Schreiben in der Pandemie (I)
01.07.21
Acht Kronstädter Autoren wurden zum Thema Leben und Schreiben in Corona-Zeiten befragt
Im Rahmen des Masterstudiengangs Interkulturelle Studien zur deutschen Sprache und Literatur an der Philologischen Fakultät der Transilvania-Uni wurde ein kulturjournalistisches Mini-Projekt abgewickelt, in dem acht Kronstädter Autoren zu ihren Corona-Erfahrungen befragt wurden. Die Idee wurde von dem im März stattgefundenen MISS YOU Berliner Ausstellungsprojekt angeregt, in dem Künstler und Künstlerinnen ihre Werke inmitten der Stadt durch Plakate zu den Menschen brachten, weil sie so auf die Bedeutung von Kultur, sozialen Kontakten und persönlichen Gesprächen aufmerksam machen wollten. Wir vermissen euch! - war die Botschaft an das Publikum, an die Leser und Leserinnen. Unser studentisches Projekt will ebenfalls auf das lokale Künstler- bzw. Dichterleben in den hoffentlich nun vergangenen Zeiten der Covid-19 Pandemie aufmerksam machen. Das Auswahlkriterium für die geführten Gespräche war der Bezug der Autoren zur Kronstädter Philologie: Die gewählten Dichter haben alle eine mehr oder weniger feste Anbindung an die Kronstädter Philologischen Fakultät: Einige der Dichter sind Dozenten an dieser Fakultät, andere sind ihre Abgänger; und die Mehrheit von ihnen hat in dem nun traditionell gewordenen Dactar Nicu's Skyzoid Poets -Poesieklub im Café Tipografia gelesen, eine Veranstaltung, die sich zwar als autonom versteht, aber doch einen eindeutigen Bezug zum kulturellen Leben der Kronstädter Philologie-Studenten und -Dozenten aufweist. Und weil der Schwerpunkt der Lehrveranstaltung zu Kulturjournalismus auf Multi- und Interkulturalität liegt, wurden Autoren gewählt, die in rumänischer und/oder deutscher Sprache schreiben. Darüber hinaus wollten wir sowohl Vertreter jüngerer sowie älterer Generationen zu Wort kommen lassen. Die Interviews bieten de facto einen Querschnitt des Dichterlebens während der Pandemie und zeigen zugleich auf, ob und wie sich die Kunst bzw. die Literatur verändert hat bzw. wie Autoren über die Runden gekommen sind. Die Interviews wurden von den MasterandInnen Codru]a Co{man, Alina Mitrea, Erika Peterfy und Kelemen Zsolt unter der Leitung von Dozentin Delia Cotârlea geführt.
Die Kronstädter Autoren, die interviewt wurden, sind Carmen Elisabeth Puchianu, Romulus Bucur, Robert Elekes, Bogdan Cosa, Andrei Dosa, Mihail Vakulovski, Vlad Dragoi und Elise Wilk.
Delia Cotârlea
Carmen Puchianu: Kultur und Kunst müssen sich an die Virtualität anpassen
Das Interview führte Erika Perterfy, Masterandin im I. Jahr des Masterates Interkulturelle Studien zur deutschen Sprache und Literatur der Kronstädter Philologischen Fakultät, Transilvania Universität
1. Wie haben Sie dieses letzte Jahr erfahren? Was haben Sie am meistens vermisst? Was haben Sie Neues versucht?
Das letzte Jahr hat mir gezeigt, dass das Leben in der globalisierten Welt nicht wirklich planbar und voraussehbar ist, dass man Mechanismen unterworfen ist, die sich dem Individuum entziehen, dass man einem anderen objektiven Willen gehorchen muss, wenn man weitermachen möchte. Ich vermisse am meisten den direkten Kontakt mit anderen Leuten, den Austausch mit meinen Studentinnen und Studenten, mit den Kolleginnen und Kollegen aber vor allem mit meinen Freundinnen, von denen einige in Deutschland leben und die ich immer noch nicht besuchen kann...Die Virtualität bietet einem allerdings große Vorzüge und ich bin überrascht darüber, dass ich mich so gut in der virtuellen Welt zurechtfinde. Sie bietet mir einen Ersatz für den direkten Kontakt mit Menschen, es hilft die Leute auf dem Bildschirm zu sehen und zu hören. Ich habe auch etwas mehr Zeit gewonnen für meine persönlichen Beschäftigungen vor allem als Schriftstellerin. Und ich gehe jeden Tag spazieren, ich lese wieder mehr zum Vergnügen.
