„Viel Arbeit, Frost, Ungeziefer“
17.03.22
Ottilie Gross über ihre dreieinhalb Jahre in der Russlanddeportation
Das 2020 im Bukarester Verlag EIKON erschienene Buch „Vertebre românesti. Marturii ale rezisten]ei anticomuniste“ von Iulian Catalui, Apollon Cristodulo und Vlad Mitric-Ciupe enthält auch ein Kapitel zum Leidensweg den die Deutschen in Rumänien nach 1945 durchmachen mussten. Der Kronstädter Schriftsteller Iulian Catalui befragte Ottilie Gross über ihre in der Sowjetunion verbrachten Deportationsjahre und konnte dadurch ein ergreifendes Zeugnis von unschuldig erlittenem Leid, Unrecht und zerstörter Jugend vorstellen, stellvertretend für die im Januar 1945 rund 75.000 verschleppten Rumäniendeutsche. Im Folgenden die wichtigsten Auszüge dieser Erinnerungen.
Der Zeitpunkt der Deportation
Ausgehoben haben uns die Russen. Als ich davon erfuhr, habe ich mich bei der Sammelstelle für die Deportierung der Kronstädter Sachsen in der Rumänischen Kirchengasse in Kronstadt gestellt, ungefähr dort, wo sich heute die Oper (ehemaliges Musiktheater) befindet. Ich wohnte damals in der Mittelgasse 34. Ich habe alles eingepackt, alle meine persönlichen Sachen, dickere Kleidung, etwas zum Essen usw.
Hingegangen und gestellt habe ich mich auch aus Solidarität zu meinen Landsleuten. Ich wusste nicht, wer und wie viele in Kronstadt ausgehoben wurden. Wieso sollte ich nicht gehen? Also, das wäre nicht korrekt gewesen.
Wir sind dann vom Kronstädter Bahnhof in Viehwaggons in Richtung Sowjetunion abgefahren.
Eine schreckliche Zugfahrt
Ich bin also mit dem Zug zu den Russen angelangt. Im Viehwaggon herrschte großes Gedränge. Wir saßen auf schmutzigen Brettern. Es war nicht sauber. Wir konnten uns nicht waschen. Es gab Käfer und Wanzen. Mit ihnen haben wir schon beim Aufsteigen Bekanntschaft gemacht. Es war schrecklich und ich war niedergeschlagen. Es war kalt im Waggon, vor allem als wir auf russisches Gebiet gelangten. Wir konnten uns nicht anders erwärmen als uns zusammenzudrängen. Bei den Russen angekommen, wurden wir nach dem Absteigen aus dem Zug, in mehrere Gruppen eingeteilt. Wir gingen einer hinter dem anderen. Alles was ich mir wünschte, war endlich ein Bett zu haben oder wenigstens an eine Stelle zu kommen, wo man vor dem Wind geschützt war. Es herrschte bitterer Frost, es war ja Winter und der „Crivat“ fegte über die russischen Steppen. Wir sind dann bei einem heruntergekommenen Gebäude, fast eine Ruine, angekommen – ohne Türen und Fenster. Drinnen war es kälter als draußen; dort konntest du nicht schlafen oder dich wenigstens ein wenig ausruhen. Nachher wurden wir an eine Stelle zusammengepfercht um uns zu waschen. Das war, nach den vielen Tagen wo wir ohne Waschmöglichkeit waren, eine gute Sache. Es folgte die ärztliche Kontrolle und dann folgte irgendwie der nächste Tag. Wir waren vor Hunger und Müdigkeit erschöpft und konnten kaum noch gehen. Es fiel uns schwer, überhaupt noch miteinander zu sprechen. Immer herrschte auch jene Angst und Ungewissheit über das was uns noch bevorsteht.
