Grundlage bürgerlicher Freiheit
31.05.24
Das Andreanum - 800 Jahre Recht und Verfassung der Siebenbürger Sachsen (II)/ Von Dr.Harald Roth, Deutsches Kulturforum östliches Europa
Die Attraktivität der mit den Rechten des Andreanums ausgestatteten Hermannstädter Provinz strahlte in die Nachbarschaft aus, so dass weitere Gebiete danach strebten, dieses Recht zu erlangen oder es wiederzuerlangen, wenn sie es bei ihrer Gründung bereits einmal besessen hatten: 1315 vermochten die „Zwei Stühle“ mit Mediasch, Marktschelken und Birthälm in den Rechtsverbund aufgenommen zu werden, 1366 folgte der Bistritzer Distrikt (Nösnerland). Der mit eigenen Rechten wohlhabend gewordene Kronstädter Distrikt folgte erst 1422, sehr wahrscheinlich als Folge eines massiven Rückschlags durch die Osmanen im Vorjahr. Die Städte, in erster Linie Hermannstadt und Kronstadt, erwarben – vor allem im 14. Jahrhundert unter den Königen aus dem Hause Anjou – zunehmend eigene (Handels-)Rechte, lösten sich jedoch niemals aus dem Gesamtverband heraus. Vielmehr stritt dieser Verband darum, eigenes Gebiet gegen Herrscher- und Adelswillkür zu erhalten oder es abzurunden. Durch (Fern-)Handel, Edelmetallgeschäft aus dem siebenbürgischen Bergbau, zunehmend auch durchs Handwerk (etwa Rüstungsbetriebe) kamen die Städte und ihre Eliten zu beachtlichem Reichtum. Mit dem Rechtsgebiet der Sachsen als Grundlage, wurden diese Stadteliten zu siebenbürgenweit bedeutenden politischen Akteuren, die im Machtgefüge zwischen Krone und Adel eine Rolle zu spielen begannen und von keinem dieser Akteure ignoriert werden konnten. Rund ein Drittel der deutschen Siedlungen verblieb jedoch auf Dauer außerhalb des Rechtsgebiets; das waren jene Siedlungen, die in Folge des Erfolgs des königlichen Siedlungswerks vom Adel auf eigenem Grund angelegt wurden, oft Sekundärgründungen der Überpopulation der früheren Siedlungen. Diese Orte lagen in der Regel unmittelbar benachbart in den Komitaten des Adels, eher selten einzeln in anderssprachiger Umgebung. Die Einwohner dieser Orte hatten zu Beginn zwar ähnliche oder gleiche Rechte wie auf Königsboden, verloren diese später jedoch teilweise und fielen schließlich unter Adelsrecht, sie sanken zunehmend in Unfreiheit und in Leibeigenschaft ab.
Unter König Karl I. Robert kämpfte der Rechtsverband der Sachsen wiederholt um die Wahrung seiner Freiheitsrechte, da das vom gleichen Herrscher 1317 bestätigte Andreanum ausgehöhlt zu werden drohte. Auch wenn die Sachsen im bewaffneten Kampf letztlich unterlagen, so erkannte der König doch die wichtige Position des Rechtsverbands und führte bis 1329 die Struktur der (Gerichts-)Stühle ein, die Städte förderte sowohl Karl I. Robert wie später auch sein Sohn, König Ludwig I., nachhaltig. Im 15. Jahrhundert tauchte der Rechtsverband der Sachsen erstmals als politisch handelnde Einheit auf, als es darum ging, nicht nur die Osmanenbedrohung abzuwehren, sondern auch das Rechtsgefüge des Staatswesens zu wahren: als Teil der Unio trium nationum 1437 und öfter danach. Zusammen mit den „Nationen“ = Ständen des Adels und der Szekler war die Nation der Sachsen (natio Saxonum) nun auch Ansprechpartner des Königs. Dieser wiederum beförderte eine längerfristige Entwicklung, bei der sich die Sachsen einer hervorgehobenen Gruppe entledigten, nämlich der Gräfen, die als Kleinadel aus der Ansiedlungszeit hervorgegangen waren. Teilweise wurden sie vom König nach Auseinandersetzungen eliminiert, teilweise wechselten sie in den ungarischen Adelsstand und verkauften ihren Besitz auf Königsboden, oder sie gingen schlicht