Verantwortungsbewusst und traditionsverbunden
20.10.23
150 Jahre seit der Geburt von Dr. Wilhelm Depner, namhaftem Arzt und politischem Repräsentanten der Burzenländer Sachsen/ Von Wolfgang Wittstock
Dr. Wilhelm Depner, der vor 150 Jahren am 24. Oktober 1873 geboren wurde, war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der bekanntesten und am meisten geschätzten Ärzte Kronstadts, ein Pionier der Behandlung von Krebs mittels Radium in Rumänien und zugleich auch ein an exponierter Stelle wirkender politischer Repräsentant der Burzenländer Sachsen. In den Jahren 1919-1935 und 1936-1939 übte er das verantwortungsvolle Amt eines Obmanns des Burzenländer sächsischen Kreisausschusses aus (die sächsischen Kreisausschüsse waren entsprechend den Wahlkreisen Untergliederungen der damaligen politischen Organisation der Siebenbürger Sachsen, des Deutsch-sächsischen Volksrates für Siebenbürgen). Aber auch in der für die Rumäniendeutschen äußerst schwierigen Zeit nach Rumäniens Frontwechsel vom 23. August 1944 setzte Dr. Wilhelm Depner sein hohes Ansehen und seinen guten Ruf – er war bekannterweise kein Sympathisant der nationalsozialistisch orientierten Deutschen Volksgruppe in Rumänien gewesen – im Rahmen eingeschränkter Möglichkeiten zugunsten seiner von den Behörden drangsalierten sächsischen Mitbürger ein. Belegt ist, dass er in den Jahren 1945 und 1946 in seiner Eigenschaft als ehemaliger Kreisausschuss-Obmann und bekannter Nazi-Gegner („fostul Președinte al Organizației Sașilor Bătrâni și Fruntașul Sașilor Antihitleriști”) auf den Namen von Landsleuten Bestätigungen in rumänischer Sprache ausstellte, aus denen hervorging, dass diese sich in der Volksgruppenzeit politisch nicht exponiert hatten. Diese Bestätigungen wurden dann in der Regel vom öffentlichen Notar Dr. Hermann Fraetschkes beglaubigt und dienten den Personen, auf deren Namen sie ausgestellt waren, um von den Ämtern und Behörden nicht als ehemalige Nazis eingestuft und behandelt zu werden.
Um anlässlich seines 150. Geburtstages an Dr. Wilhelm Depner, an sein beispielhaftes Wirken als Arzt und politischen Repräsentanten der Burzenländer Sachsen zu erinnern, veröffentlichen wir im Folgenden einen Text, der seine Entstehung einem privaten Anlass verdankt. Im August 2008 fand in der Burzenländer Gemeinde Wolkendorf ein dreitägiges Familientreffen statt, zu dem sämtliche Nachkommen von Dr. Wilhelm Depner und seiner Gattin, der Malerin und Bildhauerin Margarete Depner (1885-1970), eingeladen waren. Daran beteiligten sich mehr als 30 Personen. Das Programm umfasste u.a. Vorträge, musikalische Darbietungen, die Vorführung von Filmen aus dem Familienarchiv, einen gemeinsamen Ausflug und Gesellschaftsspiele (z.B. Krocket). In diesem familiären Rahmen hielt Wolfgang Wittstock, ein Enkelsohn von Dr. Wilhelm Depner, einen Vortrag über seinen Großvater, der nachfolgend veröffentlicht wird.
Als unser Großvater bzw. Urgroßvater bzw. Ururgroßvater Dr. Wilhelm Depner am 30. Dezember 1950 im Alter von 77 Jahren das Zeitliche segnete, war ich noch keine drei Jahre alt. Aus diesem Grund habe ich verständlicherweise nur sehr verschwommene Erinnerungen an den Depner-Großvater. Eigentlich sind es bloß zwei Situationen meiner frühen Kindheit, die ich mit ihm in Verbindung bringe.
Die eine: Ich spiele im sogenannten „Kinderzimmer“ der Mansarde unseres Postwiesenhauses bei offener Tür. Da hört man, wie jemand die Treppen heraufkommt, und hinter dem matten, undurchsichtigen Glas der Eingangstür zeichnet sich der Schatten einer hochgewachsenen Person ab. Ich weiß, es ist der Großvater, der uns einmal wöchentlich auf der Postwiese einen Besuch abstattete und uns dabei jedes Mal aus einer kleinen Blechdose, die er bei sich trug, ein Bonbon gab. Man sieht, diese Erinnerung beruht offensichtlich auf einem Pawlowschen bedingten Reflex.
