Herkunft prägt Zukunft. 800 Jahre Burzenland
20.10.11
Festrede beim XXI. Sachsentreffen in Kronstadt (III)/ Von Hansgeorg v. Killyen
(Fortsetzung aus unserer vorigen Ausgabe)
Was bleibt nun heute zu sagen, wenn wir die Vergangenheit dieser stolzen Stadt und der nicht minder stolzen Gemeinden des Burzenlandes in der Rückschau zu betrachten versuchen? Die Menschen aus Kronstadt und dem Burzenland waren und sind stets freiheitsliebend, sie konnten ihre Autonomie bewahren und die jahrhundertelangen Bedrohungen abwehren. Dies ließ ihre Landschaft wirtschaftlich zu einer der modellhaften Regionen Südosteuropas werden. Selbst Seuchen, Brandschatzungen und Überfälle, selbst die sowjetische und kommunistische Ära (man denke nur an die Jahre mit dem schrecklichen Namen Stalinstadt) haben dem Wesen und den Herzen seiner Bewohner nichts anhaben können. Auch die Wunden der zwei Diktaturen des 20. Jahrhunderts können heilen, auch wenn vom größten Aderlass des 20. Jahrhunderts, dem Exodus der Deutschen und auch der Juden und Armenier aus Kronstadt tiefe Spuren sichtbar sind. Nicht vergessen sollten wir aber auch die Zeiten des politischen Irrsinns von 1939 an, als viele Landsleute den Hitlergruß für genehm hielten, aber auch die Jahre des Kommunismus. Wie viele unter uns haben sich aus Überlebensgründen angepasst? Andere sind z.T. lebenslänglich in die dunkelsten Kerker und die menschenunwürdigsten Straflager verbannt worden.
Und auch heute noch sind wir befangen und suchen oft krampfhaft nach Tätern und Opfern der Diktaturen, statt dieser Un-Kultur der Denunziation mit etwas Gelassenheit zu begegnen.
Vorbei ist hoffentlich die Zeit, in der kleinere und manchmal auch länger andauernde Konflikte zwischen den einzelnen Ethnien Siebenbürgens das Zusammenleben belastet haben. Ich glaube aber, dass bei den meisten Kronstädtern und Burzenländern gleich welcher Ethnie in den letzten Jahren ein historisches Erwachsenwerden stattgefunden hat.
Wenn bis auf eine kleine Zahl kaum Siebenbürger Sachsen mehr vor Ort sind, sollte dennoch ihr Wirken in den letzten zwei Jahrzehnten erwähnt werden.
Was sich in den 21 Jahren seit den Dezemberereignissen von 1989 alles im siebenbürgisch-sächsischen Umfeld ereignet und verändert hat, ist hier aus Zeitgründen nicht zu nennen. Exemplarisch nur einiges: das Altenheim Blumenau in der Bahnstraße, die Renovierung zahlreicher Kronstädter Häuser, nicht zuletzt der im Besitz der evangelischen Kirche befindlichen, wie z.B. das Blaue Haus am Marktplatz von Kronstadt. Dazu natürlich die Restitution von Gütern aller Art, die einmal in deutscher Hand waren – die leider noch lange nicht abgeschlossen ist. Und dann die zahlreichen Projekte in nahezu jedem Burzenländer Ort, die Kultur- und Kunstkreise, die Publikationen, die Rückkehr der Siebenbürger Sachsen in das öffentliche Leben durch ihre politischen, kulturellen und sozialen Institutionen. Die Ortsforen der Deutschen, die Kirchengemeinden, sie alle und viele mehr sind Zeugen einer veränderten Welt vor Ort, in der es manchmal gar nicht wichtig ist, ob die Sprache unter den Menschen deutsch, rumänisch oder ungarisch ist.
Ein sehr aktuelles Beispiel dazu, der Jugendbachchor der Schwarzen Kirche unter der Leitung von Dr. Steffen Schlandt: In ihm singen vier Menschen, deren Muttersprache Deutsch ist, vier Ungarn und 18 Rumänen, und wer sie erlebt hat, vor einigen Wochen in Dinkelsbühl oder in Stuttgart, dem ist die integrative und verbindende Rolle der Kunst und Kultur heute im großen Rahmen des Vereinten Europas voll bewusst geworden. Und auch die Jahrzehnte laufenden erfolgreichen sozialen und kulturellen Werke der jetzt im Westen verankerten Burzenländer Heimatortsgemeinschaften und ihres Dachverbandes, deren Mitstreiter als Regionalgruppe Burzenland unermüdlich viel geleistet haben. Sie haben nicht nur rückwärtsblickende, nostalgische Ziele. Ihre Gemeinschaften mit ihren zahlreichen Kreisen, ihre Treffen, ihre Publikationen, sie haben sich entfaltet wie kaum jemals in der Vergangenheit.
Die Burzenländer hier vor Ort und ihre Präsenz im sozialen und politischen Leben der rumänischen Mehrheit sollen auch kurz erwähnt sein: Das Bemühen um die konkrete Akzeptanz der deutschen Kultur der Vergangenheit und Gegenwart im aktuellen Bürgerleben der Städte und Gemeinden, beginnend mit den dreisprachigen Ortsnamenschildern bis hin zu Publikationen über unsere siebenbürgisch-sächsische Geschichte, das sind Zeichen eines neuen ethnischen Verständnisses des Miteinanders und sollte nicht opportunistisch als äußere Anpassung an die Gegebenheiten der EU abgetan werden.
„Flügel dort, Wurzeln hier, Brücken über Zeit und Raum“, wie neulich ein hochrangiger Berliner Politiker unser Dasein beschrieb, das fordert selbstbewusste Rückbesinnung auf die Vergangenheit mit einem pragmatischen und zupackenden Blick nach vorne. Das ist mehr als eine rein akademische Beschäftigung auch mit dem Thema Deutscher Ritterorden vor 800 Jahren, das wir heute betrachten. Die bäuerlich, handwerklich und geistig intensiv wirkenden Menschen der Burzenländer Gemeinden und ihrer Krone, der Stadt unter der Zinne, diese Menschen waren keine genetischen und auch keine ideellen Nachkommen der Ritter. Streit und Kampf mit Schild und Schwert, das waren eher die Ausnahmen, ihre Eigenart zeigte sich vielmehr bei der Verteidigung an den Schießscharten und Pechnasen der Burgen. Fleiß und Beständigkeit, die jahrhundertealten demokratischen Strukturen ihrer Netzwerke bis hin zum Ausbau ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen, das ist geblieben und wird auch weiterhin bleiben.
Kronstadt und das Burzenland sind heute eine Region mit einem weiten Entwicklungsspektrum, eine Metropole mit höchsten wirtschaftlichen, kulturellen und touristischen Möglichkeiten, an deren weiterem Wachsen wir alle im Westen oder hier Lebenden großen Anteil und eine hohe emotionale Bindung haben. Jubeln sollten wir nicht in der Besinnung auf unsere Vergangenheit, vielleicht sollten wir eher dankbar sein für unsere Wurzeln und für unsere friedvolle Gegenwart.
Ich wünsche allen Kronstädtern, allen Burzenländern und allen Gästen des Sachsentages 2011, gleich welcher Zunge, Zeit, dass wir aus diesen Wurzeln, die uns geprägt haben, auch in Zukunft unsere Gemeinschaft im Kleinen und auch auf großer, europäischer Ebene weiterhin fruchtbringend gestalten mögen.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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