Leben und Wirken einer Literatur-Nobelpreisträgerin
04.10.12
Multimediale Ausstellung über Herta Müller im Geschichtsmuseum
Ein bei einer Literatur-Ausstellung unerwartet zahlreiches Publikum war vor einer Woche bei der Vernissage von „Herta Müller. Im Teufelskreis der Wörter“ im Kronstädter Geschichtsmuseum anwesend. Für die vom „literaturHausBerlin“ durch Lutz Dittrich und Ernest Wichner konzipierte und vom Goethe-Institut produzierte Ausstellung wurde nicht zufällig gerade Kronstadt/Brasov zur ersten Station ihrer Tournee in Rumänien gewählt. Das hängt auch zusammen mit der Tatsache, dass in Kronstadt, vor 25 Jahren, am 15. November, an einem Tag an dem landesweit Lokalwahlen abgehalten wurden, eine europaweit Aufsehen erregende Arbeiterrevolte den kommunistischen Machthabern die vorgetäuschte Feststimmung gründlich verdarb. Es war der Vorbote für den Sturz des Ceausescu-Regimes, erinnerte Ausstellungskurator Lutz Dittrich in seiner Ansprache bei der Vernissage.
Herta Müllers Werk wäre ohne die Erfahrungen der im schwäbischen Banat geborenen Literatur-Nobelpreisträgerin 2009 im kommunistischen Rumänien und ohne die Erinnerungen an die Zeit der Diktatur nicht denkbar gewesen, sagte die Leiterin des Goethe-Institutes Bukarest, Beate Köhler.
Die Ausstellung, die vor Ort in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturzentrum Kronstadt und dem Geschichtsmuseum Kronstadt bis zum 27. Oktober gezeigt wird, bietet einen Einblick auch in die in Rumänien verbrachten Jahre der Schriftstellerin: von ihrer Kindheit im abgelegenen Nitzkydorf, zu den ersten literarischen Versuchen als Lyzeumsschülerin, von ihrer Tätigkeit als Lehrerin und Übersetzerin in einem Maschinenbau-Werk bis zur Aussiedlung in die Bundesrepublik. Bereits nach den ersten Veröffentlichungen und den Kontakten zur Banater Aktionsgruppe tritt der Schatten der Securitate in ihr Leben mit allen damit verbundenen Konsequenzen: Bespitzelung, Einschüchterung, Verleumdung, Verhör und Veröffentlichungsverbot. Fotografien aus dem Familienbesitz Herta Müllers, Handschriften, Securitate-Dokumente, Zitate aus den Werken, Ansprachen und Interviews der Schriftstellerin die in Deutschland zur internationalen Anerkennung kommen sollte, stellen eine aussagekräftige Verbindung dar zwischen „privaten Dokumenten und der Intimität des Schreibtisches“ (Lutz Dittrich) und ihrem Werk, ihren öffentlichen Auftritten. Dabei war und bleibt ihr Name ein Name der polarisiert, unterstrich Generalkonsul Thomas Gerlach bei der Vernissage. Herta Müller sei ein hochpolitischer Mensch der sich von nichts und niemandem einschüchtern ließe.
Davon können sich die Besucher der Ausstellung ein konkretes Bild machen indem sie die auf einer Multimedia-Konsole gespeicherten Videodokumente verfolgen, wo, unter anderen, Auszüge aus ihrem Streitgespräch mit Gabriel Liiceanu im Bukarester Athenäum, Reportagen, Interviews vorliegen.
Im Anschluss an die Vernissage bei der die Teilnehmer von Ionel Bauman als Vertreter des gastgebenden Museums und von der Leiterin des Deutschen Kulturzentrums Kronstadt, Roxana Florescu, begrüßt wurden, folgte eine interessante Gesprächsrunde die von Robert G. Elekes moderiert wurde und an der sich die Kronstädter Schriftsteller Carmen Elisabeth Puchianu und Caius Dobrescu sowie Herta Müllers rumänischer Übersetzer Alexandru Al. [ahighian und der heute in Deutschland lebende Schriftsteller Johann Lippet, Gründungsmitglied der Aktionsgruppe Banat, beteiligten.
In der in rumänischer Sprache geführten Debatte ging es um den Einfluss den Herta Müller als junge Autorin noch vor ihrer Aussiedlung unter den rumänischen Nachwuchsautoren hatte, um die Art und Weise, wie Müllers Herkunft ihre literarische Entwicklung beeinflusst habe, um die Schwierigkeiten einer rumänischen Übersetzung ihrer von Poesie durchdrungenen Schreibweise. Carmen Puchianu wies auf das feminine jedoch nicht feministische Einfühlvermögen im Falle Herta Müllers; Johann Lippet unterstrich Müllers Einzigartigkeit jenseits von banatschwäbischer Herkunft, Dialekt und Minderheitenproblematik; Al. Sahighian äußerte seine Meinung, dass die Nobelpreisträgerin nicht leicht zu lesen sei, sie setze bei ihren Lesern ein überdurchschnittliches Maß an Gefühl und Phantasie voraus; Caius Dobrescu erinnerte an die Vorreiterrolle und die Erneuerungsversuche der Banater Aktionsgruppe für ihre rumänischen Schriftstellerkollegen. Puchianu und Dobrescu lasen auf deutsch und rumänisch Texte von Herta Müller. Abschließend kam die Autorin selber über Bandaufnahmen zu Wort und trug einige ihrer weniger bekannten „Collagen“ in beiden Sprachen vor.
Die Ausstellung im Geschichtsmuseum gibt all jenen Antworten die auf Herta Müller neugierig wurden und mehr über ihr Werdegang und Werk erfahren wollen. Dank rumänischer Übersetzung bzw. Untertitel der Videoaufnahmen ist das einem breiten Publikum möglich, wobei auch die Anregung hinzu kommen könnte, Herta Müller nicht nur zu sehen, hören, kommentieren sondern auch zu lesen.
Ralf Sudrigian
Der Vernissage folgte eine Gesprächsrunde mit Lesung über die Nobel-Preisträgerin. Unter der Moderation von Robert Elekes (Mitte) beteiligten sich daran: Carmen Elisabeth Puchianu, Caius Dobrescu, Alexandru Sahighian und Johann Lippet.
Foto: der Verfasser
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