APOLLONIA-HIRSCHER-PREISVERLEIHUNG 1999

Foto: KR-Archiv

Jahrzehntelange, segensreiche Tätigkeit als Teppichrestauratorin

Laudatio auf Era Nussbächer/Von Dr.-Ing. Dieter Simon

Eine zahlenmäßig geringe und deshalb gefährdete Gemeinschaft hat Probleme, die individuell lösbar sind, z.B. durch Auswanderung, sie hat aber auch Probleme, die nur durch eine funktionierende Gemeinschaft und ihre Institutionen adäquat zu behandeln sind.
Eines dieser Probleme betrifft die Betreuung unseres Kulturerbes. Wir lesen manchmal Meinungen, dass eine Hinwendung zu diesen Dingen ein Blick zurück wäre, dass ein in Auflösung befindlicher Volkskörper, dem keine Zukunft in Siebenbürgen zugebilligt wird, sich auch nicht Sorgen um seine historische Einmaligkeit machen müsste, ja, dass Konservieren und Bewahren Ausdruck von Verharren und Erstarren wäre, alles mit der missgünstigen Frage im Hintergrund: für wen?
Es sind dies alles bedenkenswerte Gründe, über die eine Diskussion möglich ist, wenn man diese von einem geschichtlich korrekten Standpunkt führt, nämlich dem einer dem Individuum übergeordneten Kategorie, der Gemeinschaft.
Während in sächsischen Kreisen solcherlei Diskussionen geführt werden, begegnen wir in der rumänischsprachigen Presse, in Museen immer wieder dem blauäugigen Terminus „rumänisches Kulturgut“, der unterschiedslos alles einschließt, was sich in den Museen des Landes befindet und nicht nur.
Hier wird ganz offenbar der gegenwärtige Besitzer, der massiv mit unerlaubten Enteignungen operierte, mit dem Schöpfer oder ursprünglichen Sammler verwechselt. Es wäre an der Zeit, den Begriff „sächsisches Kulturgut“ wenn nicht einzuführen, dann zumindest genauer zu definieren.
In diese Problematik eingebettet hat Frau Era Nussbächer, gebürtige Kronstädterin, Erbin einer langen Kronstädter Bürgertradition, in Kronstadt eine jahrzehntelange, segensreiche Tätigkeit als Teppichrestauratorin entfaltet.
Sie ist spät zu dieser Tätigkeit gekommen – die Familie, Kinder und schwere Nachkriegsjahre forderten ihre Arbeitskraft und die Armut der Kirche gestattete keine aufwendigen Restaurierungen. Ihre starke künstlerisch-gestaltende Begabung äußerte sich in diesen ungünstigen Jahren im Kunstgewerbe.
Beginnend mit dem Jahre 1973 war eine hauptberufliche Anstellung als Teppichrestauratorin im Rahmen der Evangelischen Kirche möglich. Es folgten zuerst Lehrjahre in Restaurierungswerkstätten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, und schon bald, zur Wiedereinweihung der Schwarzen Kirche im Mai 1984, wurden im Rahmen einer Ausstellung und dann in der Kirche selbst die restaurierten Teppiche ausgestellt.
Eine zusätzliche Anerkennung der Kompetenz der Restaurierungswerkstatt unter Frau Era Nussbächer war auch ein zweiwöchiger Lehrgang, den sie 1977 für interessierte Fachkräfte und Museen des Landes hielt.
Es fällt auf, dass das Wirken von Frau Nussbächer in die Lebensjahre fällt, wo andere ihr Wirken abschließen, und weit bis in ihre Achtziger dauert.
In diesen Jahren hat sie Hunderte von Teppichen gepflegt, restauriert und der Nachwelt erhalten, in erster Linie die weithin bekannte Teppichsammlung der Schwarzen Kirche, eine der großen Sammlungen anatolischer Teppiche der Welt. Auch im Burzenland und in anderen Gemeinden der Landeskirche ist sie durch ihre Restaurierungen vertreten.
Ein Restaurator hat ein undankbares Werk: Neben dem die Zeiten überdauernden Namen des Schöpfers oder seiner Werkstatt dient er still und meist anonym unsterblichen Kunstwerken. Es gehört eine besondere Persönlichkeitsstruktur dazu, hinter seiner Arbeit bescheiden in den Hintergrund zu treten. Diese Struktur trifft in vollem Maße auf Frau Era Nussbächer zu. Ihre Arbeit ist einem eher kleinen Kreis von Kennern und Freunden bekannt, dafür aber unauflösbar mit der Existenz der von ihr betreuten Teppiche in des Wortes wahrster Bedeutung „verknüpft“.
Der heute verliehene Preis unterstreicht, dass trotz der Stille, die das Werk von Frau Era Nussbächer umgibt, unsere Gemeinschaft davon Kenntnis genommen hat und es würdigt. Es erfüllt uns mit Freude, dass jemand aus unserer Mitte die Kompetenz und den Willen hatte, Bedeutendes für unser kulturelles Erbe zu tun. Bedeutend nicht durch investiertes Geld, durch Wirken an herausgehobener Stelle, sondern durch tägliches Opfer in Bescheidenheit.

