Osterlachen
01.04.10
Ein Versuch über den christlichen Humor /Von WALTHER GOTTFRIED SEIDNER
Auf dem Weg zum Reich Gottes begegnen wir einer Weggabelung mit zwei Pfeilen. Auf dem einen Wegweiser steht zu lesen: „Zum Reich Gottes!“. Auf dem andern: „Zu Vorträgen über das Reich Gottes!“. Man kann dem einen oder dem andern Wegweiser den Vorrang einräumen; jedenfalls wird man bald wieder vor eine Entscheidung gestellt; denn bei der nächsten Wegkreuzung zeigen die Pfeile erneut in zwei Richtungen: „Zu Vorträgen über das Osterlachen“ und „Zum Osterlachen“.
Zu den Vorträgen pilgern meist die Gelehrten. Sie werden vom Problem angezogen. Das übrige Fußvolk möchte geradewegs ans Ziel gelangen – wir wissen ja.
Allerdings laufen einem, sobald man diesen Weg eingeschlagen hat, kleine Zeitungsfritzen entgegen, die verteilen Flugblätter des Inhalts: „Vorträge über das Osterlachen!“
Wie sollte man auch um den Vortrag herumkommen? Ich selbst weiß mir auch nicht zu helfen: Kaum, dass ich nachdenke, drängt es mich zum Dozieren: Das Lachen setzt eine gewisse Freudigkeit voraus – aber keine Redefreudigkeit. Und der Rede weiche ich am ehesten aus, indem ich mich frage: Wie komme ich ans Osterlachen?
Es ist uns anscheinend mit den beiden Jahrhunderten, die hinter uns liegen, vergangen – und man müsste ausziehen, es wieder zu er-„lernen“. Das Fürchten haben wir noch nicht verlernt.
Dabei reichte das Osterlachen (als Institution, wohlgemerkt) – vom frühen Mittelalter bis an die spätere Neuzeit. Hervorgegangen ist es aus den liturgischen – und den Mysterienspielen. In ihnen sollte der Teufel verulkt werden. (Teufel - abgeleitet von dem griechischen Diabolos = Durcheinanderwerfer). Der Böse von Anfang musste in dem szenischen Schlagabtausch dargestellt werden als der betrogene Betrüger – mit welcher Spielart die späteren Komödiendichter alle Abgründe menschlicher Launen und Marotten später noch ausloten sollten.
In jenen Mysterienspielen ging Christus der Herr als Sieger hervor. Für den Glaubenden hatte das zu bedeuten: „Wer auf Seiten des Siegers steht, hat gut lachen“. Darüber hinaus sollte man selbst mit Ängstlichkeiten und Befangenheiten aufräumen. Und die eigene Unvollkommenheit sollte weniger Anlass zu Verkrampfung bieten, zu Verdrängung und Verlogenheit.
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Es wird erzählt: Im Fremdsprachenunterricht hatte ein Schüler den Satz „Der Mensch denkt – und Gott lenkt“ in die Mitvergangenheit umzusetzen. Ergebnis: „Der Mensch dachte – und Gott lachte“.
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So leicht gerät man ins Blitzlicht der Wahrheit. Unversehens und ungewollt. Verkrampfungen bereiten dem Seelsorger die meisten Schwierigkeiten. Der Absolutheitsanspruch des ICH wird nicht gern aufgegeben. Und wenn auf eine zähe Verkrampfung ein begütigendes Lächeln folgt, hat der Hu-mo(h)r seine Schuldigkeit getan. Humor bedeutet im Griechischen Feuchtigkeit. Gemeint ist die Feuchtigkeit zwischen Lid und Auge, die Träne, die das Auge gleiten lässt und den Staub abwehrt. Wir werden von weitem an Homer und an das homerische Gelächter erinnert, wiewohl Homeros soviel wie der Zusammenfügende (von Liedern) bedeutet, der Sänger schlechthin: Es winken sich die Geister aller Saiten.
