-jähriges Bestehen feierte, überreichte ihr deren Kronstädter Zweiganstalt ein geschmackvoll aufgemachtes Fotoalbum mit Außen- und Innenansichten des Kronstädter Amtslokals Ecke Purzengasse/Zwirngasse sowie Tafeln mit den Porträts von Direktion, Lokalausschuss und Belegschaft dieser Filiale. 1942 fusionierten die HAK und die Kronstädter Allgemeine Sparkasse, und es erfolgte die Ausgabe von zweisprachigen Aktien (rumänisch-deutsch) auf den Firmennamen Hermannstädter und Kronstädter Allgemeine Sparkassa. Nach der Nationalisierung wurde der Kronstädter Amtssitz Ecke Purzengasse/Zwirngasse zunächst von der Nationalen Elektrizitätsgesellschaft, dann vom Finanzministerium übernommen. In den 1990er Jahren befand sich hier die Kronstädter Filiale der durch Missmanagement und Korruption ruinierten staatlichen Außenhandelsbank „Bancorex”. Teile der Immobilie gingen im Jahr 2008 per Regierungsbeschluss in die Verwaltung des Landwirtschaftsministeriums über, und im Jahr 2011 wurde ein weiterer Regierungsbeschluss (Nr. 228/2011) verabschiedet, infolgedessen die Immobilie ins öffentliche Eigentum des Munizipiums Kronstadt überführt wurde.
Welche Zweckbestimmung das schöne Jugendstil-Gebäude in der Purzengasse nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten erhalten wird, ist uns nicht bekannt. Vorerst darf man gespannt sein, wie es ausschauen wird, nachdem die Hüllen - Textilverkleidung und Gerüste – fallen werden. Landeskirchenkurator Prof. Friedrich Philippi hat darauf in einem Leserbrief (ADZ, 11. Juli d.J.) aufmerksam gemacht. Wird das Giebel-Bild der Apollonia Hirscher ebenfalls in neuem Glanz erstrahlen? Werden die deutschsprachigen Sprüche zum Thema Arbeit und Sparen an der Längsfassade zur Zwirngasse weiterhin lesbar sein? Wird das Hauseck noch immer das an die einstige Besitzerin Apollonia Hirscher gemahnende Hirschgeweih zieren, das, wie alte Fotos zeigen, auch schon das alte Haus schmückte, das 1906 abgetragen wurde, um dem Neubau Platz zu machen, und das bis zur Einführung der straßenweisen Häusernummerierung im Jahr 1890 (vorher waren die Häuser stadtviertelweise durchnummeriert) unter der Adresse Purzengasse 493 geführt wurde? Lauter Fragen, deren Beantwortung wir gespannt entgegensehen.
Das in letzter Zeit von den Medien in den Blickpunkt gerückte Thema „Sächsische Bank Kronstadt” veranlasste in Forumskreisen auch die Frage, ob aufgrund der einschlägigen Gesetzgebung über die Rückgabe von Gemeinschaftseigentum an die Organisationen der nationalen Minderheiten auch die Restitution der Immobilie Ecke Purzengasse/Zwirngasse beantragt wurde. Dazu muss gesagt werden, dass sich das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien und dessen territoriale Untergliederungen laut Satzung als Rechtsnachfolger der nach dem 23. August 1944 unter Zwang aufgelösten Institutionen, Organisationen und Vereine der deutschen Minderheit definieren und als solche in den Jahren 2004-2006 ihre Restitutionsforderungen registrieren ließen. Handelsgesellschaften, einschließlich Banken, gehören nicht in die Kategorie jener juristischen Personen, deren nationalisiertes Vermögen vom Deutschen Forum hätte beansprucht werden können. Folglich wurde für das Gebäude der ehemaligen Burzenländer Bank auch kein Restitutionsantrag eingereicht. Das hätten unter Umständen die Aktionäre der 1948 verstaatlichten Hermannstädter und Kronstädter Allgemeine Sparkassa oder deren Erben tun können.
Dieses Haus Ecke Purzengasse/Zwirngasse, das bereits ein Hirschgeweih zierte, wurde 1906 abgetragen und an seiner Stelle das Gebäude der Nationalbank AG errichtet (Bildquelle: Staatsarchiv Kronstadt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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