Kronstadt, 7. Januar 2000
(Karpatenrundschau, 22. Januar 2000)

Apollonia-Hirscher-Preisverleihung 1999

Foto: Waldemar Stadler

Zum 100. Geburtstag der Teppichrestauratorin Era Nussbächer (6. März 1913 – 24. April 2003)


Von: Gernot Nussbächer
Erschienen: Donnerstag, 07. März 2013. Karpatenrundschau

Am 6. März 2013 erfüllten sich 100 Jahre, seit am 6. März 1913 im Hause Burggasse damals Nr. 54, heute Nr. 52, Era Herta Dieners als erstes Kind des Rechtsanwaltes Dr. Oskar Dieners und seiner Frau Herta Charlotte geb. Seraphin geboren wurde. Die ersten Lebensjahre hatte Era Dieners eine schöne Kindheit, bis nach etwa acht Jahren ihr Vater einen Schlaganfall erlitt und schwer behindert überlebte, so dass die Mutter die ganze Verantwortung für die Familie übernehmen musste. Im Jahre 1920 wurde noch der jüngere Bruder Werner geboren. Beide Kinder waren hoch begabt, doch konnte Era nur die Mädchenschule besuchen, für ein Studium reichten die Mittel nicht. 
Schon mit 16 Jahren musste sie selbst Geld verdienen und tat das als Sekretärin in der Warenverkehrsbank in der Klostergasse in den Jahren 1929 – 1932. Dann ergab sich die Möglichkeit, eine Ausbildung als Werklehrerin in Hildesheim zu erhalten, so dass sie in den Jahren 1934 – 1937 als Werklehrerin an der evang. Mädchenschule in Kronstadt wirkte.
Am 21. März 1937 heiratete sie den Diplomkaufmann Kurt Nussbächer, den sie schon in der Warenverkehrsbank kennen gelernt hatte und widmete sich danach hauptsächlich der Familie.
Im August 1939 wurde der erste Sohn Gernot Kurt geboren. Im Jahre 1940 hatte Kurt Nussbächer eine gute Stelle in Bukarest gefunden, aber das schwere Erdbeben in der Nacht vom 9./10. November 1940 führte zum Einsturz der frisch bezogenen Wohnung, Era Nussbächer erlitt einen schweren Schock und wollte nicht mehr in Bukarest bleiben. So zog die Familie wieder zurück nach Kronstadt und wohnte auf der „Johanneswiese“ in der Dorobanzengasse nahe der „Schiel“ -Maschinenfabrik. Hier wurden 1941 die Tochter Ute Era und 1944 der zweite Sohn Ulf Werner geboren. Nebenamtlich war Era Nussbächer damals auch wieder als Werklehrerin tätig.
Als im Frühjahr 1944 die alliierten Bombenangriffe auf Kronstadt begannen, wich die Mutter mit den drei kleinen Kindern zuerst nach Rosenau aus, wo ihr Onkel Pfarrer war, und nach dem ersten Luftangriff auf Kronstadt am rumänischen Ostersonntag 16. April 1944 zog sie nach Agnetheln, wo sie Unterkunft beim Rektor Leonhardt fand.
Erst nach dem Umsturz vom 23. August 1944 konnte die Familie wieder nach Kronstadt zurückkehren und fand Wohnung bei Eras Mutter in der Burggasse Nr. 126.
Hier wurde der Raum knapp wegen der russischen Einquartierung. Bei den Aushebungen am 11. Januar 1945 konnte Era Nussbächer zu Hause bleiben, weil das jüngste Kind noch nicht zehn Monate alt war.
Bald wurde jedoch Kurt Nussbächer als potenzieller Regimegegner in ein Lager nach Caracal in der Oltenia gebracht, wo er mehrere Monate bleiben musste. Unter den schweren Nachkriegsbedingungen konnte der Familienvater allein die Familie nicht erhalten und so musste Era Nussbächer ihre Werklehrerkenntnisse mit einsetzen, um damit Geld zu verdienen. Ab 1947 arbeitete sie in der Cooperativa „Românca“, die ihren Verkaufsladen in der Klostergasse Nr. 7 hatte. Gemeinsam mit ihrem Mann, der die Laubsägearbeiten besorgte, stellte Era Spielzeug aus Holz und später auch andere Holzfiguren und Anhänger her. 
Era Nussbächer hat mehr als 20 Jahre lang in verschiedenen Handwerksgenossenschaften in Kronstadt, Honigberg, Zeiden und Rosenau gerabeitet, bis sie im Jahre 1968 in Rente gehen konnte.
Lichtblicke in dieser Zeit waren die alljährlichen Urlaube mit den Kindern in Wolkendorf, in  der „Villa Nussbächer” in der Hüllgasse – die einer Großtante ihres Mannes gehörte – , wo die Familie die Urlaube in den ersten Jahren verbrachte.  In Wolkendorf gab es ein gutes Freibad, das ein Anziehungspunkt für viele Kronstädter, aber auch Hermannstädter und Bukarester Sommerfrischler war. In Wolkendorf befand sich in der Nachbarschaft auch das landeskirchliche Erholungsheim „Sonnenheim” .Era Nussbächer war gerne Gast bei den Vorträgen und andern Veranstaltungen im „Sonnenheim”. Im Nachbarhaus wohnte die Dichterin und Apothekersgattin Olga Phleps, mit der Era Nussbächer eine schöne Freundschaft verband.
