Geschichten die nicht erzählt werden, geraten in Vergessenheit
09.05.25
Die Tournee des Filmes „Anul Nou care n-a fost”
Die Tournee des Films „Anul Nou care n-a fost” (Das neue Jahr, das nicht war) begann dieses Jahr in Kronstadt. Am Abend des 24. April, im Kinosaal „Modern“ des Kulturzentrums Apollonia, fand die Filmprojektion, gefolgt von einer Diskussionsrunde, statt. Unterstrichen wurde die Tatsache, dass diese Initiative ein Bildungsprojekt ist. Es widmet sich der Auseinandersetzung mit der historischen Vergangenheit und soll zur Diskussion über Freiheit anregen. Es möchte hauptsächlich Schulen und junge Menschen erreichen und wurde unter anderen auch durch das Erziehungs- und Forschungsministerium gefördert.
Über heikle Themen der Vergangenheit soll viel und laut geredet werden
Die Veranstaltung wurde bei einem Glas Sekt eröffnet. Anwesend waren Bogdan Muresanu, Regisseur des Films, Petre Mihai Bacanu, Journalist, Dissident und Schriftsteller, Bogdan Jitea, Historiker vom Institut zur Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus - IICCMER, Andrei Galita, Forscher vom Rat für Studium der Archive der Securitate - CNSAS, Dan Iacob, Vizepräsident des Vereins „15. November 1987“ und Filmkritikerin Irina Margareta Nistor. Der Diskurs hat sich hauptsächlich an junge Menschen gerichtet, denen Sachverhalte nähergebracht wurden. Die jungen Zuschauer wurden gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, ein Whatsapp-Konto mit einem Nachbarn teilen zu müssen, so wie man im Kommunismus die Telefonverbindung teilen musste.
Beim Grußwort punktierte der Moderator Andrei Giurgea, dass Kronstadt nicht umsonst als Startpunkt der Tour gewählt wurde. Er sprach über die Tatsache, dass man Freiheit heute als Selbstverständlichkeit erlebt, sie deshalb vielleicht oft als etwas Gegebenes sieht. Wenn Geschichte aber nicht verarbeitet und vermittelt wird, so neigt sie dazu, sich zu wiederholen. Freiheit wahren ist nur dann möglich, wenn man Vergangenheit versteht und darüber diskutiert. Deshalb lud er die Anwesenden ein, ihre Erlebnisse aus dem Kommunismus zu teilen, Fragen zu stellen und sich an der Aufklärungsarbeit zu beteiligen.
Spitzel und Sicherheitsdienst im Film und in Dokumenten
Bogdan Muresanu betonte, dass sich der Film trotz episch-fiktivem Charakter auf dokumentierte Tatsachen stützt, von ihnen ausgeht und sie in bestimmten Ausmaß kontextualisiert, interpretiert und verbildlicht. Andrei Galita beschrieb anhand einer Powerpoint-Präsentation, wie die Securitate operierte und wie wirklichkeitsnah die verschiedenen Typologien von Spitzel im Film dargestellt werden. Er sprach darüber, dass es nicht eine „böse“ Securitate in den 50-60er Jahren und eine „nationalistische, weniger aggressive“ Securitate in den 70er und 80er Jahren gab. Es handelte sich um denselben Geheimdienst, der sich lediglich in verschiedenen Phasen seiner Tätigkeit befand. In der ersten Etappe hat er durch Ermodrung und Verschleppung agiert, um Ordnung zu schaffen, während der zweite Etappe wurde sdie Ordnung durch Spitzel und Angst bewahrt. Die zweite These, die Gali]² bestritt, war, dass die Securitate eine Unabhängigkeit von der kommunstischen Partei gehabt hätte. Er erzählte über die Rolle, die Informanten und Mitarbeiter der Securitate bei der jahrzehntelangen Aufrechterhaltung eines kriminellen, totalitären Regimes spielten, das so ein Regime auf diese Form von Repressionsapparat als Instrument basiert. Der Forscher vom CNSAS sprach auch über die Art der Partei, unter Jugendlichen zu operieren.
