In der Deportation, weit weg der Heimat
14.01.10
Erinnerungen an Russland
Am 13. Januar 1945 mussten sich die Rothbacher mit ihrem Gepäck in der alten Dorfschule versammeln. Erwin Schall (geb. 1928) und sein Vater waren auch auf den Deportationslisten, wie alle Frauen von 18 bis 30 und alle Männer von 17 bis 45 Jahren. „Mit russischer Bewachung fuhren wir nach Kronstadt zum Güterbahnhof. Dort standen für uns Viehwaggons bereit“, erzählt Erwin Schall. Die vielen Leute hatten nicht alle Platz auf den Pritschen und so ruhte man sich in Schichten aus. In Adjud musste aus dem rumänischen Zug in einen russischen umgestiegen werden, der auf die breiteren Gleise der UdSSR passte. „Besonders am Abend wurden im Waggon schöne Heimatlieder gesungen“, erinnert sich Schall.
In Parkomun befand sich das Ziellager. Erst vierzehn Tage nach der Ankunft wurde man zur Arbeit eingeteilt. „Zu meiner Verwunderung, wurde uns erlaubt, deutsche Lieder zu singen. Nach kurzer Zeit wurden unsere Leute aus dem Gebäude Nr. 5 nach Nikanor versetzt, den Weg gingen wir zu Fuß, im Schnee“, erzählt Schall. In großen Räumen mit prekärer Ausstattung wurden jeweils 30-40 Personen untergebracht. Der Rothbacher arbeitete zu erst zwei Wochen lang in einem Steinbruch, dann in einem Schacht, der durch den Krieg zerstört worden war. Das viele Wasser, das sich dort gesammelt hatte, wurde Tag und Nacht herausgepumpt und „hatte einen sehr schlechten Geruch, der sich in der ganzen Gegend verbreitete“. Der Schlamm musste in ein Wägelchen geschaufelt werden und wurde dann mit dem Aufzug an die Oberfläche befördert. „Die Arbeit im Schlamm und im Wasser war ungesund und miserabel, nicht zu ertragen. Gummistiefel, die hier so nötig gewesen wären, gab es nicht.“
Das Allerschlechteste in den Lagern war die Kost – gekochte Grütze, Krautsuppe, Gurkenwasser. Vor allem die älteren Männer, die zwei Weltkriege erlebt hatten, waren sehr geschwächt und erkrankten schnell, erzählt der Rothbacher.
Drei Wochen später wurden er und seine Arbeitskollegen auf eine Baustelle versetzt, sie arbeiteten aber auch im Kolhos.
„Am 27. Juli erkrankte ich und wurde von der Arbeit entlassen. Beim Atmen hatte ich unaushaltbare Schmerzen und täglich hohes Fieber.“ Er kam am 15. August in das Lagerlazarett und erst nach sieben Wochen in die „Invalidenbrigade“ zu leichter Arbeit. Doch auch da ging es nicht besser. Im Oktober sollten die „Invaliden“ nach Hause entlassen werden. Bis zu der ungefähr 15 km entfernten Bahnstation mussten sie trotz Krankheiten zu Fuß gehen. „Bei uns waren auch zwei ältere, sehr geschwächte Männer. Wir jüngeren mussten sie stützen, damit sie mitgehen konnten. In der Bahnstation verbrachten wir im Freien eine kalte Nacht bei schwachem Feuer und einer der beiden verstarb. Am Morgen sagte unser russischer Begleitoffizier, es gäbe keine Waggons für uns. Entmutigt mussten wir zurück ins Lager gehen. Nach zwei Tagen verstarb auch der andere alte Mann.“
Zwei Monate später, am 24. Dezember, durften die Kranken endlich heimwärts fahren. „Für mich war dieser Heilige Abend der glücklichste in meinem damals jungen Leben – jedoch machte ich mir großen Sorgen um meinen Vater, der im Lager geblieben war.“ In Jassy/Iasi traf der Zug am 3. Januar ein, und die Kranken wurden vom rumänischen Roten Kreuz empfangen. Sie bekamen Verpflegung und Unterkunft, bis ihre Akten fertig waren. „Am 6. Januar fuhren wir als freie Menschen mit dem Personenzug nach Hause. In Rothbach kam ich am 8. Januar an. Der Arzt stellte fest, dass ich Wasser unter dem linken Lungenflügel hatte. Es ging mir aber durch das viel bessere Essen und die Bettruhe bald besser.“ Im Mai gleichen Jahres konnte Erwin Schall schon arbeiten gehen, aber daheim gab es schon andere große Sorgen, vor allem die schweren Folgen der Enteignung.
Erwin Schalls Vater blieb zweieinhalb Jahre in Russland und gelangte dann mit seinem Krankentransport in die DDR, von dort zu Verwandten in die Westzone, dann nach Österreich. Erst spät konnte er in die Heimat zurückkehren.
Christine Chiriac
Foto 1
Die „Schaika“, aus einer Konserve gebastelt. Damit wurde das Essen aus der Kantine geholt.
Foto 2
Erwin Schall in den fünfziger Jahren.
Fotos:privat
Lied
Nach der Heimat möcht' ich eilen,
nach der Heimat möcht' ich gehn,
möcht' bei meinen Lieben weilen,
Freud' und Leid mit ihnen teilen.
In der Heimat nur allein
kann ich froh und glücklich sein.
Spielet einst am Meeresstrande
raubten fremde Menschen mich,
schleppten mich in fremde Lande,
schlugen mich in Sklavenbande.
„Habt Erbarmen!“, flehte ich
und ich weinte bitterlich.
Hoffnungslos muss ich verzagen,
teure Eltern, euch zu sehn!
Meine Sorgen, meine Plagen
muss ich still und ruhig tragen.
Selbst zum Tode möcht' ich gehn,
könnt ich euch noch einmal sehn!
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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