Minderheitenpolitik vor 1939
09.12.09
“Das Schlagwort der Gleichberechtigung” - zwei Briefe von Emil Neugeboren (III)
Ihr wollt auch das private Leben des Geschäftsmannes staatlich reglementieren, wollt dem Minderheitler, dem die Beamtenlaufbahn so gut wie versperrt ist, auch den Zugang zu Wirtschaftsposten erschweren, indem Ihr dort ein Quotensystem einführt, das Ihr bei den öffentlichen Beamtenposten ablehnt. Ich habe für die Sache einiges Verständnis bekommen, als ich durch einen Zufall erfuhr, dass in der ziemlich großen moldauischen Stadt Roman nur eine einzige nichtjüdische Firma ist – ein Bäckermeister siebenbürgisch-sächsischen Volkstums! Seither kann ich begreifen, dass Euch solche Tatsachen, die wohl auch anderwärts in Rumänien vorkommen mögen, mit Erbitterung und Besorgnis erfüllen! Trotzdem kann ich die Methode nicht billigen, nicht für moralisch zulässig halten, mit der es z.B. Deutschen Rumäniens auf deren Siedlungsgebiet unmöglich gemacht werden soll, in ihren Geschäftsbetrieben soviel Volksgenossen anzustellen, als dort Platz haben! Wenn Ihr eine scharfe Agitation dafür entfacht, dass sich Euere Volksgenossen nicht immer nur dem Beamtentum zuwenden, sondern auch der produktiven wirtschaftlichen Arbeit, so können wir dies nur mit herzlicher Sympathie begleiten. Im übrigen werde ich auf das Thema des „Numerus valachicus“ noch zurückkommen!
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5. Jetzt komme ich zum umfangreichen Kapitel der Sprachvexation, will es aber möglichst kurz fassen.
Ich habe schon in meiner Vorbemerkung II. zu verstehen gegeben, dass ich nicht der Meinung bin, in einem Staat mit vielsprachiger Bevölkerung müsse jede der vielen landesüblichen Sprachen gleichmäßig berücksichtigt werden. Dadurch würde eine moderne Staatsverwaltung, die ohnehin kompliziert genug ist, geradezu unmöglich gemacht werden. Andererseits aber bin ich der Meinung, dass eine Amtssprache des Staates nicht den Zweck hat, die Staatsbürger anderer Muttersprache zu schikanieren, ihnen Schwierigkeiten zu bereiten, sie zu demütigen, sie als minderwertig erscheinen zu lassen! Vielmehr erfordert es die vielberufene „Gleichberechtigung“, dass man sprachlich den Minderheiten überall dort weitgehend entgegenkomme, wo keine wirklichen, sachlichen höheren staatlichen Rücksichten den Gebrauch der Staatssprache gebieterisch fordern. Besonders aber auch dort, wo praktische Rücksichten den Gebrauch der Minderheitensprachen zweckmäßig erscheinen lassen.
Wie sieht es aber in der Wirklichkeit damit aus?
Sollte es z.B. nicht zweckmäßig sein, die in dieser Zeit massenhaft veröffentlichten Kundmachungen in Bezug auf Gasschutzübungen, die sich an die gesamte Bevölkerung ohne Unterschied der Sprache richten und für den Fall der Nichtbefolgung hohe Strafen androhen, auch in den Sprachen der ortsansässigen Bevölkerung drucken zu lassen?
Welches Staatsinteresse würde verletzt, wenn in Gegenden, wo Deutsche, Magyaren usw. siedeln, Verbots- und Warnungstafeln u.dgl. mehrsprachig gehalten wären?
Wie reimt es sich mit dem Begriff der Gleichberechtigung zusammen, wenn nichtrumänische Kaufleute gezwungen werden, auf Firmenschildern und Ankündigungstafeln neben ihrer eigenen auch die rumänische Sprache zu gebrauchen, während rumänische Kaufleute in Minderheitengegenden nicht verpflichtet sind, auch deutsch, ungarisch usw. zu schreiben? Diese Frage sollte überhaupt nicht Gegenstand der behördlichen Einmischung sein. Ein intelligenter Kaufmann wird schon in seinem eigenen Interesse und aus Achtung vor Mitbürgern anderen Volkstums seine Firmentafeln u.dgl. mehrsprachig erscheinen lassen; tut er es nicht, wird er den Schaden davon haben.
Wenn aber schon von Staatswegen eingegriffen wird, dann darf es nicht einseitig geschehen. Ich kann nicht umhin, hier zu erwähnen, dass in der ungarischen Zeit nur ein einzigesmal von einer ähnlichen Verfügung die Rede war. Im Jahre 1882 brachten einige Chauvinisten im Abgeordnetenhause den Antrag ein, es möchten Firmentafeln, die nicht magyarisch gehalten sind, besonders besteuert werden; der Antrag wurde nach kurzer Debatte mit großer Mehrheit abgelehnt, und nie wieder ist an entscheidender Stelle von derartigem die Rede gewesen!
