Herkunft prägt Zukunft. 800 Jahre Burzenland
13.10.11
Festrede beim XXI. Sachsentreffen in Kronstadt (II)/Von Hansgeorg v. Killyen
(Fortsetzung aus unserer vorigen Ausgabe)
Bleiben wir bei Bekanntem: Sicher ist inzwischen, dass sie (die Ordensritter) nicht die ersten deutschen Siedler in diesem als unwegsam (terra deserta et inhabitata) beschriebenen Gebiet waren. Die Prämonstratenser Klosterbrüder und -schwestern waren es, die schon 1203 das Kloster Corona unweit der heutigen Schwarzen Kirche gegründet hatten. Andere haben sich vermutlich am Martinsberg niedergelassen und weitere das Dorf Bartholomae gebaut. Auch die Toponymie, die Namensgebung von Orten und Flüssen des Burzenlandes geht - mit Ausnahme von Marienburg - nicht auf die Ritter zurück und ist älter. Tartlau wird in den königlichen Verleihungsurkunden erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit den Bach Tortillou – der Tartel, aus dem sich das Wort Tatrang, der Bach und das Dorf (Tatrang, ungarisch und sächsisch, rumänisch Târlungeni) ableitet. Wenn auf den Diplomen, mit denen den Rittern das Land verliehen wurde, relativ genau abgesteckte Teile des ungarischen Königreiches verzeichnet sind, wie eben Tortillou oder Barassu (für Burzen) - Namen, die z.T. aus dem Kumanischen, Petschenegischen oder Slawischen stammen -, dann sollte vermerkt werden, dass sowohl die Prämonstratenser als auch die Ritter und die wahrscheinlich sie begleitenden Hospites nicht auf vollkommen unbewohntes Territorium trafen. Dass diese Ackerbauern, vielleicht sogar aus Mitteldeutschland, aus Thüringen, Hessen und Sachsen, nicht die ersten waren, die dieses Land besiedelten, ist heute mit Sicherheit anzunehmen. Allerdings waren die Siedler, die mit den Rittern kamen, Deutsche, sie sprachen einen deutschen, vielleicht auch einen wallonischen Dialekt, und sie waren die ersten Ackerbauern des Burzenlandes. Was ebenfalls mit großer Plausibilität angenommen werden kann, ist die Christianisierung der hier und auch über den Karpaten bis an die Donau lebenden Kumanen, Petschenegen und Slawen durch die Ritter und ihre Mönche, denn das war eine Voraussetzung für deren Integration in die ungarischen und deutschen Gemeinden, in denen sie dann mit den Jahrzehnten aufgingen.
Nur 16 Jahre später kam der große Mongolensturm und vernichtete sehr viel. Erst am Ende dieser Feuerwalze konnten die Gemeinden des Burzenlandes, allen voran Petersberg, Honigberg, Marienburg und Tartlau, unter Obhut der Zisterzienser und später der Dominikaner wieder aufgebaut werden.
Für die von den Rittern 14 Jahre lang betreuten Hospites und ihre Nachkommen war dieses erste Viertel des 13. Jahrhunderts, also die Zeit um 1225, bis hin ins 19. Jahrhundert entscheidend. Die in der Verleihungsurkunde an den Deutschen Orden und später im Freibrief von 1224, im Andreanum, festgehaltenen Privilegien wurden zu den Grundrechten für das Leben der Siebenbürger Sachsen. Rechte wie freie Gerichtsbarkeit, eigene Verwaltung, freie Nutzung des Bodens, Abhaltung von Märkten, freie Wahl ihrer Geistlichen, das waren Privilegien, auf denen jahrhundertelang die Eigenständigkeit unserer Vorfahren fußte.
Was bislang an Tatsachen und plausiblen Darstellungen der mittelalterlichen Geschichte Kronstadts und des Burzenlandes zusammengetragen und publiziert wurde – zu nennen hier die letzte beeindruckende Publikation zum Thema, und zwar Harald Roths „Kleine Stadtgeschichte Kronstadts“ - hinterlässt für mich Laien einige wichtige Grunderkenntnisse:
- Kronstadt und das Burzenland waren, als der Deutsche Orden kam, kein unbesiedeltes Land, keine Terra deserta et inhabitata. Menschen unterschiedlicher Sprachen gab es schon, sicherlich nur dünn verteilt vor 1211, und die erste Erwähnung der Siedlung oder des Klosters Corona ist um einige Jahre älter als die Berufung der Ritter.