Das Lachen ist eine milde Selbststrafe. Es verbündet sich den tieferen Einsichten, die in unserem Selbst schlummern und die nun jäh aus dem Schlaf gerissen werden – und wir werden vom Olymp, den wir uns selbstgerechter Weise wie einen Baukasten aufgebaut haben, sehr unwirsch herabgeholt. Wir werden auch sehr grobschlächtig abgeschminkt; und das je bunter wir uns angemalt haben. Der Psalmist sagt: „Der im Himmel ist, lacht ihrer“, das heißt: er durchschaut sie, so oft sie sich stellen und verstellen, als könnten sie Ihm den Weg ver-stellen.
Auch dem Osterlachen kann niemand den Weg verstellen. Es macht vor keiner Kriegsbemalung Halt. Einem Tyrannen wird im politischen Witz sehr bald auf den Purpur getreten. Und der Volks- und Mutterwitz schreckt auch vor Talaren nicht zurück.
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Es wird erzählt: Nach fünfzigjähriger Dienstzeit lässt sich der Küster in den Ruhestand versetzen. In seiner Abschiedsrede sagt er: „In dieser Zeit hab ich Sonntag für Sonntag alle Predigten mit angehört; aber ich versichere Ihnen, ich bin immer noch ein Christ“.
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Die Kirche bleibt also wie immer unbeschadet. Nach den Worten Jesu sollen die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen. Das gilt gerade auch dort, wo Verschrobenheiten aufkommen, wenn Extravaganzen dem Herkömmlichen zuwider streben.
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Es wird erzählt: Der Große Friedrich soll einmal eine Akte vorgelegt bekommen haben, in der die „Ausmusterung“ eines Geistlichen gefordert wurde. Begründung: „Er glaubt nicht an die Auferstehung am Jüngsten Tag“. Der König erledigte den Fall mit einer seiner berühmten Marginalien: „Ist Seyne Sache! Wenn er nicht auferstehen will, so soll er doch Meynetwegen am Jüngsten Tag liegen bleyben!“
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Auch sonst soll die Trägheit gegen den Eifer stehen – und umgekehrt. Die eigene Erfahrung mit Widerstand und Ungemach wird zum Maß aller Wertschätzungen. Selbst der Glaube wird an solcher Erfahrung gemessen. Die besten Bonbons stammen aus Kindermund.
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Der Lehrer soll gefragt haben: Warum sagte Jesus zu Maria Magdalena: „Rühr mich nicht an“? Die kleine Frieda, die am Morgen so schwer zu wecken ist, meinte: „Weil Jesus eben erst auferstanden war“.
Warum Jesus zuerst den Frauen erschienen war, wollte ein Katechet wissen. „Er wollte, es soll sich sehr schnell herumsprechen“, lautete die Antwort des Schülers.
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Wenn der Apostel Paulus an die Kolosser schreibt: „Eure Rede sei allzeit lieblich und mit Salz gewürzt“, sollte er damit nicht auch diese heilige Heiterkeit gemeint haben? Deren lieblichste Blüten selbst in den Reden Jesu ihren Duft und Farbenzauber bis auf uns Heutige verströmen? Es klingt, als wäre Jesus in Schilda vorbei gekommen, wenn er uns vorhält: „Ihr sollt euer Licht nicht unter den Scheffel stellen!“.
Für unsere Breiten gilt eins seiner berühmtesten Worte: „Du siehst den Splitter in deines Nächsten Auge, - aber des BALKANS in deinem eigenen Auge wirst du nicht gewahr“. Der Humor ist kein Rammbock, auch kein Quergeist. Für ihn gilt nicht Auge um Auge, Zahn um Zahn. Er ist eher ein Um-die-Ecke-Denker. Er zeigt Möglichkeiten des Fortkommens, des Auskommens an, die bisher niemand erwogen hat. „So jemand dich nötigt, eine Meile mit ihm zu gehen, so gehe zwo.“ Wie viel des Humors bedarf es, auf eine erhaltene Ohrfeige, die andere Wange auch darzureichen!
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Mit diesem Flugblatt wollte ich in Erinnerung rufen, dass neben dem Singen und Beten auch das Lachen gemeinschaftsbildend wirken kann. Ich kann mir die Gemeinde Jesu Christi ohne Singen und Beten nicht vorstellen, viel weniger ohne das versöhnende, befreiende Osterlachen.
