Minderheitenpolitik vor 1939
03.12.09
“Das Schlagwort der Gleichberechtigung” - zwei Briefe von Emil Neugeboren (II)
Es ist wahr: Der rumänische Staat erhält – zum rühmlichen Unterschied vom alten ungarischen – Schulen auch für die Minderheiten. Leider aber wird dieses schöne Zugeständnis durch die Praxis in sehr vielen Fällen entwertet. Nicht selten werden Lehrer oder Lehrerinnen angestellt, die die Unterrichtssprache selbst kaum beherrschen. Oder die Zahl der Lehrstunden in rumänischer Sprache drängt die in der Muttersprache der Schüler bis auf einen Restbestand zurück! Was für einen Wert hat eine solche „staatliche deutsche Schule“ noch für uns?
Aber auch die deutsche Schule, die wir uns in zweiter Besteuerung selbst erhalten, ist alles andere als eine freie Bildungsanstalt unseres eigenen Gepräges! Ihre Pläne werden in Bukarest gemacht, nach den Bedürfnissen der rumänischen Bildung, nicht dem Wesen des Volkstums angepasst, dem sie dienen sollen. Und der durchaus richtige Grundsatz, den jeder vernünftige Deutsche Rumäniens anerkennt, dass die Schule jeder Volksgruppe auch die rumänische Staatssprache zu lehren hat, wird maßlos übertrieben. Eine Reihe von Gegenständen wird rumänisch gelehrt und gelernt, so dass die Arbeitskraft des Schülers vorzugsweise für sie in Anspruch genommen wird. Ganz nebenbei bemerkt, ist es ein pädagogischer und psychologischer Missgriff ohnegleichen, Gegenstände, auf die man ein besonderes Gewicht legen will, nicht in der eigenen, sondern in der dem Schüler fremden Sprache [unleserlich] und Rumänen Schulter an Schulter im Jahre 1907 gegen das Apponyische Volksschulgesetz kämpften? Wir sahen es als feindselig an, weil es den magyarischen Sprachunterricht schon in den unteren Klassen der Volksschule anfangen wollte! Und jetzt? Jetzt werden unsere deutschen Kinder in der dritten Volksschulklasse in alltäglichen Stunden soviel Rumänisch gelehrt, dass sie bis spät Abend daran zu lernen haben! Dass schon auf dieser unteren Unterrichtsstufe die übrigen Gegenstände dadurch verkürzt werden! Hat auch das rumänische Kind dieselbe Last zu tragen? Ich glaube nicht! So bekommen also die Minderheitenkinder schon im Alter von 9, 10 Jahren die „Gleichberechtigung“ zu spüren, von der Ihr in Euern Festreden so schön zu schwärmen pflegt!
Und warum eigentlich diese maßlose Übertreibung einer – ich wiederhole – an sich notwendigen Maßregel des rumänischen Sprachunterrichts auch in den Schulen der nationalen Minderheiten? Würde es dem vernünftigen Zweck nicht vollständig entsprechen, wenn in der Mittelschule und in der höheren Volkschule die festen Grundlagen der Kenntnis der Amtssprache des Staates gelegt würden, auf denen dann der Einzelne entsprechend dem Bedarf seines Berufes oder seinem privaten Bedürfnis mit sicherem Erfolg weiterbauen könnte? Ich frage weiter: Warum ist es nicht möglich, den Schulen der nationalen Minderheiten dieselbe Behandlung zuteil werden zu lassen, wie sie in der ungarischen Zeit unseren sächsischen (ich weiß nicht, ob auch den rumänischen) Schulen zuteil wurde? Dass nämlich innerhalb eines weitgezogenen Rahmens wir uns selbst unseren Lehrplan ausarbeiten, der unseren nationalen Bedürfnissen entspricht, dass alle Unterrichtsgegenstände, höchstens die rumänische Sprache ausgenommen, in der Sprache der Schüler unterrichtet werden und dass die Abgangsprüfungen, insbesondere die Reifeprüfung am Schluss der achten Mittelschulklasse, in Gegenwart eines Vertreters des Staates von den eigenen Lehrern durchgeführt werden? Nur dann könnte auf dem Gebiet des Schulwesens wirklich von „Gleichberechtigung“ geredet werden!
*
2. Unser deutsches Theater, das in der ungarischen Zeit in schöner Blüte stand, vegetiert heute nur, allen Belebungsversuchen zum Trotz. Zum Teil trägt das Kino daran die Schuld, das für jedes Theater eine gefährliche Konkurrenz ist. Hauptsächlich aber leidet das Theater darunter, dass es keine ausländischen Mitglieder haben darf, in unserem Fall also keine Schauspieler aus dem Deutschen Reich. 800.000 Menschen, zu 80 % Bauern, können nicht genug schauspielerische Talente hervorbringen und ebensowenig können sie eine Theatergesellschaft ständig erhalten. Die Folge davon ist, dass bessere Kräfte des Ensembles jede Gelegenheit benützen, um in Deutschland anzukommen. Wenn das erwähnte Gesetz, dessen Sinn und Zweck ich nicht einsehen kann, nicht ein Hindernis bilden würde, könnten, wie es 150 Jahre lang früher geschah, reichsdeutsche Gesellschaften für ein paar Monate zu uns kommen und uns deutsche dramatische Kunst bieten. Und damit wäre dann die Gleichberechtigung mit unseren rumänischen Mitbürgern auf diesem Kulturgebiet hergestellt!
*
3. Früher wählten wir Sachsen uns überall, wo wir die Mehrheit der Bewohnerschaft (oder auch nur der Wahlberechtigten) der Städte und Dörfer hatten, unsere Beamten aus unserer eigenen Mitte und hatten deutsche Amtssprache, ohne dass aber Anderssprachige gezwungen wurden, diese zu gebrauchen. Ob Ihr Siebenbürger und Banater Rumänen das gleiche entsprechende Recht überall ausüben konnten, weiß ich nicht. Wenn nicht, so habt Ihr dies jedenfalls als Unrecht und Unterdrückung empfunden und dagegen gekämpft. Und wie liegen die Verhältnisse jetzt? Ich will nicht von den Karlsburger Beschlüssen reden – man macht sich ja nur lächerlich, wenn man sich auf dieses schöne Märchen berufen will. Aber Art. 17. des Ministerratsbeschlusses vom 1. August 1938, veröffentlicht im Monitorul Oficial Nr. 178 vom 4. August 1938 besagt etwas von der Ernennung von Bürgermeistern oder dessen Stellvertretern aus der Reihe der völkischen Minderheiten. Hie und da ist diese Verfügung durchgeführt worden, in sehr vielen Dorfgemeinden aber nicht. Im allgemeinen sind Beamte aus den Reihen der Minderheiten auf sämtlichen Gebieten der Verwaltung und Rechtspflege eine Museumsrarität geworden. Bestenfalls dürfen sie sich auf untergeordneten Posten abmühen und zusehen, wie jüngere Angestellte rumänischen Blutes an ihnen vorüber auf höhere Stellen klettern.
*
4. Ihr seid aber durch den Schaden der Magyaren klug geworden. Diese haben zu spät bemerkt, dass sie nur Beamte produziert haben, während das wirtschaftliche Leben ihren Händen vollständig entglitt. Darum hat man das erfunden, was Du mit dem Namen „numerus valachicus“ bezeichnet hast.
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
13.06.25
Die Konferenzreihe ArhiDebate in Kronstadt
[mehr...]
13.06.25
Kronstädter Musikerinnen (XIII): Klavierlehrerin Adele Honigberger (1887-1970)
[mehr...]