Von Rumäniendeutschen, Kirchenburgen und Peter Maffay
04.06.09
Wir sind pünktlich da, werden von drei älteren Herren, einem jungen Mann und einer jungen Frau begrüßt. Vorsitzender ist Wolfgang Wittstock,der junge Mann ist der Geschäftsführer Richard Sterner. Wir steigen ein in die Diskussion, erzählen von unserer Fahrt, unseren Erlebnissen. Aber wir wollen mehr wissen von Menschen, die seit 800 Jahren in einem Land leben, das nicht Deutschland heißt, sich aber immer noch als Deutsche bezeichnen und fühlen. Wie geht so etwas? Einer der drei bezeichnet es mit dem Wort konservativ, lateinisch konservare = bewahren. Ich erzähle von meinen schlesischen, preußischen Wurzeln, die in meinem Alltag nie eine Rolle spielten. Die Karpatendeutschen, mit denen wir sprechen, erzählen von ihrer Kultur, ihren Traditionen. Sie erzählen von den magischen Momenten, wenn sie in der DDR waren. Sie erzählen vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz, dem sie in der DDR begegnet sind, einem Land, in dem es alles gab. Auch sie erzählen von den zwei Stunden Fernsehen am Tag zum Ende in Rumänien. Sie erzählen vom eigenen Weg, den Rumänien zunächst nahm. Vom Ehrgeiz Ceau{escus keine Schulden zu machen, von der Anordnung in den siebzigern, dass jeder Bezirk für sich selbst sorgen müsse und keine Güter des täglichen Bedarfs in andere Landesteile gebracht werden sollten. Von den massiven Kürzungen im Kulturbereich, den neuen Kulturthesen, nachdem Ceau{escu von einer China und Nordkorea-Reise wieder kam.
Unter der Hand wurde irgendwann vom Größenwahn des Führers gesprochen, der die goldene Epoche ausgerufen hatte. Vom Wahnsinn, die Dörfer abzureißen, vom Wahnsinn des Volkspalastes in Bukarest. Sie erzählen auch von den ostdeutschen Touristen, die zu ihnen kamen, um in den Bergen zu wandern. Sie sind eine stolze Minderheit, sie unterscheiden zwischen alten und neuen Minderheiten und verwahren sich dagegen, dass Minderheiten aus Pakistan und anderswo in Rumänien ähnliche Rechte eingeräumt werden, wie den Deutschen oder den Ungarn. Sie verweisen stolz auf die Leistungen der Deutschen. Sie haben ein Vaterland und ein Mutterland, Rumänien ist ihr Vaterland. Seit den fünfzigern haben rund 400.000 Deutsche Rumänien verlassen. Nach einem Abkommen mit Helmut Schmidt wurden die Deutschen verkauft. Nach der Wende war der Aderlass am höchsten, ist jetzt zum Stillstand gekommen. Rund 50.000 Bürger in Rumänien geben als Volkszugehörigkeit Deutsch an.
Das Forum der Deutschen ist keine Partei, darf aber bei Wahlen antreten. Die Vertreter wissen um die Rechtslastigkeitsvorwürfe gegenüber den Landsmannschaften in Deutschland, zu denen sie Kontakte pflegen. Sie differenzieren aber zwischen den Vertriebenenverbänden etwa der Schlesier oder der Deutschen aus Böhmen und Mähren. Die Deutschen sind in Rumänien nicht vertrieben worden und ihre Siedlungsgebiete gehörten auch nie zum Deutschen Reich. Die junge Frau entpuppt sich als Praktikantin aus Stuttgart mit deutsch-pakistanischen Wurzeln. Sie sagt, sie habe nie so viel über deutsche Kultur, Tänze und Traditionen erfahren, wie hier. Es ist der alte Teil von Kronstadt, in dem wir uns befinden, mit deutscher Schule, Schwarzer Kirche, evangelischer Gemeinde. Heute hat Bra{ov rund 280.000 Einwohner, 4.000 sind deutschstämmig. Alles außerhalb dieser alten, dörflichen Insel ist sozialistisch-plattenbauig.
Beim Thema Stasi und Aufarbeitung erhalten wir umfangreiche Informationen. So ist auch hier die Akteneinsicht möglich. Beim Aktenstudium sind die Namen dritter und potentieller Informanten nicht geschwärzt, bei der Aushändigung von Kopien schon. Bei der Bitte um Klarnamen von Informanten wird oft darauf verwiesen, dass das nicht ohne weiteres möglich sei. Ähnlich wie in anderen Ländern ist die Securitate-Mitarbeit kein Straftatbestand, doch der moralische Druck erwirkt oft den Verzicht auf Ämter.