Gewiss, der Wert eines Menschen richtet sich nach dem, was er gelitten hat. Sein Wert steigt jedoch, sobald er bereit ist, mit seinem Leiden zu spielen. Im Spielen üben wir ja den Ernstfall – und wer fleißig übt, vermag später den Ernstfall zu über-spielen. Die Alten sagten, der Teufel sei ein Geist der Schwere, der Humor hingegen sei der Spielmacher des Lebens. Er wird dem Glauben gern an die Seite gestellt; denn der Glaube und der Humor, beide befinden sich bereits – jenseits der Katastrophe. Und die allgemeine Katastrophe ist der Tod.
Die Heiligen der ungeteilten Christenheit haben auf irgendeine Weise dem Spielmacher des Lebens gehuldigt: von Thomas von Aquino über Luther und Abraham á Santa Clara bis zu den heutigen Kirchenlenkern und Bekennern.
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Es wird erzählt: Während des Zweiten Weltkriegs sickerte es durch, dass der Schweiz möglicherweise ein Überfall durch das Dritte Reich bevorstünde. Man hinterbrachte dem Schweizer Theologen Karl Barth diese betrübliche Nachricht. Er war 1934 aus Deutschland nach Basel herüber gekommen, um, wie er selbst sagte, seinem Heimatland beizustehen. Als man ihn fragte, was nun zu tun sei, antwortete er: „Vor kurzem haben wir 650 Jahre seit dem Rütlischwur gefeiert. Über weitere 650 wird man uns feiern“. Diese Stellungsnahme löste ein befreiendes Lachen aus. Karl Barth befand sich schon jenseits der Katastrophe.
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Ähnliche Töne schlägt Luther in seinen Osterpredigten an. Und weil wir uns mit unserm Osterlachen gerne an die Seite des Siegers schlechthin stellen wollen, schnell noch einen Abschnitt aus einer Osterpredigt des großen Kirchenmannes. Ich meine, das Herz könnte einem so richtig lachen, wenn man hinhört wie Luther den Sieg Christi über Sünde Tod und Teufel mitfeiert.
„Christus (...) hat dem Teufel den Bauch zerrissen und sitzt zur Rechten Gottes. Deshalb gilt uns alles Unglück. Der Teufel meint ihn, wenn er uns verbrennt, ersäuft und alles Herzeleid über uns häuft... Doch wir sprechen: ‚Noch nicht, Teufel! deinetwegen gebe ich diesen Namen und die Taufe nicht preis. Wenn du auf dein Morden trotzest, so trotzen wir auf Christus, der lebt’. ‚Aber ich werde dich töten!’ – ‚Tu’s bald! Wenn du mich unter die Erde bringst, will ich dir wieder durch die Rüben rumpeln, dass du lieber sollst einen großen Wald gefressen haben’.“
Zum Abschluss:
Das Lachen vollführt auch eine befriedende Wirkung. Nicht nur für die Spaßgesellschaft. Man sollte der heutigen Spaßgesellschaft den Spaß nicht verderben; denn es gibt genügend Freudfresser, Spielverderber, Quängler, Störenfriede, Bilderstürmer, Unkenrufer, Querdenker. Das Lachen bildet in Krisenzeiten die Kris-talisationspunkte für Neuanfang, Anlauf zur Höhe hin, für Entgiftung. Der Friede als solcher ist nirgends in der Welt zu finden. Er muss in die Welt erst hinein-gestiftet werden: Selig sind die Friedensstifter; denn sie werden Gottes Kinder heißen. – Selbst in Zeiten der Spaßgesellschaft, die so tut, als wäre die Welt eine LAchterbahn, bedarf es der Friedensstifter.
Das Lachen ist nur dem Menschen eigen – und wir können nur über den Menschen lachen. Wir lachen über die Tiere, soweit sie sich menschlich gebaren. Wir lachen über die Dinge, soweit sie den Menschen zieren oder verunzieren.
Demnach: Schmückt das Fest mit Maien(Birken) bis an die Hörner des Altars:
Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden!
Und: Wer auf Seiten des Siegers steht, hat gut lachen!
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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