Minderheitenpolitik vor 1939
17.12.09
“Das Schlagwort der Gleichberechtigung” - zwei Briefe von Emil Neugeboren (IV)
Wir haben doch in den Karlsburger Beschlüssen, im internationalen Minderheitenvertrag vom 9. Dezember 1919 und im erwähnten Ministerratsbeschluss die grundlegenden Linien dazu! Wie leicht werden doch bei uns große und wichtige, in das Leben der Bevölkerung tief einschneidende Gesetze aus dem Handgelenk heraus in die Welt gesetzt! Und dieses Minderheitengesetz konnte in zwei Jahrzehnten nicht zustandekommen! Wie sollen da die nichtrumänische Volksgruppen zu dem guten Willen der Regierungen Vertrauen fassen? Wie sollen sie den eingangs erwähnten zahllosen schönen Reden über die gute Behandlung der Minderheiten auch nur den mindesten Glauben schenken? Haltet doch weniger Reden und schafft ehrlich und offen klare Tatsachen, die uns beruhigen und uns die Sicherheit geben, dass wir gleichberechtigte Bürger dieses Staates sind!
Dann werdet Ihr an uns auch treue und zuverlässige Mitarbeiter und Helfer beim Aufbau Eueres Staates als eines modernen Rechts- und Kulturstaates haben! Dann wird Dein an sich schönes Wort von den Minderheiten, die man eigens herbeischaffen müsste, damit das Rumänentum im Wettkampf mit ihnen erstarke, volle Wahrheit werden. Heute, wo wir in diesem Wettkampf an allen Gliedern gehemmt und mit Bleikugeln beschwert sind, werden wir diese Mission für Euch nicht erfüllen können!
Zum Schluss möchte ich Dir noch an einem geradezu klassischen Beispiel zeigen, warum wir zu Euern schönen Reden kein Vertrauen haben können. Denke nur einmal daran, seit wieviel Jahren die Frage der pflichtmäßigen Einstellung von „Rumänen“ in Wirtschaftsbetriebe bei uns schon rumort. Wieviel feuerige Reden und Zeitungsartikel von Euerer Seite darüber in die Welt gesetzt worden sind; wie sich die Redner und Schreiber überboten haben in der Aufstellung des Prozentsatzes, in dem „Rumänen“ in den Betrieben der „Minderheitler“ angestellt werden müssen! Und welche Aufregung und Entrüstung die Sache bei uns hervorgerufen hat! Wie viel junge Menschen um ihre Zukunft gebangt haben. Und siehe da, jetzt, nach Jahren dieses Kampfes erklärt im Oktober Herr Arbeitsminister Ralea auf einmal, die Bezeichnung „Rumäne“ im Gesetz „zum Schutz der nationalen Arbeit“ sei staatsrechtlich, nicht ethnisch gemeint! Wunderbar herrlich! Wir sind Herrn Ralea zu tiefstem Dank verpflichtet! Ja, aber – warum hat man das nicht gleich gesagt, vor Jahren schon, als das Gesetz hinausgegeben wurde? Und warum sagt es jetzt ein Minister nur bei irgendeiner Gelegenheit à propos? Warum wird nicht in einer Gesetzesnovelle der verhängnisvolle Irrtum aufgeklärt? Wird die Berufung auf die Bemerkung des Herrn Ralea rechtskräftig sein, wenn nächstens ein deutscher Geschäftsinhaber bestraft werden soll, weil er nicht genug „Rumänen“ in seinen Betrieb eingestellt hat? Schwerlich! Und wird denjenigen Firmen, die vielleicht bisher schon zu Geldstrafen verurteilt worden sind oder denen gewisse gesetzliche Begünstigungen entzogen wurden, weil sie gegen das Gesetz gefehlt haben, jetzt die Entschädigung zuteil, auf die ein irrtümlich Verurteilter Anspruch hat? Auch das ist nicht wahrscheinlich!
Und nun sage Du, lieber Vaida, der Du mindesten 20 Jahre lang auch als „Minoritar“ gekämpft hast, wie stellst Du Dich zu dieser Sache? Würdest Du, wenn Du Deutscher oder Magyare wärest, nach dieser Erfahrung noch mit gläubigem Vertrauen die schönen Reden über die „Gleichberechtigung“ anhören, die die Minderheitsnationen hier genießen? Wenn ja, so bitte ich Dich inständig, mir das Geheimnis zu verraten, wie man es macht, um so vertrauensvoll auf Worte lauschen zu können, die mit den entsprechenden Taten in so einem Gegensatz zu stehen scheinen.
*
Es sind jetzt schon mehr als 45 Jahre, seit ich als Journalist für die Rechte meines Minderheitenvolkes zu kämpfen versuche. Ich wäre glücklich, wenn ich meine letzten Lebensjahre in einer Heimat verleben könnte, in der sich wirklich „der Eintracht Band“ um alle ihre Söhne schlingen würde! Wenn ich den Begriff „Minderheitenfrage“ und „Minderheitennot“ aus meinem Denken ausschalten dürfte! Du, mein einstiger Minderheitenkollege im ungarischen Abgeordnetenhaus, bist in der Lage, mit dazu beizutragen, dass ein solches Alter für uns und unsere Heimat komme! Wirke dahin, dass das Schlagwort der Gleichberechtigung Wahrheit und Wirklichkeit werde! Setze Dich dafür ein, dass ein ernstes und ehrliches Minderheitenstatut geschaffen werde, das mit so entschiedenen und scharfen Sanktionen versehen ist, dass das ewige Spiel der untergeordneten Behörden, die sich um gesetzliche und Regierungsverfügungen den Teufel kümmern, endlich aufhört! Wenn Du in dieser Richtung etwas erreichen willst, musst Du vor allem Kritik üben. Damit wirst Du mehr ausrichten als mit den liebenswürdigsten Redewendungen!
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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