in der Oberschicht der Sächsischen Nation auf. In der Folge vermochten diese städtischen Oberschichten - die Patrizier, die sich aus ehemaligen Gräfen, aus den cives, den ratsfähigen Geschlechtern, sowie erfolgreichen Kaufleuten und Unternehmern rekrutierten - unter Führung Hermannstadts den erreichten rechtlichen Status quo vom König 1485/86 als Universitas Saxonum, Sächsische Nationsuniversität, bestätigen zu lassen – als oberste Autonomiebehörde des gesamten Rechtsgebiets. Hier waren alle Stühle und Distrikte unter Führung des Hermannstädter Bürgermeisters oder Königsrichters vertreten. Diese Universität (universitas, Gesamtheit) erließ Bestimmungen, erhob Steuern, führte Bündnisverhandlungen, sprach Recht und setzte es durch. Die sich währenddessen in den Städten zwischen den aufstrebenden und erfolgreichen Handwerkern und den alten Stadteliten aufbauenden sozialen Spannungen fanden um 1500 in den größeren Städten Lösungen in dem Sinne, dass neben den engeren Stadträten zusätzlich äußere Stadträte (Hundertmannschaften, Kommunitäten) gebildet wurden, aus denen sich wiederum künftige Eliten rekrutierten.
Die Nationsuniversität war nun nach gut 250 Jahren die konkrete Ausgestaltung jener Autonomie, die das Andreanum versprochen hatte, oder anders: sie war das an die Bedürfnisse der Zeit angepasste Andreanum. Während man sich im Übergang vom Hohen zum Späten Mittelalter auf königliche Urkunden als Recht setzend berufen konnte, musste es in der deutlich komplexer gewordenen Welt im Übergang von Mittelalter zu Früher Neuzeit schon deutlich konkreter sein. Die Zeit der 1480er Jahre und der Jahrzehnte danach war zwar nachhaltig von der Türkengefahr geprägt, die Stadtbefestigungen waren hochgezogen und ein großer Teil der Dorfkirchen war schon bewehrt. Und der Fernhandel war zwar Richtung Levante durch die Osmanen gegenüber früher eingeschränkt, aber er funktionierte noch, zumal Richtung Mittel- und Westeuropa, und brachte noch immer hohe Gewinne. Das Handwerk war viel stärker geworden und man konnte durchaus zuversichtlich in die Zukunft blicken. Die Gemeinden investierten enorme Summen in die Ausstattung ihrer Gotteshäuser - die kostbarsten sakralen Kunstschätze (etwa die Flügelaltäre) stammen aus diesen Jahrzehnten. Es war durchaus ein kultureller und gesellschaftlicher Höhepunkt, auf dem man sich um 1500 auch in Siebenbürgen befand und nun auch über ein belastbares politisches Instrument verfügte.
In der Nationsuniversität waren alle Stühle und die beiden Distrikte in der Regel mit jeweils zwei Honoratioren vertreten. Sie trafen sich oft zwei Mal, mindestens aber einmal jährlich an St. Katharina in Hermannstadt, zum sogenannten Katharinalkonflux. Meist fanden die Sitzungen im Hermannstädter Rathaus statt, zu Beginn wohl noch in jenem am Kleinen Ring (beim Ratsturm), später dann im sogenannten Alten Rathaus (dem Altembergerhaus), mitunter aber auch im Haus des jeweiligen Königsrichters. Den Vorsitz führte in der Regel der Hermannstädter Bürgermeister, aber auch immer wieder der Hermannstädter Königsrichter, je nach Tagungsort und Situation. Und interessanterweise gehörte der Hermannstädter Rat der Universität ebenfalls an. Wir können also davon ausgehen, dass der Universität etwas über dreißig Personen angehörten. Je zwei für die sieben Stühle (die eigentlich acht waren: die sieben plus der Hauptstuhl Hermannstadt), für die Zwei Stühle (die einer waren, Mediasch und Schelk wurden schon früh als ein Stuhl betrachtet), sowie für die Distrikte Bistritz und Kronstadt. Dazu kam dann der Hermannstädter Stadtrat.