2. Wie haben Sie Ihr Schreiben weitergeführt? Für mache war die Korona-Zeit eine Inspirationsquelle für das Schreiben. Was das bei Ihnen auch der Fall?
Na ja, am Anfang konnte ich gar nichts schreiben, schon gar nicht über Corona. Ich habe aber Zeit gewonnen und allmählich habe ich auch schreiben können. Ich habe eine längere Erzählung geschrieben im vergangenen Jahr und jetzt arbeite ich an einer neuen Erzählung, diese hat direkt mit Corona zu tun, sie erzählt über eine meiner Freundinnen, die an Corona gestorben ist. Ich habe mehr gezeichnet im letzten Jahr als geschrieben.
3.Wie war der Kontakt mit dem Publikum in dieser Zeit? Finden Sie, dass die Online-Lesungen und Veranstaltungen den direkten Kontakt ersetzen können?
Ich habe mich an einer einzigen Online-Lesung beteiligt und zwar an den Tagen Deutscher Literatur aus Reschitza (September 2020). Ich hatte zuhause eine Aufzeichnung gemacht, ziemlich theatralisch habe ich mich da inszeniert beim Lesen. Es war ganz amüsant, über Skype und Youtube dabei zu sein, aber gerade bei einer Lesung brauche ich den direkten Kontakt zum Publikum, das hat mir sehr gefehlt.
4. Ein Tag aus Ihrem Corona-Lockdown:
Es hat sich für mich eine angenehme Routine eingestellt, ohne allzu großen Terminzwang und Zeitnot: ich beginne den Tag mit dem Frühstück in der Gegenwart meiner beiden Katzen, Luna und Tiger, dann arbeite ich meist bis Mittag am Laptop entweder für den Unterricht oder andere berufliche Angelegenheiten, ich gehe mindestens eine Stunde oder mehr in den nahen Wald spazieren (entweder gleich nach dem Frühstück, wenn ich an dem Tag keinen Unterricht habe, oder am Nachmittag zw. 14 und 16 Uhr), ab 16 Uhr arbeite ich wieder (Vorlesungen oder ich schreibe), spielen mit den Katzen gehört noch ins Programm, lesen und Musik hören, gelegentlich zeichnen und abends dann fernsehen...
5. Wie sollten Kultur und Kunst aus Ihrer Sicht langfristig auf die Krise reagieren?
Kultur und Kunst müssen weitergehen, sie müssen sich an die Virtualität anpassen, neue Techniken und Strategien entwickeln, die auch in der Virtualität funktionieren. Ob das langfristig klappt, weiß ich nicht, eher nicht, denn Kultur und Kunst sind durch und durch performativ und benötigen ein reales, aktives, reaktionsfähiges Publikum, sie benötigen das Hier und Jetzt des Lebens, daher müssen wir als Kulturmenschen und Künstler darauf hoffen, dass wir uns in Zukunft auf ein Leben mit dem Virus einstellen können, uns darin arrangieren und halbwegs normal weitermachen…
Vlad Dragoi: „Die Dinge kommen zurück, es ist fast wie zuvor”
Das Interview führte Zsolt Kelemen, Masterand im I. Jahr Interkulturelle Studien zur deutschen Sprache und Literatur der Kronstädter Philologischen Fakultät, Transilvania Universität
Wie haben Sie dieses letzte Jahr erfahren? Was haben Sie am meistens vermisst? Was haben Sie Neues versucht?
