„Neugierig auf Anregung, buntes Alter, neue Milieus“
09.06.11
Gespräch mit dem Buchautoren Dr. Henning Scherf
Anfang Mai besuchte Dr. Henning Scherf auf Einladung seines aus Kronstadt stammenden Freundes Peter Dehmel Siebenbürgen. In Hermannstadt stellte er im Erasmus-Café seine Bücher vor („Grau ist bunt“, „Gemeinsam statt einsam“, „Das Alter kommt auf meiner Weise“) und sprach am „Männerfrühstück“ der Evangelischen Akademie Siebenbürgen zum Thema „Mut machen und Mut haben in diesen Zeiten“. Der ehemalige Bürgermeister von Bremen (1995 – 2005) war bis zu seinem Ausstieg aus der Politik einer der bekanntesten und populärsten SPD-Politiker. Der 1938 geborene Ex-Politiker, seit 2005 Präsident des Deutschen Chorverbandes, ist heute vor allem bekannt für seine positive Sicht über den Umgang mit dem Altern – eine Lebensetappe die durchaus auch neue Chancen beinhalten kann. Das erste Buch „Grau ist bunt“ (2007) schrieb er für den Herder-Verlag als Reaktion auf die pessimistischen Ideen die Frank Schirrmacher in seinem Band „Das Methusalem-Komplott“ vertrat. Während seines Kronstadt-Aufenthaltes gewährte uns Dr. Scherf in der KR-Redaktion folgendes Interview.
Die steigende Zahl der Rentner ist hierzulande ein viel diskutiertes Gesprächsthema. Bereiten mehr Rentner auch in Deutschland Probleme?
Es ist nicht identisch. Die hiesige Bevölkerung hat andere Lebensbedingungen als bei uns. Das muss man schon sagen. Aber tendenziell ist es vergleichbar: Natürlich gibt es bei uns auch die große Angst, dass da immer mehr Rentner sind, die nicht arbeiten und die sagen „Her mit der Rente!“ Und es sind immer weniger, die in die Rentenkasse einzahlen. Rentenkürzung ist kein Thema weil das die sichere Voraussetzung ist, um die Wahlen zu verlieren. Also müssen wir Kompromisse finden. Ein Kompromiss ist, dass man solange wie möglich arbeitet, also nicht so früh wie möglich aufhört. Das war früher mal. Es braucht eine veränderte Personalpolitik in Unternehmen und auch beim Staat. Wie können wir bewirken, dass ältere Leute noch in Arbeit bleiben? Wir müssen altersangemessene Arbeitsplätze haben. Das akzeptieren die Alten in wachsendem Maße, wenn sie den Eindruck haben, dass das fair geschieht, dass sie nicht kaputt gemacht werden, sondern Respekt vor ihrer Lebenserfahrung, vor ihrer Leistung entgegen gebracht wird. Die Alten sind nicht nur Empfänger von Dienstleistungen, von Geld. Immer mehr von unseren Alten sind bereit, selber was zu machen, selber Aufgaben zu suchen, Verantwortungen zu übernehmen.
Aber können sie dem wachsenden Leistungsdruck nachkommen?
Man muss aufpassen, dass man nicht Fehler macht. Wir haben in Bremen, außer der staatlichen Universität, eine private Elite-Universität; die Jacobs-University Bremen. Sie bringt Unternehmen bei, wie man alte Leute angemessen beschäftigt. Es hat sich herausgestellt, es ist ein Fehler, dass Unternehmen die Alten so früh wie möglich rausschmeißen und ausschließlich junge Leute einstellen. Es ist ein Vorteil, altersgemischte Belegschaften zu haben.
Die Alten sind Kompetenzträger. Sie wissen oft mehr über die Kunden, über den Markt, über das, was wirklich trägt, als die Jungen die von der Hochschule kommen und alles neu machen wollen nach dem Motto: „Wir können das viel besser machen als ihr!“.