Doch die Firmentafelsprache ist eine Kleinigkeit gegenüber der Tatsache, dass größere Firmen gezwungen sind, ihre Bücher rumänisch zu führen und ihre Korrespondenz, soweit sie mit der Buchführung im Zusammenhang steht, ebenfalls. Ich, der Deutsche, habe vor kurzem von einer rein deutschen Firma eine Quittung in rumänischer Sprache bekommen, und auf meine Beschwerde erhielt ich den Bescheid, das sei gesetzliche Vorschrift! Auch das hat es in der ungarischen Zeit nicht gegeben! Obwohl auch damals die Finanzbeamten Geschäftsbücher nichtmagyarischer Firmen zu überprüfen hatten! Auch Maueranschläge von Privaten, Theaterzettel, Theater- und Konzertkarten u.dgl. durften damals in beliebiger Sprache abgefasst sein!
Damit doch auch der Humor zu Wort kommt, will ich Dir zum Abschluss dieses Abschnittes noch eine Sache erwähnen, die mir jedesmal Spaß macht, so oft ich sie sehe. In einem Hermannstädter Park ist vor ein, zwei Jahren ein unterirdischer Anstandsort gebaut worden. Bei den beiden Eingängen dazu ist je eine viereckige Lampe angebracht. Sie trägt auf allen vier Seiten die Inschrift „Barbati – Barbati – Barbati – Barbati” und „Femeie – Femeie – Femeie – Femeie”! Stelle Dir doch nur vor, was für ein unerträglicher Zustand geschaffen worden wäre, wenn nach einer Seite hin auch die „Männer“ und „Frauen“ und nach der andern die „Ferfiak“ und „Nök“ eingeladen würden, hier ihre Notdurft zu verrichten!!! Und noch ein Spaß: vor dem Krieg sind auch schon Anstandsorte errichtet worden. Sie trugen im Innern dreisprachige Inschriften, die die Spülvorrichtung erklärten und außerdem verlangten, dass man sich die Kleider in Ordnung bringe, ehe man das Lokal verlässt! Vor kurzem habe ich nun mit patriotischer Befriedigung konstatieren können, dass die deutsche und die magyarische Inschrift beseitigt waren! Wieder einmal ein Stückchen Vaterland gerettet!
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Ich könnte hier noch mancherlei anführen, unterlasse es aber, weil es entweder Dinge von zu wenig Belang sind oder sich nicht gerichtsordnungsmäßig beweisen lassen, wenngleich ich sie für wahr halten muss.
Auch mit Bezug auf das von mir Angeführte kannst Du vielleicht in diesem oder jenem Punkt darauf hinweisen, dass es ja in der allerletzten Zeit beseitigt oder wieder gutgemacht worden sei. Es ist wahr: ungefähr jede dritte oder vierte Woche berichten unsere deutschen Blätter über eine „Vorsprache“ bei diesem oder jenem Minister, und der Bericht schließt fast immer mit dem Satz, der Minister habe die Regelung der Angelegenheit in Aussicht gestellt. Es sind aber meistens Fragen, die eigentlich schon seit Jahr und Tag „geregelt“ sind, geregelt durch Gesetze, die schon seit lange bestehen, und niemand kann sagen, wie oft sie noch im Laufe der nächsten Wochen, Monate, Jahre wieder „regelungs“-bedürftig sein werden! Immerhin sind in der allerletzten Zeit auffallend viele Zugeständnisse an uns Deutsche gemacht worden. Ich glaube, eine Erklärung für diese auffallende Erscheinung zu haben. Sie befriedigt aber mein Gefühl nicht. Ich wünschte von Herzen, diese Zugeständnisse kämen aus tieferen Beweggründen, als ich annehmen muss. Aus dem ehrlichen und aufrichtigen Willen, „der Eintracht Band“ um „alle Söhne Siebenbürgens“, richtiger: Rumäniens, zu schlingen! Die Zugeständnisse scheinen mir nur aus augenblicklichen taktischen Erwägungen geboren zu sein. Ich wollte, ich könnte widerlegt werden!
Mein Misstrauen ist nicht Hysterie. Wir haben zu reiche Erfahrungen gemacht, um nicht misstrauisch zu sein. Wie steht es doch mit dem Ministerratsbeschluss vom 1. August 1938? Hat er bindende Rechtskraft? Kann man ihn, wie es neuestens geschieht, ein „Minderheitenstatut“ nennen? Ich bezweifele es mit aller Entschiedenheit. Er durfte ja – unglaublicherweise! – in unseren Blättern nicht wiedergegeben werden! Nur in ausländischen Zeitungen wurde darüber in hohen Tönen geschrieben! Wie aus meinen Darlegungen unter Zahl 1. – 5. hervorgeht, ist seit der Herausgabe des Ministerratsbeschlusses vielfach gegen die Artikel 3., 4., 16., 17., auch gegen Art. 18. verstoßen worden. Einem Leitaufsatz der „Keleti Ujsag“ Nr. 145 vom 30. Juni d.J. zufolge ist von Gerichten ausgesprochen worden, der Ministerratsbeschluss sei keine Rechtsquelle, und sind Urteile gefällt worden, die im Gegensatz zu den Verfügungen desselben stehen! Das Blatt fordert mit vollem Recht, der Ministerratsbeschluss möge Gesetzeskraft erhalten! Dieser Wunsch ist bisher nicht erfüllt worden. Warum eigentlich nicht? Warum haben die mehrfachen, im Laufe der letzten 20 Jahre unternommenen Schein-Anläufe zur Schaffung eines Minderheitenstatuts noch immer keinen Erfolg gehabt? Sollte es wirklich so ungeheuer schwer sein, ein solches zustandezubringen?
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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