Die zweite: Ich sitze in einer von Pferden gezogenen Kutsche oder sogar auf dem Kutschbock und fahre über Land, vermutlich nach Heldsdorf, vermutlich im Beisein des Depner-Großvaters. In Heldsdorf wurde Wilhelm Depner am 24. Oktober 1873 als drittes Kind von vier Geschwistern des Landmannes Georg Depner und seiner Frau Marie geb. Tontsch geboren. Um den drei Söhnen Andreas, Robert und Wilhelm – die Tochter Marie Martha kam erst 14 Jahre nach Wilhelm im Jahr 1887 zur Welt – „die bessere Erziehung der Stadtschulen angedeihen zu lassen“ (Maja Philippi), übersiedelten die Eltern nach Kronstadt, wo Georg Depner das Wirtshaus Nr. 4 in der Langgasse erworben hatte, das er bis an sein Lebensende führte.
Obwohl Wilhelm Depner als achtjähriges Kind nach Kronstadt kam, blieb er Zeit seines Lebens Heldsdorf verbunden. Eine neuerliche Bestätigung dieses Tatbestands bekam ich unlängst in einem Brief unseres Heldsdörfer Vetters zweiten Grades Hans Zell, der heute mit Familie in Deutschland (Butzbach) lebt. Ich zitiere aus diesem Brief vom 6. Februar 2007: „Euren Großvater habe ich noch gut gekannt. Öfters habe ich ihn nach 1944 per Einspänner (als es anders nicht möglich war) von Kronstadt nach Heldsdorf kutschiert. Ich war damals 12 Jahre alt, aber der Weg von Heldsdorf nach Kronstadt in die Hirschergasse war für mich kein Problem. Euer Großvater kannte und schätzte die Küche meiner Mutter und verstand sich bestens mit meinem Vater. Er besuchte Freunde in Heldsdorf und spielte eine Partie Karten. Abends brachte ich ihn wieder nach Kronstadt. Er ist immer Heldsdörfer geblieben.“
Wilhelm Depner besuchte in Kronstadt die Volksschule und dann das Honterusgymnasium. Er war Präfekt des traditionsreichen Coetus Honteri, d.h. ranghöchster Vertreter dieser sich selbst verwaltenden Schülerorganisation. Nach Absolvierung des Gymnasiums studierte Wilhelm Depner Medizin in Innsbruck und dann in Wien, wo er 1899 das Doktordiplom erwarb. Es folgten Jahre der weiteren beruflichen Ausbildung am Komitatsspital in Schäßburg bei Dr. Julius Oberth, dem Vater des Raketenpioniers Hermann Oberth, als Assistent des berühmten Chirurgen Prof. Anton von Eiselsberg in Königsberg (1901) und an der „Poliklinik für Orthopädische Chirurgie“ in Berlin (1901, 1902).
„Nie wurde Gewicht auf Financielles gelegt“
Im Jahr 1902 ließ sich Wilhelm Depner als praktischer Arzt in Kronstadt nieder. 1907 heiratete er Margarete Scherg, eine Tochter des Tuchfabrikanten Wilhelm Scherg (man kann sagen: das war eine ziemlich gute Partie). Der Ehe entsprossen drei Kinder: Thea (geb. 1911), Maja (geb. 1914) und Wilhelm („Willi“, geb. 1919).
Im April 1911 kauften Wilhelm und Margarete Depner das Haus Ecke Hirschergasse/Unteres Gabelgässchen, in dem ab dem Jahr 1912 das Depnersche Sanatorium als Privatklinik für Chirurgie, Gynäkologie und Orthopädie funktionierte, deren guter Ruf sich weit über Kronstadt und das Burzenland hinaus erstrecken sollte. Dr. Wilhelm Depner war, wie der Arzt und Medizinhistoriker Dr. Eduard Gusbeth im Jahr 1914 vermerkt, damals der am zweithöchsten besteuerte Arzt in Kronstadt.
Unser Großvater/Urgroßvater/Ururgroßvater Dr. Wilhelm Depner wird auch heute noch, bald 60 Jahre nach seinem Tod, als bedeutender Arzt und Volksmann, d.h. als politischer Repräsentant der Burzenländer Sachsen und damit der Siebenbürger Sachsen insgesamt, gewertet.
Das Wirken Dr. Wilhelm Depners als Arzt hat in die rumänische Medizingeschichte Eingang gefunden. Er war stets um seine fachliche Fortbildung bemüht und hat darum regelmäßig an Fachkongressen im Ausland teilgenommen. Außerdem war er in den 1920er Jahren maßgeblich an der Organisation mehrerer medizinischer Hochschulkurse in Siebenbürgen beteiligt, zu denen berühmte Professoren aus Deutschland und Österreich (z.B. der Chirurg Ferdinand Sauerbruch) eingeladen wurden.
Dr. Wilhelm Depner gilt als einer der Pioniere der Behandlung von Krebskrankheiten mit Radium- und mit Röntgenstrahlen in Rumänien. Im Jahr 1926 bestellte er bei der „Allgemeinen Radiogen A.G.“ in Berlin ein Silberröhrchen mit 20 mg und zwanzig Goldröhrchen mit je 2 mg Radium. Die Präparate wurden nach Paris geschickt, um mit dem dort befindlichen Radiumstandard verglichen zu werden. Dabei zeigte sich, dass die Präparate etwas größer waren als die Bestellung (insgesamt 61 mg). Das Radium wurde im Jahr 1927 mit fünf Zeugnissen geliefert, die von Marie Curie eigenhändig unterschrieben waren. Das angekaufte Radium hatte damals etwa so viel gekostet wie der zweistöckige Trakt, durch den das Depner-Sanatorium drei Jahre vorher erweitert worden war.