Unser tägliches Brot
Als ich aus Kronstadt fort musste, war ich gesund, fleißig, arbeitsam. Ich kam sehr gut zurecht. Was die Russen sagten und befahlen, mussten wir ausführen. Wenn es hieß, wir müssen den Boden umgraben, so haben wir gegraben und in der Landwirtschaft gearbeitet. Es war harte Arbeit, wir haben richtig geschuftet. Es war ja kein Ausflug in die Sowjetunion und wir waren nicht Touristen. Hinzu kam, dass wir ständig und überall überwacht wurden damit wir nicht fliehen. Ich glaube, solange ich dort war, hat niemand eine Flucht versucht. Es ist schwer zu sagen, wie die dreieinhalb Jahre vergangen sind, die ich bei den Russen verbringen musste. Viel Arbeit, Frost, Ungeziefer, Läuse im Haar, voller Läuse in den Kleidern und auf uns. Viele Sachsen mussten Hunger leiden. Viele sind wohl an Hunger gestorben, selbst Russen, denn auch die hatten nichts zu essen. Dreieinhalb Jahre gab es stets ein und dieselbe Brühe aus gesalzenem Kraut zu essen. Die Männer erkrankten oft. Wir Frauen konnten scheinbar sorgfältiger sein und mehr durchhalten. Wir bekamen nur ein Stück trockenes Brot, so um vier – fünf Uhr in der Früh, dann jene ärmliche Brühe und etwas Kartoffeln. Einige unserer Sachsen wurden verprügelt und sogar getötet. Ich aber bin mit dem Leben davongekommen. Irgendwie hatten wir auch in der Sowjetunion eine Stelle zum Schlafen. Ein Bett in einer Baracke mit dutzenden ja hunderten von Leuten – eigentlich eine Holzpritsche, hart und unbequem. Ich bekam Rückenschmerzen. Manchmal gab es auch Leintuch und Decke. Es gab auch ein Mindestmaß an Betreuung. Die Russen brauchten uns, damit wir viel und gut arbeiten. Es gab auch einige Ärzte. Wer krank wurde, wurde behandelt und wieder auf die Beine gestellt, weil wir ja für sie, für die Russen, arbeiten mussten... Trotzdem habe ich ihre Sprache nicht erlernt – es ist mir nicht gelungen, Russisch zu lernen.
Über die Rückkehr nach Rumänien
Zu einem gewissen Zeitpunkt sollten wir das Lager verlassen. Einige Sachsen, wie auch ich, waren erkrankt und konnten nicht mehr arbeiten. Für andere war die vorgeschrieben Frist zur Entlassung eingetroffen. Beim Weggang haben sie uns Männerhosen, kleine Stiefel, ihre Art von „Bokanken“, gegeben. So sind wir dann nach Hause gegangen. Ich bin nach Kronstadt zurückgekehrt, ich bin nicht, wie andere Sachsen, direkt nach Deutschland gegangen. Ich hatte keinen Grund nach Deutschland zu gehen. Zurückgefahren sind wir, wie auch zu Beginn der Deportation, in einem überfüllten Zug. So bin ich letztendlich in Rumänien angekommen, direkt nach Hause, nach Kronstadt. Es war im Sommer 1948, den genauen Tag weiß ich nicht. Ich kann mich auch nicht mehr an das Datum erinnern an dem die Russen beschlossen haben, dass ich nach Rumänien fahre. Ich weiß auch nicht mehr den Tag meiner Ankunft in Kronstadt. Ich bin allein heimgekehrt, wie ich 1945, mit 18 Jahren allein fortgegangen bin. Ich war unverheiratet und ganz allein. Ich weiß nicht, ob heute noch jemand von den nach Russland deportierten Kronstädter Sachsen am Leben ist. Die meisten sind gestorben oder nach Deutschland ausgewandert. Ich hatte damals, 1945, keine andere Wahl. Nachher habe ich bei der Süßwarenfabrik „Dezrobirea“ gearbeitet, wo ich auch vor der Deportation angestellt war und von wo ich auch in Rente gegangen bin. Ich habe überlebt…
(Übersetzung und Bearbeitung: Ralf Sudrigian)
Bildtext
Ottilie Gross (Foto 2017)
Foto: Iulian Catalui
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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