Irina Margareta Nistor erzählte über die Stigmatiserungssitzungen, die ganze Leben innerhalb weniger Minuten zerstört werden konnten, siehe Iosif Sava und über den Securisten aus dem neunten Stockwerk des Senders, der eigentlich die ungarischen und die deutschen Sendungen bespitzeln musste. Auch erzählte sie, wie es ein Zensurenheft gegeben hatte, in dem notiert wurde, was aus jeder Sendung herausgeschnitten werden sollte, das aber bei der Wende auf mysteriöse Weise verschwunden ist.
Die Menschen in den oberen Positionen wussten über den Staatsstreich
Nistor erinnert sich auch heute noch an den Moment in dem sie erfuhr, dass die Revolution gestohlen wurde: gleich nach der Wende versuchte sie etwas über George Orwell aufzunehmen und Silviu Brucan hätte es vehement verboten mit der Aussage: „Haltet sie auf, wir haben nichts gegen die Kommunisten, nur gegen Ceausescu!”. Das brachte sie in Verbindung mit einem Schild, das auf Türen in den Studios hing, worauf „Ruhe, es wird geprobt!“ stand und das bekritzelt wurde. Im Rumänischen „Liniste, se repeta” und darunter handgeschrieben „ISTORIA”, also „Ruhe, die Geschichte wiederholt sich!”. Sie erklärte auch warum sie bis heute nie Schwurworte in Untertitel ad litteram übersetzt, u.zw. weil solche Worte eine der schlimmsten Torturformen der kommunistischen Gefangenschaft waren.
Die Filmkritikerin zeigte sich beeindruckt von den vielen Ebenen, auf die der Film wirkt und über die zahlreichen Themen und Symbole, die er anspricht. Im Rahmen der Gesprächsrunde widmete sich Petre Mihai B?canu dem Thema Presse. Er sprach über die Tatsache, dass es vor 1989 keine Pressefreiheit gab, dafür aber gründlich recherchiert wurde, im Gegensatz zur Gegenwart. Heute könnte man zwar schreiben, was man möchte, doch sind die Beiträge selten gründlich recherchiert. Der Journalist erzählte über den Fall Ursu, über das er ein Buch geschrieben hat.
Zur späten Stunde steht vieles auf dem Tisch
Das Gespräch zog sich in die Nacht hinein. Das Thema war aber so interessant, dass man länger bleiben wollen. Gerade neben dem Eingang im Kinosaal war ein Teil der Ausstellung „Erori au fost, erori sunt înca“/ „Fehler gab es, Fehler gibt es immer noch“ zu sehen. Die Ausstellung zeigt Teile der typisch kommunistischen Filmrequisit und wurde von den Bühnenbildnern Iulia und Victor Fulicea vorbereitet. Die jungen Augen sehen aber in den Bildern nur „wie Objekte früher aussahen“, identifizieren einige vielleicht kaum und brauchen heute wörtliche, laute Erklärungen und Deutungen. Der Mensch, der Kommunismus erlebt hat, erkennt auch im Stillen darin ein ganzes Universum, denn es sind Gegenstände, die alle Menschen identisch in ihren Häusern hatten, die allerdings für jeden andere Identitätsbrüche darstellen.
Ein neues Jahr, das dieser Film nicht nur durch die typischen Szenen der Aufnahmen für die Neujahrssendung metaphorisch darstellt und in authentische Filmaufnahmen der Revolution einbaut, sondern durch jedes dargestellte Schicksal. Die Menschen aus dem Film sind unsere emotionale Vergangenheit; sie suchen Heilung und Erkenntnis und bringen sie gleichzeitig dem Publikum so nahe. Das ist die große Leistung dieses Films, das ist der Grund, weshalb die junge Generation darauf aufmerksam gemacht werden sollte.
Cristina Ciubotaru
Foto: Szene aus dem Film „A fost sau n-a fost“
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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