Zur Tradition des deutschen Schulwesens in Siebenbürgen (II)
11.11.08
Zur Tradition des deutschen Schulwesens in Siebenbürgen (II)
Referat beim 18. Siebenbürgischen Lehrertag am 18. Oktober 2008 in der Aula des Honterusgymnasiums/ von Prof. Dr. Paul Philippi
Zugehörigkeitsbewusstsein – zu was zugehörig?
Ich habe in meinem Mediascher Referat, das heuer im Jahrbuch des Brukenthalgymnasiums abgedruckt wurde, darauf hingewiesen, dass die sächsischen Schulen nicht vom Staat erhalten wurden, sondern von den Gemeinden. Von den sächsischen evangelischen Gemeinden. Dass der Staat nicht zahlte und die Eltern der Schüler dafür doppelt zahlen mussten (nämlich sowohl für die Staatsschulen als auch für die eigenen Schulen), das ist ein politisch schmerzliches Kapitel und keineswegs vorbildlich. Aber dass die Schulen von der Solidargemeinschaft einer homogenen Elternschaft getragen wurden, muss natürlich beachtet werden. Homogene Elternschaft: Es war die evangelische Gemeinde, für die die Schulen eine schwere finanzielle Last darstellten, und die sie durch ihre Beiträge, wohl nicht ohne harte Konflikte, aber eben dennoch und ohne gezwungen zu sein, trug. Diese Gemeinde wollte die so und nicht anders geprägten Schulen. Das evangelische Presbyterium wählte die Lehrer jeder Schule. Für diese Lehrer war die Schule dann auch kein zufälliger, morgen austauschbarer Job. Sie identifizierten sich trotz karger Bezahlung mit gerade dieser ihrer Schule. Joseph Haltrich, zeitweise Rektor des Schässburger Gymnasiums, soll gesagt haben, die Hälfte seines Gehaltes mache die schöne Aussicht aus, die er von seiner Bergschule aus auf die Stadt habe.
Hinter den sächsischen Schulen stand also der gemeinsame Wille einer Gemeinschaft, gerade den Typ von Werten in ihren Kindern und jungen Leuten auszubilden, der hier gelehrt und eingeübt wurde. Dies bedeutete, dass nicht in Budapest oder Bukarest das Modell ausgedacht wurde (nicht ein Modell von irgendwo auswärts, einheitlich für das ganze Land!), sondern dass die Schulgemeinde selber einen Bildungswillen artikulierte. Die Elternschaft, die Lehrer, die Schüler waren im Rahmen der Kirchengemeinde und durch die Kirchengemeinde gemeinsam die Träger dieses Bildungswillens. Natürlich im Rahmen der von Bukarest vorgegebenen staatlichen Nomen. Die hatte man zu erfüllen, ob man nun damit zufrieden war oder ob man vorher gegen sie protestiert hatte. Staatsloyalität war selbstverständlich. Aber im Rahmen des staatlich Gebotenen und Erlaubten kamen die eigenen Traditionen und Modelle zur Geltung. Unsere sächsischen evangelischen Schulen waren nach 1919 rechtlich Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht. Sie wurden von staatlichen Inspektoren inspiziert. Sie hatten immer auch nichtsächsische Schüler, deren Eltern und wohl auch sie selbst mit dem besondern Charakter und den Bildungszielen der sächsischen Schulen einverstanden waren. Und es lohnt sich vielleicht zu fragen, ob es heute nicht auch dem staatlichen Schulsystem in unserm Lande gut täte, wenn dieses innerhalb allgemein geltender Normen Spielräume offen halten würde, in welchen sich besondere Bildungstraditionen erhalten, bzw. alternative Modelle entwickeln können – Schulmodelle, Bildungsmodelle, zwischen denen die Eltern und die Schüler wählen können; Spielräume, in denen sich auch Schulen entfalten können, die sich ihre Schüler wählen können: nicht nur nach Noten, sondern auch nach anderen Kriterien (und die solche Schüler, die nicht zu ihnen passen, ggf. auch abwählen können!). Sicher ein heikles Thema.
