„Lieber, hochverehrter Hermannonkel“
29.09.23
Hans Barths Briefwechsel mit Hermann Oberth und seiner Familie (1971-1989)
Aus Hans Barths Nachlass erschien kürzlich im Mediascher Verlag CRISSERV unter dem Titel „Lieber, hochverehrter Hermannonkel“ der Briefwechsel Hans Barths mit Hermann Oberth und seiner Familie aus den Jahren 1971-1989. Die Neuerscheinung wurde am 1. Juni 2023 bei einer Tagung in Mediasch zum Thema „100 Jahre seit Hermann Oberths ,Rakete zu den Planetenräumen‘“ vorgestellt.
Hermann Oberth (1894-1989) gilt durch sein Lebenswerk, die Erarbeitung der theoretischen Grundlagen zur Eroberung des Weltraums, als einer der herausragenden Wissenschaftler des zwanzigsten Jahrhunderts und wohl als der bedeutendste Siebenbürger Sachse. Oberth faszinierte schon zu Lebzeiten, bis in die Gegenwart wissenschaftlich interessierte Menschen weltweit, insbesondere aber die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Für letzteres Interesse sind die Gründe vielschichtig. Oberths familiärer Hintergrund und Wirken waren eng mit drei wichtigen Städten des siebenbürgisch-sächsischen Siedlungsgebietes verbunden. Hermannstadt ist seine Geburtsstadt, der Herkunftsort der Familie seiner Mutter Valerie Oberth, geb. Krasser (1869-1941). Schäßburg ist die Stadt seiner Kindheit und Jugend, seiner Schulbildung an der traditionsreichen Bergschule, wo er auch die ersten Berufsjahre als Lehrer für Mathematik und Physik verbrachte; hier lernte er seine spätere Ehefrau Mathilde, geb. Hummel (1895-1981), kennen und lieben. Mediasch schließlich ist der Stammort der Familie des Vaters, des seinerzeit berühmten Chirurgen Julius Gotthold Oberth (1862-1946), und war, ab 1925, Wirkungsort Hermann Oberths als Physik- und Mathematik-Lehrer am Stephan Ludwig Roth Gymnasium; an der hier ansässigen Fliegerschule sollte Oberth frühe Raketen bauen und erfolgreich starten.
Oberths Leben handelt von einem Siebenbürger Sachsen, der seine Heimat verließ, um seine Träume zu verwirklichen, ein Schicksal, das das „Sachsenvolk“ nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem zum Idol gewordenen Landsmann teilte. Oberths Lebensweg ist auch ein Vorbild für alle angehenden Naturwissenschaftler und Techniker, der Beweis, dass es sich lohnt, an sich selbst und seine Ideen zu glauben, um schließlich beruflich erfolgreich zu sein. Eine Vielzahl von Biographien und Werken sind zu Hermann Oberth im Laufe der Jahre erschienen. Sein Leben wurde zur Inspiration belletristischer Literatur, wie Rolf Hochhuths Tragödie „Hitlers Doktor Faust“ (2001) und Daniel Mellems kurzweiliger biographischer Roman „Die Erfindung des Countdowns“ (2020) bezeugen.
Von Oberths Biographen ist Hans Barth (1934-2011) der bedeutendste. Sein Briefwechsel mit Hermann Oberth erschien kürzlich im Mediascher Verlag CRISSERV. Die von Hansotto Drotloff koordinierte Herausgabe dieses Briefwechsels in Buchform beruht auf einer noch von Hans Barth gestalteten CD (2010), die aber leider nur eine geringe Verbreitung erfuhr. Außer dem Briefwechsel enthält das Buch Vorworte von Hans Barth und Karlheinz Rohrwild, dem Direktor des „Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museums“ Feucht, sowie ein Geleitwort Dumitru-Dorin Prunarius, des ersten und bisher einzigen rumänischen Kosmonauten. Eine Sammlung von zum Text passenden Bildern, eine Biographie und eine Publikationsliste Hans Barths sowie ein Namenregister runden den Briefwechsel ab. Sehr hilfreich sind die vom Herausgeber in den „Anmerkungen“ recherchierten Angaben zu den erwähnten Personen. Der Briefwechsel umfasst insgesamt 230 Briefe, geschrieben zwischen 1971-1989 von Hans Barth an Hermann Oberth, an dessen Tochter, die Rechtsanwältin Dr. Erna Roth-Oberth (1922-2012), und den Schwiegersohn, den Unternehmer Josef (Sepp) Roth (1925-1985), sowie die entsprechenden Antwortschreiben.
Hans Barth kam 1935 in Seiden zur Welt, wuchs aber, nach der frühen Trennung der Eltern, in Bulkesch, bei der Mutter auf. Ab 1950 besuchte er die Technische Fachschule für Maschinenbau, Schwerpunkt Energietechnik, in Mediasch, die er 1954 mit einem Abitur- und Technikerdiplom abschloss. Danach war Barth als Techniker in verschiedenen Industriebetrieben Rumäniens tätig. Inzwischen verheiratet und Vater zweier Kinder, erfolgte 1963 der Umzug nach Kronstadt, wo Barth die Stelle eines Fachjournalisten für die Region Kronstadt bei der deutschsprachigen Tageszeitung Neuer Weg annahm. 1965 begann Barth das Studium der Elektrotechnik im Abendkurs an der Universität Kronstadt, welches er 1970 als Diplom-Ingenieur abschloss. An der TU Kronstadt war Barth auch wissenschaftlich tätig; 1975 wurde er zum Dr.-Ing. promoviert. Bereits 1971 wechselte Barth zur Wochenzeitschrift Karpatenrundschau, wo er die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft und Technik leitete. In dieser Funktion erfolgte am 1. September 1971 die erste Kontaktaufnahme Hans Barths zum „Hochgeehrten Herrn Professor Oberth“.