Gerade als der Lockdown begann, bekam ich Fieber und eine Grippe, und ich dachte, ich hätte Covid-19. Der Hausarzt sagte, ich hätte Eiter im Hals. Es hat einen Monat gedauert, 5 Tage starkes Fieber und den Rest mit einem fiesen Quietschen in der Brust. In diesem verlorenen April habe ich die Waldspaziergänge am meisten vermisst. Etwas Neues: Mittendrin hielt ich einen Online-Workshop über Comics, eine Gattung, die mir in den letzten Jahren immer mehr ans Herz gewachsen ist.
Wie haben Sie Ihr Schreiben weitergeführt? Für mache war die Corona-Zeit eine Inspirationsquelle für das Schreiben. Was das bei Ihnen auch der Fall?
Ebenfalls im April habe ich wieder angefangen, Kurzgedichte zu schreiben, aus denen im Oktober das Buch Aer pasari bere wurde, mit dem ich sehr zufrieden bin. Und ich nahm die Übersetzung des Bandes Failure von Philip Schultz wieder auf, das im Februar erschienen ist. 2021. Beides im OMG Verlag.
Wie war der Kontakt mit dem Publikum in dieser Zeit? Finden Sie, dass die Online-Lesungen und Veranstaltungen den direkten Kontakt ersetzen können?
Im April und Mai 2020 postete ich auf Instagram (im Dezember hatte ich noch Facebook aus) Gedichte von Aer pasari bere und einige der Übersetzungen von Schultz. Meine Gedichte kamen gut an, das hat mir gefallen. Ich ziehe es jedoch vor, Gedichte live vorzutragen, in der Öffentlichkeit. Ansonsten funktioniert es online, ich weiß es nicht. Zoom hilft dir auch, Technik hilft dir. Aber ich bevorzuge Live, die Atmosphäre ist anders. Ansonsten machst du deine Effekte mit Pausen, mit einem Handschlag, mit einem gewissen Blick auf jemanden. Wenn ich mir eine Zoom-Rezitation ansehe, mache ich etwas anderes, ich lege mich hin, ich esse, ich plaudere. Etwas fehlt.
Ein Tag aus Ihrem Corona-Lockdown:
In diesem Monat der Krankheit spielte ich fast täglich auf PS4 mit einem Ungarn, der nach Zypern gezogen war. Wir spielten The Division und es hielt 80 Stunden an, bis wir nichts anderes mehr zu tun hatten, als die Dark Zone zu betreten, wo wir sofort starben, weil wir gegen andere viel bessere Leute spielten. Ich mochte diese Interaktion, ich vermisse ihn. Nachdem ich eine Mission beendet hatte, sagte er, warte, bis ich den Fisch zurückgebe, weil ich ihn gebraten habe. Zur gleichen Zeit sprach er online mit einer Türkin, er flirtete mit ihr in einem ok, aber nicht tadellosen Englisch (er sprach mit mir auf Rumänisch), er verstand aus verschiedenen Gründen nicht und musste den Flirt wiederholen, sodass die Botschaft ruiniert wurde. Er erzählte mir, wie es in Zypern war, im Mai war es schon heiß. Nach der Krankheit arbeitete ich hart, um Schultz zu übersetzen, ich verbrachte damit 8 Stunden am Tag.
Wie sollten Kultur und Kunst aus Ihrer Sicht langfristig auf die Krise reagieren?
Es war wie ein Schluckauf, aber die Dinge kommen zurück, es ist fast wie zuvor. Buchhandlungen geht es gut, sie stellen Leute an, Leute kaufen, gehen ohne Angst wieder hinein, haben Geduld, fragen nach deiner Meinung, bleiben für einen Witz, für ein warmes Wort, freuen sie sich und kommen wieder. Die Verlage veröffentlichen seit Kurzem viele Bücher, insbesondere von rumänischen Autoren, und geben viele Bücher neu heraus, zum Beispiel der Verlag Casa de pariuri literare. Auch die öffentlichen Lesungen kehren zurück, es ist heiß draußen, die Terrassen sind voll, die Mikrofone klingen laut. Es wird gut.
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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