Um solche Gedanken weiter zu entwickeln muss man natürlich erwägen, ob es in unserer pluralistischen Gesellschaft gelingen kann, eine Lehrerschaft und eine Elternschaft zu finden, die willens ist, ein Schulkonzept mit solcher Sondertradition weiter zu tragen. Ein Schulkonzept, das selbstverständlich im gesetzlichen Rahmen des Staates funktioniert, das sich aber erlaubt, eigenständige Elemente einzubringen und zu pflegen. Natürlich kann es nicht darum gehen, den Coetus wieder zu erfinden. Aber wir sagten ja schon, dass es nicht die Formen sind, auf die es ankommt, dass es vielmehr um den „fond“ geht, den Fundus. Gudrun Schuster, die bis 1987 am Honterusgymnasium unterrichtet hat, zitierte jüngst in einem Vortrag den englischen Humanisten Thomas Morus: „Traditon ist nicht das Erhalten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme!“ Können die deutschsprachigen Staatsschulen Siebenbürgens etwas von der Glut weitergeben, die für die sächsischen Schulen bezeichnend war? Nach Gudrun Schuster war das zwischen 1948 und 1989, also in kommunistischer Zeit(!) möglich: Die Tradition der sächsischen Schule habe fortgewirkt und weiter geprägt, bebildet. Die Rolle der musischen Zusammenarbeit (Musik und Theater), die Rolle der gemeinsamen Naturerkundung und Heimat-Entdeckung (Klassenausflüge): welchen Platz nehmen sie heute in unseren Schulen ein? Gewiss: Das Bild der Lehrerschaft, der Schüler und der Eltern hat sich seit 1989 sehr verändert. Ist es da möglich, und wenn ja, ist es wünschenswert, in diese so sehr veränderte Situation Elemente aus der Substanz der sächsischen Schultradition in die heutige oder morgige muttersprachlich deutsche Schule einzubringen? Ganz klar: Nachwirkende Tradition würde in diesem Fall Innovation bedeuten und wäre somit Pionierarbeit. Lassen sich Kräfte für so eine Pionierarbeit finden?
Die Frage richtet sich in erster Reihe an die Lehrer. Vielleicht nicht gleich an alle. Auf jeden Fall aber an einen Kern innerhalb einiger Kollegien; an einen Kern, der bereit und imstande ist, für das besondere Profil seiner deutschsprachigen Schule zu werben, Kollegen dafür zu gewinnen und schließlich auch die Schulbehörden davon zu überzeugen, dass eine solche innovative Aufnahme zugewachsener Traditionselemente eine Bereicherung der Schullandschaft Rumäniens darstellen kann (auch und gerade, wenn es nicht an allen Schulen praktiziert wird). Ein Schulkonzept, in dem nicht das kumulierte Wissen allein zum Erfolgskriterium wird. Auch nicht nur die möglichst gut erlernte deutsche Sprache (so wichtig gerade dies auch bleibt!), sondern das selbständige Denken-Können (auch in dieser Sprache!) und das eingeübte verantwortliche Sozialverhalten.
Gibt es dafür unter uns eine Vision? Und wenn ja: reicht dazu die Kraft? Und das wich-tigste: Gibt es unter uns einen Ansatz von Willen, der in diese Richtung weist? Getrauen wir uns, die Schulen „in der Sprache der deutschen Minderheit“ in dem Meer der 10.000 Staatsschulen Rumäniens als eine Gattung eigenen Zuschnitts entwickeln zu wollen? Oder möchten wir nach dem Prinzip der Vorwendezeit bloß überleben: nur nicht auffallen!? Sie, die Lehrerinnen und Lehrer werden darauf die Antwort geben. Und der Lehrertag ist dazu da, aus vielen Einzelansätzen gemeinsame Konzepte entstehen zu lassen; sich untereinander zu beraten und sich für praktische Umsetzung zu verbünden. Dazu wünsche ich Ihnen gute Gedanken, Mut, Zähigkeit – und Ergebnisse, die Ihnen und uns allen Freude machen.
(Schluss)
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