Da hat sich inzwischen ein Wandel eingestellt. In der Bundesrepublik haben wir ein Fachkräftemangel. Da sind eigentlich die Alten die nichtgenutzten Ressourcen, genauso wie Frauen die zu früh aus dem Beruf ausgeschieden sind, die viel können und denen man Überbrückungs- und Einarbeitungsperspektiven geben muss. Dieser Wandel ist nicht kurzatmig, nicht nur konjunkturbedingt. Das ist, nach meiner Meinung, ein langfristiger Trend, weil der demographische Wandel weiter geht. Er wird sich in den nächsten 10, 20, 30, 40 Jahren noch verstärken. Wir begreifen gerade, was für eine Veränderung auf uns zukommt. Wir wollen unsere erkennbaren Qualifikationsprobleme lösen durch intelligente, auf älter werdende Belegschaften gemünzte Konzepte. Das hat diese Privatuni in Bremen zu ihrem Hauptthema gemacht.
Sie haben sich für ein gemeinschaftliches Wohnen entschieden. Was versteht man darunter?
Ich wohne mit meiner Frau seit 23 Jahren in einer Art alten Wohngemeinschaft-Hausgemeinschaft. Wir sind insgesamt zehn Leute. Schon früher, wir waren noch keine 50, nachdem wir unsere Kinder aus dem Haus hatten, haben wir uns eine Behausung gesucht, zusammen mit zehn Freunden. Mitten in der Stadt stießen wir auf ein altes Haus (1829 erbaut), das eigentlich zum Abriss anstand. (Bei meinen Wegen durch Siebenbürgen habe ich jede Menge solcher Häuser entdeckt.) Das Haus haben wir gekauft und überlegt, wie wollen wir da wohnen. Jeder hat seine eigene Wohnung, seinen eigenen Bereich: Küche, Bad, Platz um die anderen zu bewirten, um Gastgeber zu sein. Wir essen auch regelmäßig zusammen: es kocht mal der eine, mal der andere, es geht reihum durchs Haus. Wir wollen Platz haben für unsere Kinder und Enkelkinder – alle sollen sich da zu Hause fühlen. Sehr haben wir darauf geachtet, dass wir einen Garten haben, mit Bäumen und Blumen – mitten in der Stadt. In den Großstädten, aber auch in Kleinstädten, gibt es Leerwohnungen. Auch die Wohnbaugesellschaften haben kapiert: gemeinschaftliches Wohnen ist ein Zukunftsmarkt. Es ist also nicht in erster Linie ein Geldproblem. Entscheidend ist, die richtigen Leute zu finden, Menschen denen man traut, denen man vertraut, deren Nähe man nicht als Bedrohung empfindet. Wir öffnen unsere Wohnungstüren für Freunde und finden es ganz selbstverständlich, dass die das dann auch für uns machen. Wir helfen uns. Wenn der eine gebrechlich ist oder krank, so ist es ganz selbstverständlich, dass man ihm Essen bringt, für ihn einkauft, für ihn sorgt, dass man ihn nicht allein lässt. Zwei, die gestorben sind, wurden lange Zeit von uns gepflegt – ohne fremde Hilfe. Die wollten keine Pfleger – auch keine illegale Krankenpfleger aus Rumänien. Selbstverständlich haben wir auch an einen niedergelassenen Arzt appelliert – aber alles, ohne dass wir uns einer Organisation angeschlossen haben.
Diese Wohngemeinschaften sind also beispielgebend.
Ja, natürlich. Es gibt inzwischen über 30.000 solcher Projekte – eine richtige Gründerwelle. Es kommen ja Leute ins Alter, die bei uns bei der Studentenbewegung mitgemacht haben. Die haben einen anderen Zugang zu dieser Frage: sie wollen nicht in derselben Art und Weise alt werden, wie ihre Eltern und Großeltern. Sie wollen was Neues ausprobieren und sich nicht festkrampfen in alte Gewohnheiten. Sie sind mobiler, neugierig auch auf Gemeinsamkeit, vielleicht auch auf Leute die sie gar nicht so lange kennen. Die kommunizieren anders als früher. Früher hatte man den Eindruck: Je älter die Leute werden, desto konservativer sind sie; bloß nichts verändern, immer die alten Sachen.
