Siebenbürgisch-sächsische Studenten gegen Einreihung in die Waffen-SS
15.04.10
Ein dokumentarischer Beitrag mitgeteilt und kommentiert von Michael Kroner (II)
Gusbeth berichtete folgendes:
Die sächsischen Studenten, die 1943 in Wien studierten, wurden vom Studentenführer, der aus Berlin nach Wien gesandt worden war, zu einem dringenden Gespräch einberufen. In dieser Versammlung wurden die Studenten aufgefordert, sich freiwillig zur Waffen-SS zu melden, denn widrigenfalls würde ihr Studium abgebrochen. Gleichzeitig wurden ihnen zum Eintritt in die Waffen-SS vorgefertigte Formulare zu Unterschrift vorgelegt.
Dieses Vorhaben rief eine starke Empörung unter den Studenten hervor, die öfter durch Pfui-Rufe und Pfeifen bekräftigt wurde. Die Pflicht zur Einreihung in die Waffen-SS wurde einstimmig abgelehnt.
Daraufhin präsentierte der Studentenführer ein Schreiben des Volksgruppenführers der Deutschen in Rumänien Andreas Schmidt, aus dem hervorging, dass die Aufforderung direkt von ihm ausging. Die Studenten weigerten sich, diese zur Kenntnis zu nehmen.
Der Berichterstatter Gusbeth, der sich gerade in Wien befand, hatte danach mit seinem Sohn und anderen dortigen Studenten, unter anderen mit Homner, Wallitsch, Paul, Hensel, Olesch, Haupt Walter usw., ein eingehendes Gespräch, bei dem alle ihren ablehnenden Standpunkt damit begründeten, dass sie sich eines rumänischen Aufschubs vom Militärdienst zwecks Studiums erfreuten, und dass sie bloß gegenüber dem rumänischen Staat militärverpflichtet seien. Herr Gusbeth wurde von den Studenten gebeten, zu Hause den Eltern diese Aktion sowie ihren Standpunkt zur Kenntnis zu bringen und ihnen raschestens die Haltung der Eltern mitzuteilen.
Nach dem Bericht von Herrn Gusbeth folgte eine erregte Diskussion, an der sich unter anderen Albert Schuller, Gerhard Morres, Ludwig Schmidt, Peter Depner und Friedrich Wallitsch beteiligten. Letzterer führte unter anderem aus, sein Sohn habe nach dem Dienst von drei Jahren beim Artillerie-Regiment Nr. 41 von Kronstadt einen Aufschub fürs Studium erhalten. Beim Ausbruch des Krieges habe er sein Studium unterbrochen, sei nach Hause gekommen, habe sich bei seinem Truppenkorps zum Militärdienst gestellt, um seine Soldatenpflicht in seinem Vaterland zu erfüllen.
Diese Haltung wurde als richtig betrachtet und den anderen Studenten empfohlen.
Das Ergebnis der allgemeinen Beratung ergab Ablehnung des Militärdienstes in der Waffen-SS. Danach wurde eine Abstimmung durchgeführt, deren Ergebnis eine einstimmige Ablehnung des Dienstes in der SS war.
Es wurde eine Delegation bestehend aus 6 Personen bestimmt, die beauftragt wurde, diese Stellungnahme der Volksgruppenführung mitzuteilen und gleichzeitig zu fordern, diese Rekrutierungsaktion für die SS im Deutschen Reich unter sächsischen Studenten sofort einzustellen.
Die Abordnung wurde mit dieser Intervention beim Volksgruppenführer bereits für den nächsten Tag beauftragt.
Zur Kenntnisnahme des Ergebnisses der Intervention der sechs Personen beim Volksgruppenführer wurde für den 23. März 1943, 8 Uhr abends, im Restaurant in der Langgasse Nr. 4, eine neue Zusammenkunft festgelegt. Die Versammlung endete 11 Uhr.
Für die Richtigkeit des Protokolls zeichnen: Mauritius Gusbeth, Fritz Wallitsch, Karl Paul, Vorsitzender der Versammlung.
Soweit der Text des ersten Protokolls.
Inhalt des zweiten Protokolls über die Elternversammlung vom 23. März 1943 in Kronstadt, im Restaurant in der Langgasse Nr. 4, zur Kenntnisnahme des Berichts der Abordnung der sechs Personen.
Die Abordnung berichtete: Die Intervention beim Volksgruppenführer fand am Tag nach der Versammlung vom 18. März, also am 19. März 1943, statt.