Auch später, als die „Villa Nussbächer” verkauft werden musste, blieb Era Nussbächer Wolkendorf treu und wohnte im landeskirchlichen Erholungsheim.
Auf Anregung des aktiven Kurators der Kronstädter Honterusgemeinde Dr. Otmar Richter (1908–1987) wurde Era Nussbächer ab 1. Mai 1973 als Teppichrestauratorin angestellt, um die von Mag. Albert Eichhorn (1906–1969) begonnene Aktion weiter zu führen.
Es ist bekannt, dass die Schwarze Kirche die größte europäische Sammlung von orientalischen Teppichen besitzt, außer dem Herkunftsland, der heutigen Türkei.
Die Teppichwerkstatt wurde im alten Obervorstädter Pfarrhaus untergebracht, neben der von Gisela Richter geleiteten Altarrestaurierungswerkstatt.
Von 1977 – 1998 war die Teppichwerkstatt dann dem Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A.B. unterstellt.
Ihre berufliche Ausbildung vervollkommnete Era Nussbächer zuerst im Wiener Kunstgewerbemuseum, danach auch bei weiteren Einrichtungen in Österreich, in Deutschland und in der Schweiz.
Sie selber gab ihre Erfahrungen im Jahre 1977 in einem Lehrgang für Museumsfachleute weiter und hat im Laufe der Jahre  auch ihre Mitarbeiterinnen angelernt: Brigitte Morscher, Erika Klein, Edith Schromm, Ursula Brandsch und zuletzt Gabriella Gyenge. Von besonderer Bedeutung war die Zusammenarbeit mit dem Teppichfachmann Richard Suhanyi, der eine Bekanntschaft aus ihrer Jugend war und mit seinen Mitarbeitern wertvolle Hilfe für die Verzeichnung, Fotografierung und Restaurierung der Teppiche gab.
Zwei Momente sollen hier noch  erwähnt werden. Era Nussbächer bewirkte bei der Innenrenovierung der Schwarzen Kirche, die mit der Wiedereinweihung am 27. Mai 1984 abgeschlossen wurde, eine entsprechende Verglasung der Kirchenfenster, um die Teppiche gegen den schädigenden Einfluss der ultravioletten Strahlen zu schützen. Dafür hatte sich als Chemiefachfrau die damalige Presbyterin Dr. Hannelore Roth ganz besonders eingesetzt.
Durch die Handhabung von giftigen Substanzen zum Schutz der Teppiche zog sich Era Nussbächer eine Vergiftung zu, die erst spät als solche erkannt wurde und auch hier war Frau Dr. Hannelore Roth aktiv geworden.
Bis zu ihrem 85. Lebensjahr hat Era Nussbächer 25 Jahre lang in der Teppichwerkstatt gearbeitet, bis ihr Alter und ihre Gesundheit das nicht mehr zuließen. In dieser Zeit wurden über 300 Teppiche und auch zahlreiche alte Messgewänder restauriert. 
Era Nussbächer veröffentlichte auch mehrere Beiträge über Textilrestaurierung in der rumäniendeutschen Presse, hier wurde auch über ihre Arbeit als Restauratorin mehrfach berichtet.
Eine umfassende und kompetente Würdigung ihrer Tätigkeiten soll jedoch Fachleuten überlassen bleiben.
Im Jahre 1999 erhielt Era Nussbächer als Anerkennung ihrer Verdienste um die Teppichrestaurierung den „Apollonia-Hirscher-Preis”.
Am 6. März 2003 konnte Era Nussbächer ihren 90. Geburtstag  im Wolkendorfer kirchlichen Erholungsheim schön feiern, wozu  Stadtpfarrer Christian Plajer den geistlichen Rahmen bot.
Im April wurde sie dann in das Altenheim Blumenau übersiedelt, wo sie nach kurzer Zeit am 24. April 2003 starb und am 27. April 2003 am Innerstädtischen Friedhof in der Familiengruft beigesetzt wurde.
Ihre reiche Fachbibliothek über Teppich- und Textilienrestaurierung wurde von der Familie dem Archiv der Honterusgemeinde übergeben, in dem sich auch die schriftlichen Unterlagen der Teppichwerkstatt befinden, die für die Erforscher dieser Kulturgüter höchst wertvoll sind.
Es erfüllen sich heuer auch vierzig Jahre seit der Gründung der Teppichrestaurierwerkstatt in Kronstadt, durch die die Honterusgemeinde eine Pioniertat auf diesem Gebiet verwirklicht hat, getreu dem Grundsatz: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen”.