Das ändert sich. Ich kenne ganz viele ältere Leute die neugierig sind auf lebendige Anregung, buntes Alter, neue Milieus, auf neue Ansprache, die nicht mehr weglaufen, wenn Kinder da sind. Ich bin eben um die Schwarze Kirche rumgegangen und hab mich so gefreut, dass da, in den Schulpausen, die Schüler um die Kirche rumtoben. Es ist ein wunderbares Bild: diese alte Kirche mit den alten Gebäuden rund herum – so lebendig durch diese Schulkinder die da spielen, turnen, singen, Quatsch machen, die lebendig sind. Das ist anregend. Ich beobachte immer wieder: Alte wollen diese Art von Anregung. Wir wollen in der Gesellschaft bleiben, wir wollen nicht in die Ecke geschoben werden. Wir wollen so viel wie möglich um uns herum Vertrautes aber dann auch Verändertes annehmen und unser Platz da finden. Das ist, denke ich, auch eine Erklärung dafür, dass es inzwischen ein nationales Forum für gemeinschaftliches Wohnen in Hannover gibt (da mache ich auch mit). Täglich kommen 100 bis 150 Anfragen. Die sagen: „Wir wollen was gründen. Könnt ihr uns helfen? Habt ihr Tipps? An wen sollen wir uns wenden?“ Inzwischen ist das dezentralisiert. Jeder Bürgermeister, der was auf sich hält, hat ein solches Projekt. Die Alten werden, schrittweise natürlich, als eine Chance für die Revitalisierung der Stadtgesellschaft, manchmal auch der Dorfgesellschaft, verstanden. Sich um sie zu kümmern, geschieht nicht allein aus Barmherzigkeit, sondern auch aus Interesse. Es heißt: „Wir wollen was zusammen machen. Wir wollen eure Kenntnisse, eure Lebenserfahrung, eure Beteiligung – wenn ihr euch um den Garten kümmern könnt, oder um die kleinen Kinder oder um die Tiere.“
Ist das gemeinschaftliche Wohnen eine Alternative?
Es wächst. Es wird ein Wirtschaftskampf. Auf der einen Seite die kommerziellen, großen Heimanbieter, die ein Heim nach dem anderen bauen wollen – auf die grüne Wiese, weit weg von den Wohnungen der Leute. Alles schön hygienisch, Zimmer für Zimmer. Sie machen viel Geld damit.
Auf der anderen Seite, und die vertreten ich, sagen wir: Wir müssen nicht alle ins Heim. Wir finden Alternativen. Möglichst viel, was unser Leben ausmacht, was uns immer wichtig war, kann erhalten bleiben, auch im hohen Alter. Ich beobachte, wenn man alten Leuten die Wahlmöglichkeit gibt, so wünscht sich die ganz große Mehrheit, bis zu 90 Prozent, solch integrierte, individuell unterschiedliche Angebote und nicht irgendwelche klinik-ähnliche, große Heime.
Wie reagieren Politiker darauf? Ist die Förderung dieser Initiativen nicht zu teuer?
Es gibt keinen parteipolitischen Streit darüber. Jede, egal welche Partei, möchte gerne sympathisch sein weil das immer mehr Wähler bringt. „Na klar, wir machen das!“ Die Praxis muss man aber sehr genau angucken. Da ist noch viel zu tun. Gerade in der Kommunalpolitik könnte ich mir mehr Initiativen wünschen, z B. „Schauen wir, wo leer stehende Häuser oder leer stehende Grundstücke sind die wir so fördern können. Oder wir verbinden das mit Stiftungen, im Kulturbereich z.B. Wir besiedeln unsere Stadt mit euch. Wir versuchen Veranstaltungsangebote lebendig zu halten, dadurch, dass wir euch da wohnen lasse. Da ist dann jeden Tag was los und nicht nur einmal in der Woche eine Abendveranstaltung“.
Und gemeinschaftliches Wohnen ist viel günstiger. Also, Heime sind das teuerste. Wer das schafft, wie wir zu wohnen, der spart auch Geld – für sich und für die Gesellschaft.
Herzlichen Dank für Ihre Antworten!
Die Fragen stellte
Ralf Sudrigian
Dr. Henning Scherf
Foto: Ralf Sudrigian
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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