- Nach Kronstadt und in das Burzenland sind nicht nur einmal Deutsche zugewandert, immer wieder gab es im Zuge der Binnensiedlung einen Transfer von Menschen auch aus und in andere Teile Siebenbürgens.
- Der Deutsche Orden hat trotz der nur 14-jährigen Präsenz Wesentliches – wenn auch archäologisch kaum Sichtbares - hinterlassen: Die Bauern und Handwerker, die Hospites, die Flandrenses oder die Siedler aus Thüringen und Sachsen, sie haben Kronstadt und die sächsischen Dörfer erbaut und das Land urbar und fruchtbar gemacht. Sie und ihre Nachkommen waren die ersten und nachhaltigsten Kulturträger der Landschaft am inneren Karpatenbogen, und das bis in die Gegenwart hinein. Die wirtschaftliche Funktion der Stadt und des Burzenlandes als Zentrum des Ackerbaues und als Mittelpunkt von Handel und Gewerbe, also als Ort der Warenproduktion und des Warenaustausches, das hat das Leben in dieser Region seit der Zeit des Ritterordens wesentlich geprägt.
- An der Gestaltung und Werdung des Burzenlandes haben mit Sicherheit immer auch Menschen teilgenommen, obwohl urkundlich wenig belegt, die nicht der sächsischen Gemeinschaft angehörten, nennen wir als Beispiel nur die Bulgaren oder Vlachen aus der Oberen Vorstadt Kronstadts, dem Schei, die neben den zeitweise mehrheitlichen Deutschen dieses Stadtteils sichtbare Träger der rumänischen Kultur für das ganze spätere Rumänien waren.
- Kronstadt war und ist nicht nur ein Zentrum wirtschaftlicher und kommerzieller Potenz, sondern auch das Herz geistiger prägender Bewegungen gewesen. Schließlich ist 1542 die Reformation des Johannes Honterus nach Wittenberger Muster vom Burzenland ausgegangen. Kronstadt als Zentrum der Kultur, der Kunst, der Architektur des Donau-Karpatenraumes – das ist auch heute und jetzt mehr denn je sichtbar.
- Kronstadt war schon vom Anfang seiner Existenz Schulstadt, die erste Schule der Sachsen wird schon 1388 genannt, und drei Jahre davor erscheint in den Matrikeln der Universität Wien der erste aus Kronstadt stammende Student. Und im Zeitraum bis 1525 sind 213 Kronstädter und 145 Burzenländer in Wien als Studenten gemeldet. 1543 eröffnete Johannes Honterus seine Liberei (Bibliothek), die zeitweise größte des gesamten ungarischen Königreiches. Honterus selbst vermerkt in seinem Reformationsbüchlein Folgendes: „Auf dass kein Hilfsmittel zur Bewahrung der Religion fehle, haben wir eine öffentliche Bibliothek errichtet und mit allerlei guten Schriften… versehen.“ In Kronstadt erschienen schon kurz nach der Reformation wichtige Lehrbücher, so etwa die vor kurzem im Nachdruck veröffentlichte und 1551 geschriebene Gesundheitslehre des Stadtarztes Paulus Kyr.
In der Druckerei des Honterus wurde auch der vom Diakon Coresi ins Rumänische übersetzte Kleine Katechismus veröffentlicht. Von hier aus gingen wertvolle Impulse aus, die die Entstehung der rumänischen Schriftsprache als Folge hatten. Nicht unerwähnt sollte auch die erste rumänische Schule aus dem Jahre 1512 an der Nikolauskirche der Oberen Vorstadt sein sowie auch die Eröffnung von ungarischsprachigen Schulen kurz nach der Reformation. Dass Kronstadt und die Ortschaften drum herum sich weiterhin als geistige und künstlerische Zentren entwickelt haben, bis hin zur Erhebung der Stadt zum Universitätszentrum, kann aus Zeitgründen hier nur erwähnt werden.
(Fortsetzung in unserer nächsten Ausgabe)
Aufmerksame, interessierte Zuhörer verfolgten sowohl die Festrede von Hansgeorg von Killyen als auch, an den beiden vorausgegangenen Tagen, die Referate die bei der Tagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde im großen Saal der Kronstädter Redoute von namhaften Historikern aus dem In- und Ausland vorgestellt wurden.
Foto: Dieter Drotleff
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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