Da der Volksgruppenführer Andreas Schmidt abwesend war, wurde die Abordnung vom Leiter der Rechtsabteilung, dem NS-Parteimitglied Otto Liess, empfangen. Es wurde von ihm genaue Aufklärung gefordert, betreffend die Aktion des Volksgruppenführers Andreas Schmidt hinsichtlich der sächsischen Studenten in Deutschland, die aufgerufen worden seien, in die Waffen-SS einzutreten. Gleichzeitig wurde dem genannten Parteimitglied Otto Liess, der Beschluss der Eltern auf der Versammlung vom 18. März 1943 mitgeteilt.
Daraufhin entwickelte sich darüber eine lebhafte Diskussion, in deren Verlauf Herr Otto Liess zum Teil ausweichende Antworten gab. Schließlich machte er die Bemerkung, dass bald seitens des rumänischen Staates eine rechtliche Form für das Vorgehen des Volksgruppenführers gegeben werde. Mit dieser Erklärung gab sich die Abordnung nicht zufrieden und behielt sich jede Art von weiteren Aktionen vor.
Diesen Bericht stellte die Abordnung der sechs Personen der Elternversammlung zur Diskussion. Nach der allgemeinen Aussprache wurde beschlossen, den Söhnen auf schnellst möglichem Weg ihren einstimmigen Beschluss mitzuteilen, sie sollten sich unter keinen Umständen für den Dienst in der Waffen-SS verpflichten, sondern ihr Studium fortsetzen, aber ohne Verzögerung und in jedem Fall bei einer Einberufung zum Militärdienst im Lande (Rumänien) dieser Folge leisten.
Die Versammlung wurde 10,30 Uhr abends abgeschlossen.
Für die Echtheit des Protokolls zeichneten Mauritius Gusbeth, Andreas Homner und Karl Paul, Vorsitzender der Versammlung.
Vor dem Notar wurden die beiden Protokolle durch folgenden Zusatz ergänzt: „Wir unterfertigten sind bereit, wann immer und vor jeder Autorität unsere obige Deklaration zu bekräftigen“. Ferner wurde bestimmt, dass von diesem authentisch angefertigten Akt authentische Abschriften in unbegrenzter Zahl angefertigt werden könnten. Entsprechend dieser Erklärung wurde von den beiden authentischen Akten eine Ratifikationsurkunde angefertigt, im Archiv des Notars hinterlegt, nachdem dieser sie den anwesenden Eltern vorgelesen und auch in deutscher Sprache Wort für Wort erklärt hatte, kraft der Vollmacht, die ihm vom Justizministerium unter der Nr. 45168/1933 erteilt wurde. Die Eltern erklärten, dass die Urkunde mit ihrer Einwilligung und nach ihrem Willen angefertigt wurde. Sie genehmigten und unterschrieben sie eigenhändig vor dem Notar, der als Verfasser und Aufbewahrer des Schriftstückes dieses ebenfalls unterschrieb und mit seinem offiziellen Siegel versah. Die Stempelgebühren wurden auf dem Exemplar, das im Archiv verblieb, aufgedrückt.
Kronstadt , am 3. Oktober 1945.
Nochmals Unterschrift von Andreas Homner, Karl Paul, Fritz Wallitsch und Mauritius Gusbeth.
Die hier mitgeteilten Dokumente beziehen sich auf die vom Volksgruppenführer der Deutschen in Rumänien Andreas Schmidt initiierte Werbeaktionen seitens der Waffen-SS unter siebenbürgisch-sächsischen Studenten, die in Deutschland studierten. Die Einreihung in die deutsche Armee war seitens des rumänischen Staates verboten, und die Überläufer galten als Deserteure und wurden als solche verfolgt. Nichtsdestotrotz sind schon 1938/39 deutsche Studenten aus Rumänien der Waffen-SS beigetreten. Einige Jugendliche haben zur Verheimlichung der Anwerbungen eine Berufsausbildung oder ein Studium in Deutschland angegeben. Am bekanntesten ist die so genannte „1000-Mann Aktion“ von 1940, deren Durchführung in SS-Kreisen als „Bravourstück“ von Andreas Schmidt galt.
Eine ähnliche Werbeaktion wie die weiter oben unter Studenten geschilderte, hatte sich bereits 1939 zugetragen. Im September dieses Jahres befanden sich mehrere Reisegruppen der „Deutschen Jugend“-Organisation Rumäniens in Deutschland, darunter etwa 60 bis 80 Jungen im Alter von 16 bis 18 Jahren, geführt vom Jugendführer Willi Depner.
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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