Wenn sich die Universitätsmitglieder zum Konflux zusammenfanden, dann berieten sie im Prinzip über Dinge, die schon das Andreanum vorgab: Aufteilung und Abgabe der Lasten (Steuern), Leistungen für die Krone (militärische Beistandspflicht), wirtschaftliche Belange (Konkurrenz zwischen den Städten), allfällige Streitfälle innerhalb der Nation und Rechtsprechung - letzteres nahm möglicherweise auch den größten Teil der Tagesordnung ein, denn die Universität war auch die höchste Instanz der Rechtsprechung; was hier nicht entschieden werden konnte, musste vor die Tafel des Königs gehen, was man jedoch tunlichst zu vermeiden suchte.
Die Sächsische Nationsuniversität wird in der Literatur immer wieder als eine frühe demokratische Einrichtung angeführt, die Sachsen als ein Demokratiebeispiel für andere Teile Europas gepriesen. Kann das stimmen, war die Nationsuniversität eine demokratische Institution? In gewisser Hinsicht ja, überwiegend aber muss man die Frage verneinen. Wie schon erwähnt, war die Universität für alle Gewalten zuständig: Rechtsetzung, Rechtsprechung und Exekutive. Schon allein diese fehlende Gewaltenteilung legt eine negative Antwort nahe. Aber sie hatte durchaus demokratische Anteile. Zum einen galt nach wie vor das Wort des Andreanum unus sit populus (eins sei das Volk), was auch beinhaltete, dass alle das gleiche Recht haben sollten, also eins und nicht unterschiedlich sein sollten. Das war durchaus gegeben, wenn auch (dem Verständnis der Zeit gemäß) erstens nur für Männer und zweitens nur für solche, die Haus und Hof besaßen. Und dass Vertreter aller Stühle und Distrikte beisammensaßen, selbst wenn ein Stuhl, nämlich Hermannstadt, überrepräsentiert und stark bevorteilt war, hat auch ein gewisses demokratisches Element, wobei man sich keiner Illusion hingeben muss, dass etwa die Stimmen der Stuhlsvertreter etwa von Leschkirch oder Reußmarkt auch nur ansatzweise das Gewicht jener von Hermannstadt, Kronstadt oder Bistritz gehabt hätten - wobei es sicher auch dort auf die jeweiligen Persönlichkeiten ankam.
Die große Zeit einerseits der Bewährung, dann des Wirkens der Nationsuniversität sollte aber noch kommen, nämlich in den nun anbrechenden Jahrhunderten der Krisen und Nöte der Frühen Neuzeit. Das aber ist genauso wie das lange Nachwirken des Andreanums zunächst bis zur Auflösung der letzten Reste der politisch-administrativen Autonomie 1876, dann bis zur Auflösung der die letzten ökonomischen Reste verwaltenden Stiftung Sächsische Nationsuniversität 1937 eine andere Geschichte. Und eigentlich wirkt die auf dem Andreanum fußende jahrhundertelange politisch-administrative Organisationskompetenz bis in die Gegenwart weiter. Denn die Besonderheit des Andreanums besteht eigentlich nicht in den Inhalten der Urkunde von 1224, sondern darin, was die Erben dieses Freibriefs im Laufe der Jahrhunderte daraus gemacht haben. Und - bei Lichte besehen - bis heute davon profitieren. Also ein wahrer Grund, diesen Jahrestag gebührend zu feiern! Gerade auch für die Burzenländer und Kronstädter, denn eine Geschichte unter der Herrschaft des Deutschen Ordens hätte sie niemals jene bürgerliche Freiheit kennenlernen lassen, für die sie während der letzten acht Jahrhunderte durchaus berühmt wurden.
A.d.R: Am 3. August 2024 wird im Rahmen des Großen Sachsentreffens in Hermannstadt eine Ausstellung gewidmet den 800 Jahren Andreanum, unter gleichem Titel wir der dieses Referates von Dr. Harald Roth eröffnet: „Grundlage bürgerlicher Freiheit: Das Andreanum – 800 Jahre Recht und Verfassung der Siebenbürger Sachsen“.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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