„… viele Schüler gingen über meine Schwelle“
22.08.25
Kronstädter Musikerinnen (XVIII): Violinlehrerin Irene Krüger (1890-1970)
Das Typoskript der 18. Folge aus der Artikelserie „Kronstädter Musikerinnen“, einer Dokumentation aus dem Jahr 1943, trägt den Titel „Irene Krüger geb. Lorenz / Violinlehrerin“. Es handelt sich um einen autobiographischen Beitrag, der mit folgenden Angaben zur Person ergänzt werden kann: Irene Leonore Amalie Lorenz heiratete im Jahr 1912 in Kronstadt den Apotheker Robert Karl Krüger (1886-1937). Sie verstarb am 28. April 1970 in Kronstadt.
Ich kam am 19. Januar 1890 in Kronstadt als 6. Kind zur Welt. Meine Eltern waren aus dem Sudetengau (1) nach Siebenbürgen gekommen. Der Vater ward durch seinen Landsmann und Jugendfreund, Kapellmeister Anton Brandner (2), an die damals neugegründete Stadtkapelle als Primgeiger berufen. In unserem Hause wurde von früh bis in die Nacht hinein Musik gemacht. Mein Vater war ein strenger, sehr geschätzter Violinlehrer. Mit Ausnahme meiner ältesten Schwester studierten alle meine Geschwister Musik an der Wiener Akademie. Mein ältester Bruder Alfred, eine Art Wunderkind, absolvierte schon mit 17 Jahren, kam gleich als Violinlehrer an das Konservatorium in Graz, später nach Klagenfurt und war nachher Kammermusiker am königl. preuss. Hoftheater in Wiesbaden. Ein unheilbares Nervenleiden machte seiner schönen Laufbahn leider ein allzu frühes Ende. Der zweite Bruder Franz, Cellist, ging bald nach Absolvierung der Akademie nach New York, in ein großes Symphonie-Orchester. Der 3. Bruder, Ernst, ward nach der Reifeprüfung Musiklehrer bei Fürst Schönburg, dann bei Fürst Auersperg und nachher Kapellmeister bei den Tiroler Kaiserjägern in Bozen. Nach dem Weltkrieg ging er auch nach Amerika und wirkt als Bratschist in einem Symphonie-Orchester (110 Mann) in Cincinnati. Meine Schwester Ida wurde Sängerin und war in Wien und Berlin (Neues Operettentheater) über 10 Jahre lang Soubrette; dann heiratete sie den Harfenisten Max Schuster. Beide leben seit 1913 in Amerika.
Schon als kleines Kind interessierte mich meines Vaters Lehrerberuf sehr und ich durfte, auf einem Tisch sitzend, zuhören, wenn seine Lieblingsschülerin, Malchen Zeidner, gar so schön Geige spielte. Mit 9 Jahren nahm Vater auch mich in die Lehre, und bald konnte ich im Kreise meiner Geschwister mittun, wenn an den hohen Feiertagen Quartett gespielt wurde. Die Art meines Vaters, mich zum Unterricht aufzufordern, bestand darin, dass er im Nebenzimmer meine Geige stimmte, und diesem magnetischen Klang leistete ich stets Folge, manchmal allerdings mit innerlichem stummem Widerstand, wenn´s am Tage schon zum zweiten Mal geschah.
Den tiefsten Eindruck machte das Musizieren meiner Geschwister auf mich, die zu den großen Ferien heimkamen. In eine Ecke gekauert, lauschte ich andächtig und konnte mich manchmal der Tränen nicht erwehren, wenn Alfred das Violinkonzert von Bruch, Brahms oder Beethoven spielte und Ernst ihn auf dem Klavier begleitete. Und dann sang meine Schwester mit ihrer glockenhellen Sopranstimme all die herrlichen Lieder von Mozart, Schubert, Schumann, Brahms, Strauss, und ich hockte und lauschte und sang nach, sobald ich nur konnte.
Mein Vater war oft krank, und da saß dann ich noch als Schulmädel an seinem Bett und geigte mit den Schülern, während er dirigierte und erklärte. So waren die alten Lehrer: gewissenhaft und streng in der Erfüllung ihrer Pflicht. Ich aber wuchs hinein in das Lehren, ohne zu ahnen, dass es einst auch mein Beruf würde.
Nach Absolvierung der Bürgerschule und der Kindergärtnerinnen-Bildungsanstalt (Pädagogik war mein Lieblingsfach) begann ich auch Violinunterricht zu erteilen. Ich hatte inzwischen auch mehrere Jahre hindurch Klavierunterricht genossen, was mir beim Begleiten meiner Schüler sehr zustatten kam. Mein Vater und meine Brüder waren meine Lehrer im Violinspiel.
Nun sind 30 Jahre verstrichen, und viele Schüler gingen über meine Schwelle. Drei von ihnen studierten Musik: Herta Fromm in Graz, Ferdinand Sára in Budapest und Elfriede Graf in Stuttgart, und ich darf in aller Bescheidenheit erwähnen, dass man an allen drei Anstalten mit der Vorbereitung meiner Schüler sehr zufrieden war. Mehr als ein Dutzend konnte ich so weit führen, dass sie Mitglieder des Kronstädter Philharmonischen Orchesters wurden, dem ich seit meinem 17. Jahr angehöre. In den Musikscharen der D.J. (3) und in den Spielgruppen der Mädel tun meine Schüler tüchtig mit, und das ist meine höchste Freude. Denn ich liebe meinen Beruf heute so wie am Anfang meiner Laufbahn. Am meisten aber danke ich dem Schicksal, weil es mir vergönnt war, durch meinen Lehrerberuf den Kindern menschlich nahe zu kommen. Manche meiner einstigen Schüler sind heute meine lieben Freunde und haben mich das Versagtsein eigener Kinder vergessen lassen. Und wenn es mir gelungen ist, meinen Schülern das Verständnis und die Liebe zur Musik zu vermitteln, so habe ich nicht umsonst gelebt.
Zum Schluss möchte ich noch der schönen Feierstunden gedenken, die ich durch das Musizieren mit meinem feinsinnigen, äußerst kunstliebenden Mann hatte. Als Knabe war er begeisterter Kirchenchorsänger, und später ging sein schöner Bariton allen zu Herzen, die ihn hörten. Allzu früh nahm ihn der Tod von uns, und da war es wieder der Umgang mit den Kindern und die Musik, die mir diesen und manchen anderen schweren Schicksalsschlag ertragen und überwinden halfen. Dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar.
Kronstadt, 16.4.1943
Burggasse 45
Irene Krüger
geb. Lorenz e.h.
(Vorspann, redaktionelle Bearbeitung und Anmerkungen:
Wolfgang Wittstock)
Anmerkungen:
(1) Der Sudetengau (Reichsgau Sudentenland) umfasste die mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete in Böhmen, Mähren und Schlesien, die infolge des Münchner Abkommens Ende September 1938 von der Tschechoslowakei abgetrennt und in das Deutsche Reich eingegliedert wurden.
(2) Anton Brandner – siehe Folge II, Anmerkung 2, der Artikelserie „Kronstädter Musikerinnen“ (KR 4/30.01.2025).
(3) D.J. – Abkürzung von „Deutsche Jugend“, der in Anlehnung an die Hitler-Jugend in Deutschland agierenden deutschen Jugendorganisation in Rumänien (1939-1944).
Violinlehrerin Irene Krüger (Foto: Gebauer/Kronstadt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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