Wir reißen noch das Thema Zigeuner an und bekommen einen differenzierten Überblick über wanderende Zigeuner, sesshafte Zigeuner, handwerkende Zigeuner und stehlende Zigeuner. Diese Beschreibung liest sich für Bundesdeutsche alles andere als politisch korrekt, doch wir zitieren nur. Es wird uns auch von einem Projekt berichtet, dass versucht Zigeuner in den Arbeitsmarkt zu integrieren, mit wechselnden Erfolgen. In vielen Dörfern sei es so, dass Zigeuner in den von deutschen verlassenen Häusern angesiedelt worden seien. Armut unter Deutschen? Ja, so wie bei anderen. Doch es gibt auch Erfolgsgeschichten. Einer unser Gesprächspartner war Zahnarzt, eröffnete nach der Wende eine der ersten Privatpraxen, stieg dann ins Geschäft mit EKG-Papier ein, erhielt eine Villa rückübertragen mit einem besonderen See, in dessen Tiefe Salzwasser und oben Süßwasser ist, so dass im Sommer die obersten 15 Zentimeter kalt und der Rest darunter heiß sind. Das Haus hat 37 Zimmer, ihm geht es nach eigener Aussage richtig gut.
Wir verlassen Bra{ov mit vielen neuen Eindrücken und Informationen und machen uns auf den Weg nach Shigi{oara, zu deutsch Schässburg, offenbar berühmt für seine mittelalterliche Altstadt.
Wir fahren durchs Land, rund 100 Kilometer liegen vor uns. Die Sonne scheint, Holger spielt Gitarre, wir lassen uns Zeit. Es geht durch Berg und Tal und als ein Schild auf einen Ort, drei Kilometer abseits der Landstraße verweist, biege ich kurzerhand ab und es geht auf Schotterpiste weiter. Und hier beginnt eine Verkettung von Zufällen, die uns zu Zigeunern und Peter Maffay führen. Warum bin ich hier abgebogen? Ich nenne es Fügung, Holger nennt es unterbewußt gelenkte Aufmerksamkeit. Es kommt aufs selbe hinaus. Wir fahren in einen bitterarmen Ort, mit vielen total heruntergekommenen Häusern, vielen Kindern, offenbar Zigeuner. Wir grüßen freundlich nach rechts und links, es wird zurück gegrüßt. Wir sehen Häuser mit deutschen Inschriften und halten vor einer halbverfallenen Kirchenburg. Schnell sammeln sich Kinder um unser Auto. Wir haben von Antenne Thüringen eine Kiste mit Pfefferminzbonbons mitbekommen, die noch nicht zum Einsatz kam. Hier kommen die Bonbons gut an, die Kinder freuen sich, Erwachsene auch. Es ist eine entspannte, sommerliche Atmosphäre. Plötzlich rollt in diesem abgeschiedenen Ort, mit den nicht ganz sauberen Kindern, mit mehr Pferdefuhrwerken als Autos ein Wagen mit Regensburger Kennzeichen. Ein Mann steigt aus und spricht die um uns herumstehenden Zigeuner freundlich an. Ich bitte um Übersetzung. Er fragt uns, was wir hier machen, wir stellen unser Projekt vor. Wir fragen ihn, was er hier mache.
Er ist Architekt, er arbeitet für Peter Maffay. Das Projekt, ein Kinderheim hier in dem Dorf unter Einbeziehung der Kirchenburg. Wir sind verblüfft. Wir haben in der Deutschen Zeitung in Bukarest vor drei Tagen von dem Projekt gelesen und jetzt sind wir hier. Fügung? Gelenkte Aufmerksamkeit? Wir unterhalten uns nett, bekommen eine Burgführung in einer halben Stunde angeboten, wollen aber weiter. Wir verlassen diesen deutschen Ort, der Radeln heißt, jetzt von Zigeunern bewohnt wird, wo demnächst mit Peter Maffays Hilfe ein Kinderheim gebaut wird.
Foto:
Christian Stadali und Holger Schmalfuß die mit ihrem Wartburg-Wagen das Projekt „Reisewege-Fluchtwege“ (12. April – 26. Mai 2009) durch sechs Länder unternahmen, bei ihrem Besuch im Kronstädter Forum.
Foto: Dieter Drotleff
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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