In der politischen Tauperiode der frühen 1970er Jahre wurde es der deutschen Minderheit Rumäniens erneut zugestanden, sich ihres geistigen Erbes zu besinnen. So konnte der Journalist Hans Barth, über den Eisernen Vorhang hinweg, zu Hermann Oberth in Kontakt treten. Barth signalisierte Oberth in seinem ersten Brief die Absicht, in der Karpatenrundschau Artikel über den „Vater der Raumfahrt“ und über die „Wege zur Raumfahrt“ zu bringen. Ferner sei es der Plan, erstmals in Rumänien Oberth-Bücher im Kriterion-Verlag neu aufzulegen. Hans Barth informierte außerdem, dass Hermann Oberth in seinem Heimatland ein von allen Seiten gern gesehener Gast sei und dass er plane, eine Hermann Oberth Biographie zu verfassen.
Hans Barth wurde zum Oberth-Biographen aus reinem Interesse. Die Stellung als Redakteur der Karpatenrundschau musste weiterhin für den Broterwerb sorgen. Als Oberth-Biograph ging Barth äußerst akribisch vor. Ein Großteil der Korrespondenz diente der Klärung biographischer Details. Oberth beantwortete über Jahre hinweg geduldig die Fragen des Kronstädter Journalisten. Diese Geduld hatte aber ihre Grenzen. Selbst im hohen Alter sprühte Oberth von neuen Ideen, die er nicht „mit ins Grab nehmen“ wollte. Er fühlte, dass die Zusammenarbeit mit seinem Biographen ihn von der Arbeit an diesen Ideen abhielt und verwies Barth darauf, selbst in den Archiven des „Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museums“ in Feucht zu recherchieren. Oberth hatte 1943 das Pfinzigschloss in Feucht erstanden, das bis 1988 im Besitz der Familie blieb, als es an den Markt Feucht veräußert wurde. Im Erdgeschoss des Schlosses wurde 1971 das Museum eingerichtet, das bis heute in einem Nebengebäude weiterbesteht. Hans Barth durfte häufig in die Bundesrepublik Deutschland und in das übrige westliche Ausland reisen, was in jenen Jahren für rumänische Staatsbürger eher ungewöhnlich war. Auf diese Weise konnte er für seine Arbeiten recherchieren und an wissenschaftlichen Tagungen teilnehmen.
Durch Vorsprachen bei Remus Răduleţ (damals Vizepräsident der Rumänischen Akademie, einem ehemaligen Schüler der Schäßburger Bergschule) und der Botschaft Rumäniens in Bonn konnte Barth den Weg zum viel beachteten Besuch Hermann Oberths in Rumänien im Jahre 1972 ebnen. Die Hintergründe dieses Besuchs sind in der Korrespondenz abgebildet. Als pikantes Detail erfahren wir, dass, nach dem Abschluss des offiziellen Besuchs, Hermann Oberth und Gattin Tilla sich an der rumänischen Schwarzmeerküste erholten, wo auch ein Empfang durch Präsident Ceaușescu vorgesehen war. Dieser Empfang kam aber nicht zustande, da Oberth sich unwohl fühlte und zwei Tage vor dem Termin am Flughafen Kogălniceanu das erstbeste Flugzeug bestieg und abreiste.
Zwischen den Familien Barth und Oberth entwickelte sich eine echte Freundschaft. Bereits während eines gemeinsamen Sommerurlaubs am Schwarzen Meer 1974 kam es auf Wunsch Hermann Oberths zum Duzen. In der weiteren Korrespondenz ist von Hermannonkel, Tillitante, Erna und Sepp (auf Seite der Familie Oberth/Roth) bzw. von Hans und „Mitzi“ (Barth) die Rede. Die Anrede „Hermannonkel“ ist nicht auf eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen Hans Barth und Hermann Oberth zurückzuführen, sondern dem Altersunterschied und Respekt geschuldet.
Das vorliegende Buch ist nicht nur für Hermann Oberth Fans lesenswert, es ist auch ein spannendes Zeitdokument der Jahre 1971-1989. So war zum Beispiel den Schreibern der Briefe, die bis 1985, dem Jahr Hans Barths Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, über den Eisernen Vorhang miteinander verkehrten, stets bewusst, dass die Geheimpolizei „Securitate“ mitliest. Das machten sich die Schreiber zu Nutze, indem sie Formulierungen wählten, die dem kommunistischen Regime schmeichelten und gleichzeitig den eigenen Interessen, z.B. der Genehmigung der Gründung eines „Hermann-Oberth-Museums“ in Mediasch, dienten.
Hans Christian Hedrich
Hans Barth: „Lieber, hochverehrter Hermannonkel. Briefwechsel mit Hermann Oberth und seiner Familie (1971-1989)“, Herausgeber: Heimatgemeinschaft Mediasch e.V., Demokratisches Forum der Deutschen in Mediasch, Hermann-Oberth-Raumfahrtmuseum Feucht, Verlag CRISSERV, Mediasch, 2023, 14,5×20 cm, fester Einband (Hardcover), 352 Seiten (230 Briefe), ISBN 978-973-8990-77-7. Dank der Förderung durch das Department für Interethnische Beziehungen beim Generalsekretariat der rumänischen Regierung erfolgt die Abgabe des Bandes kostenlos. Um eine Spende (15 Euro, zzgl. Porto) wird gebeten, die vollständig den Projekten der HG Mediasch zugutekommt. Bestellungen an E-Mail: infoblatt@mediasch.de.
(Siebenbürgische Zeitung vom 7. August 2023)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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