Gerühmt wurde von den Zeitgenossen aber nicht nur Dr. Wilhelm Depners fachliches Können als Arzt, sondern auch sein menschenfreundlicher Charakter. Es gibt z.B. ein eindrucksvolles Dokument, ein offizielles Dankschreiben des Oberrabbiners der autonomen Orthodoxen Israelitischen Kultusgemeinde Kronstadts, David Sperber, vom 5. Oktober 1944 an Dr. Wilhelm Depner, in dem es, Bezug nehmend auf die Jahre der Judenverfolgung während des Zweiten Weltkrieges, heißt: „Tag und Nacht konnten wir Juden uns an Sie wenden. Nie wurde Gewicht auf Financielles (so!) gelegt. Wie man Ihnen bei Lebensbedrohungen verbot[,] Juden zu behandeln, so operierten [Sie] bei Nacht.“
Im Jahr 1948 wurde das Depnersche Sanatorium zunächst requiriert und bald darauf nationalisiert. Trotzdem stand Dr. Depner, nun schon im Alter von 75 Jahren, weiterhin freiwillig und unentgeltlich den Patienten seines einstigen Sanatoriums zur Verfügung.
Auf der gleichen Wellenlänge wie Senator Dr. Hans Otto Roth
Bald nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, im Juli 1919, war Dr. Wilhelm Depner zum Obmann des Burzenländer sächsischen Kreisausschusses gewählt worden. Diese ehrenamtliche Funktion hat unser Großvater nahezu 20 Jahre, mit einer etwa eineinvierteljährigen Unterbrechung von Juni 1935 bis Oktober 1936, bis zu seiner endgültigen Abdankung im März 1939 verantwortungsbewusst und dabei traditionsverbunden ausgeübt. Der nationalsozialistischen Erneuerungsbewegung, die auch die Siebenbürger Sachsen in den 1930er Jahren in zunehmendem Maße in ihren Bann schlug, stand Dr. Wilhelm Depner kritisch gegenüber. Politisch befand er sich auf der gleichen Wellenlänge wie der damalige Landeskirchenkurator, Senator Dr. Hans Otto Roth (siehe dessen Briefe an Dr. Wilhelm Depner, veröffentlicht in der KR vom 26. April und 3. Mai 1990).
In der unsicheren Zeit nach der politischen Wende vom 23. August 1944 sollte Dr. Wilhelm Depner als allgemein anerkannter und respektierter Sprecher der Burzenländer Sachsen wieder – soweit das unter den neuen Verhältnissen möglich war - eine maßgebliche Rolle spielen. Es gibt einen von ihm und dem Kronstädter evangelischen Stadtpfarrer Konrad Möckel lancierten Aufruf, datiert 29. August 1944, durch den alle Volks- und Glaubensgenossen aufgefordert wurden, sich dem Vaterland Rumänien gegenüber loyal zu verhalten. Bezeichnend für diese schwere Zeit ist auch ein weiteres Flugblatt, datiert 23. Dezember 1944 und unterzeichnet von Dr. Wilhelm Depner, Notar Hermann Fraetschkes, dem Heldsdörfer Landmann Hans Nicolaus, Dechant Michael Paulini, Diplom-Landwirt Dr. Wilhelm Stephani und dem Anstreicher Walther Streitferdt. Darin werden die Volksgenossen aufgefordert, von der Beherbergung von Angehörigen der deutschen Wehrmacht Abstand zu nehmen, da durch derartige gesetzwidrige Handlungen nicht nur die Existenz der betreffenden Gastgeber und ihrer Familien, sondern auch „der Bestand des Volkes [gemeint ist das sächsische Volk] aufs schwerste gefährdet werden kann“.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die beiden Töchter Dr. Wilhelm Depners, die Ärztin Thea Wittstock und die Historikerin Maja Philippi, die Persönlichkeit ihres Vaters in wichtigen Arbeiten gewürdigt haben: Maja Philippi in der maschinengeschriebenen Dokumentation, die sie anlässlich des 100. Geburtstags ihres Vaters zusammengestellt hat, und Thea Wittstock in der umfangreichen Studie „Ein Wegbereiter der Krebsbehandlung mit Radium in Rumänien. Der Chirurg Dr. Wilhelm Depner (1873-1950) und sein Sanatorium“, erschienen 1979 im Band „Naturwissenschaftliche Forschungen über Siebenbürgen I“ (Böhlau Verlag Köln Wien, Band 14 der Reihe „Siebenbürgisches Archiv“).
Hans Eder: Bildnis Dr. Wilhelm Depner (1938, Öl/Lw., 98 x 84,5 cm, Privatbesitz)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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